Evan Blass, Ben Geskin oder Roland Quandt: Sie alle haben etwas gemeinsam: Gerätehersteller fürchten sie; Technik-Fans verehren sie. Sie sind der James Bond der Szene: Stürzen sich mutig in eine spektakuläre Investigativ-Recherche, finden irgendwo die wertvollen Quellen, schützen sie mit ihrem eigenen Leben und riskieren damit ihren Kopf bei Herstellern – und das alles, um uns den nächsten langersehnten Schuss zu ermöglichen. Die Sucht nach Produkt-Leaks – was steckt dahinter?
Ich bin befangen. Ich kann diese Frage gar nicht objektiv beantworten, weil auch ich jeden Tag mit dem Eingießen des ersten Kaffees ein bisschen von der süßen, beflügelnden Leak-Droge brauche, um in Fahrt zu kommen. Ich scrolle durch Twitter, recherchiere meine verlässlