Wenn wir über Smartphones und Fanboys sprechen, denken wir sofort an Apple. Wir alle haben die Bilder vor Augen von den vermeintlich Apple-verblendeten Kunden, die stundenlang in Quechua-Zelten vor einem Apple Store frieren. All das, um ein vermeintlich mehrfach überteuertes iPhone zu kaufen.
Auf der anderen Seite kennt jeder dieses Gemeinschaftsgefühl. Ob es nun zwei Asus-User sind, oder zwei Tesla-Fahrer, die sich mit einem vermeintlich wohlverdienten Nicken gegenseitig gratulieren, im Leben die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Wir heben uns von der Masse ab, frei nach dem Motto: "Think different" – aber alle zusammen und zur gleichen Zeit. Was läuft da schief?
Wir sind alle Fanboys, Fangirls oder Fanpeople von etwas ...
- "... aber bei Android bekommt man viel mehr Leistung für weniger Geld. Was für ein Haufen Schafe, diese Apple-Fanboys! Ich bin ein Mi-Fan, ich entscheide mich für das Preis-Leistungs-Verhältnis made by Xiaomi"
- "... aber die OnePlus-Community! Außerdem kann ich im Gegensatz zum iSheep ein Datenblatt lesen, und Pete Lau hat die danksten Memes auf Instagram."
- "... klar ist das ein schönes OnePlus 8 Pro für 800 Euro! Mein Realme X50 Pro kann das aber besser – und zwar für 200 Tacken weniger".
- "... aber Ihr habt alle nichts vom Leben verstanden. Ihr kauft Kommerz made in China, all diese Marken gehören zu BBK. Sony ist eine echte Marke mit Geschichte für Kenner"
Ich beende diesen imaginären Dialog, der aber garantiert so oder so ähnlich gerade in diversen Kommentarspalten und Freundeskreisen zuträgt. Wir sind alle Fanboy, Fangirl oder Fanpeople von jemandem oder etwas. Und dieser tragische Zustand ist das Ergebnis eines sehr merkwürdigen und schädlichen Massenmarketings.
Tribal Marketing: fruchtbarer Boden für Fanboyismus
Deutlich wird das vor allem durch ein Video, das im vergangenen Jahr von dem ausgezeichneten – und dem modernen Marketing sehr kritisch gegenüberstehenden – belgischen YouTuber Un Creative gedreht wurde. Und zugegeben: Dieses Video war auch meine Inspiration zu diesem Artikel.
Ja, Illusion ist zentraler Bestandteil der Werbeindustrie. Doch mit Tribal Marketing spielen wir hier in einer völlig neuen Liga. In einer Liga, die den Verbrauchern schadet.
Laut der Website " definitions-marketing.com" besteht Tribe Marketing darin, das soziale Verhalten bestimmter Gruppen von Verbrauchern (Tribes) zu nutzen, um ein Produkt oder eine Dienstleistung zu bewerben.
Ein Tribe, zu Deutsch: Stamm, zeichnet sich durch gemeinsame Rituale, Codes und Verhaltensweisen aus. Codes können zum Beispiel Kleidungs- oder Sprachcodes sein.
Konkret geht es darum, Kunden, die vielleicht nicht viel gemeinsam haben, in ein gemeinsames "Interessen-Silo" zu pressen. So hat es der amerikanische Unternehmer und ehemalige Marketingdirektor von Yahoo!, Seth Godin, in seinem großartigen TED-Vortrag definiert: "The tribes we lead".
Bei diesen Stämmen handelt es sich um ein Phänomen, das dem Web und den sozialen Netzwerken eigen ist – und das tief in unserer Stammesgeschichte verwurzelt ist. Bevölkerungsgruppen verbinden sich auf Basis gemeinsamer Interessen. Nur statt dem blanken Überleben geht es heute um andere Gemeinsamkeiten. Soziale Netzwerke sind voll von Nischen, die weit über soziokulturelle, ethnische, geographische, sprachliche, religiöse und geschlechtsspezifische Unterschiede hinausgehen. Aber darum soll es hier nicht gehen.
Die offensichtlichste Verkörperung des Tribal-Marketings ist Apple, inklusive dem Haus-Guru Steve Jobs. Neben dem exklusiven Premium-Gefühl bildet das Apple-Ökosystem eine hermetisch abgeriegelte Blase, die sich in ein immer einheitlicheres System von Produkten und Dienstleistungen präsentiert. Das Motto: Die technologische Hölle, die haben die anderen.
In Gemeinschaften einteilen, um besser zu regieren
Aber Apple ist keineswegs ein einzigartiges Beispiel. Auf dem Smartphone-Markt träumen alle Android-Hersteller davon, die gleiche Anziehungskraft wie die Marke Apple zu haben. Das ist unbestreitbar.
Doch Apple ist nunmal führend – das iPhone ist das meistverkaufte Smartphone der Welt – und die Zahl der Herausforderer ist riesig. Sie alle suchen einen gemeinsamen Feind, um Kunden als Stamm zu vereinen und gegen den dominanten Platzhirsch, der zur Zielscheibe wird, anzutreten.
Bei den Mi-Fans oder der OnePlus-Community ist dieser Ansatz wohl offensichtlich. Preis-Leistungs-Verhältnis statt überflüssiger Luxus – Smart statt Schaf, um nur nicht zum Apple-Clan zu gehören.
Über Instagram und Facebook werden die Kunden zu Freunden. Kumpelhaft gibt es Nachhilfe per Twitter, Memes oder Apple-Witze auf TikTok, während man sich selbst als den jungen und angriffslustigen Herausforderer präsentiert. Erst fahren OnePlus und Xiaomi diese Strategie, bevor sie schließlich durch geistige Verwandte oder gar Schwester-Marken neue Krieger Herausforderer formen: namentlich wären das Realme und Redmi.
Abgesehen von den Technophilen, die den Markt wirklich kennen, wissen nur wenige Fanboys von OnePlus, Oppo oder Realme, dass all diese Marken unter einer BBK-Electronics-Decke stecken.
Wir haben also einen expandierenden Technologieriesen, der den Markt mit Produkten verschiedener Marken überschwemmt, von denen jede ihren eigenen Mythos, ihre eigenen Werte und ihren eigenen Tribe hat, der sie verteidigt. Fans setzen sich für eine Marke ein, ohne dafür bezahlt zu werden. Selbst Influencer werden dafür bezahlt, positiv über Produkte zu berichten – und dienen hier der Fan-Akquise.
Euer Lager, unser Lager: Marken werden politisch
Es geht aber nicht immer nur um Apple gegen Android. Das erkennt man gut an der Entstehung immer mehr Androiden-Tribes. Das Besondere: Sie haben sich bereits teilweise vom gemeinsamen Feind Apple abgewandt, um sich gegenseitig zu bekämpfen.
Jeder predigt für seine Gemeinde, weil er sich in jenen Werten wiederfindet, die die eigene Marke vermittelt. Doch per Definition hat ebendiese gar keine: Wir sprechen von privaten Unternehmen, motiviert durch private Interessen – nämlich durch Profit. Erst durch eine kluge Personifizierung und die Assoziation mit Moral werden sie in gewisser Weise zur Vaterfigur für unsere Gemeinschaft – unseres Tribes.
Wir haben das mit der eindeutig politischen Haltung von Twitter auf dem Höhepunkt der Black-Lives-Matter-Bewegung und der Frage des Rassismus in den Vereinigten Staaten gesehen. Twitter fühlte sich von seinen Nutzern gezwungen, in der öffentlichen Debatte Stellung zu beziehen – und tat das.
Andere Marken sind sogar gebeten worden, sich öffentlich zu diesem Thema zu äußern. Marken verkörpern Ideen, Werte. Und ihre Kunden wollen sich mit ihnen identifizieren können. Getreu dem Motto: Wenn Nike seine Unterstützung für den Antirassismus nicht zeigt, kann ich nicht Mitglied des Nike-Tribes bleiben.
Marken werden also nicht nur zur Fußballmannschaft, sondern auch zur politischen Partei. Und auf dem Smartphone-Markt haben wir zum Beispiel mit Huawei mehr oder weniger das gleiche Phänomen. Seit Trump Huawei im vergangenen Mai auf die Ersatzbank gesetzt hat, ist das Unternehmen zu einem Markenzeichen des chinesisch-amerikanischen Handelskrieges geworden.
Und Huawei nimmt die Rolle mehr oder weniger freiwillig an. Das Ziel: jene Kunden, die den Stamm nur ungern verlassen, weiter verbünden. Man spielt also die Karte des Underdogs aus, der bei Null anfangen muss. David gegen den übermächtigen Goliath aus Nordamerika.
Sogar wir bei AndroidPIT haben Huawei verteidigt mit dem Argument, dass nicht alles verloren ist und dass die Marke auf dem richtigen Weg ist, wieder auf die Beine zu kommen. Was übrigens nicht falsch ist. Aber es ist eine kognitive Voreingenommenheit, die auch wir kritisch reflektieren müssen.
Am Ende wird aus der Not das Versprechen geboren, eine andere Welt anbieten; eine bessere Welt ohne Google, den bösen Riesen und das Instrument von Trump. Das geht soweit, dass ich in meiner Rezension des Huawei P40 immer noch Kommentare sehe, in denen behauptet wird, eine Web-Verknüpfung zu Chrome oder Gmail sei dasselbe, als habe man die Google-Anwendungen nativ auf seinem Smartphone!
Nun, wir lassen uns nicht alle täuschen, oder?
Es ist also nicht alles schwarz-weiß in dieser Geschichte. Ich bin nicht der erste, der erkennt, dass eine kundennahe Marke positive Aspekte hat. Es ist schön, seine Kunden bei der Markteinführung eines Produkts einzubeziehen, sie über soziale Netzwerke einzubinden oder sie sogar Produkte testen zu lassen und ihr Feedback zu berücksichtigen, um die Benutzererfahrung zu verbessern. OnePlus macht das großartig.
Und ich bin mir auch sehr bewusst, dass Tribal Marketing nicht der einzige Faktor für die Bindung vieler Verbraucher an ihre Marke ist. Es gibt objektive Kriterien wie das Preis-Leistungs-Verhältnis, die Benutzeroberfläche, Hardware-Innovationen oder das Ökosystem, die Menschen dazu bringen, eine Marke mehr zu mögen als eine andere.
Aber es ist dieser Begriff des "Liebens", der mich stört und den ich gefährlich finde. Diese Gefühle sollte man bei einer Marke nicht haben. Natürlich kann ein Produkt Emotionen hervorrufen. Man kann ihm einen sentimentalen Wert beimessen, der aber nicht an einer Kommunikationsstrategie sondern an der eigenen Welt wachsen sollte. Aber was sollen wir sagen? Erst kürzlich haben wir in der AndroidPIT-Redaktion über jene Smartphones geschrieben, die den größten Eindruck auf uns hatten. Wir sind unseren Emotionen ausgeliefert.
Jede Marke macht manchmal gute Produkte und manchmal auch schlechte Produkte. Und das ist etwas, auf das man sie hinweisen muss – und ihr nicht verzeihen, weil man sie sowieso mag.
Das OnePlus 5 war mein erstes Android-Smartphone, und ich liebte das OnePlus 7T und machte es zu meinem täglichen Begleiter. Als OnePlus jedoch beim OnePlus 8 und OnePlus 8 Pro den Preis ein wenig zu weit nach oben trieb, war ich ganz klar anderer Meinung.
Ich empfinde keine "Liebe" für OnePlus. Ich verstehe mich gut mit der Marke, einige ihrer Produkte gefallen mir besser als jene von anderen Marken. Entsprechend traurig war ich über die Entlassungen in Europa – aber die Marke OnePlus an sich gefällt mir nicht. Wenn sie anfangen, schlechte Smartphones herzustellen, oder wenn ich sie zu teuer finde, werde ich sie nicht weiter unterstützen.
Andererseits hasse ich auch keine Marke, egal was die Sony-Fanboys unter einigen meiner Artikel sagen. Ich spreche kaum über Sony, weil deren Smartphones im Moment kaum eine Rolle spielen. Aber als mir angeboten wurde, das Xperia 10 II (Teaser) zu testen, habe ich das gerne angenommen.
Ebenso mag ich das iPhone nicht besonders gern, aber ich erkenne die Stärke von Apple und seinem unbestreitbar monumentalen Ökosystem.
Und ich bin sicher, dass viele von Euch die gleiche Philosophie haben. Man sollte einer Marke nicht zu treu sein, vor allem, wenn sie sich mehr auf die Kunden-Loyalität als auf die Qualität ihrer Produkte verlässt, um Euch zu überzeugen. Hören wir also mit dem Zank auf, denn am Ende haben wir alle andere Vorlieben. Oder?
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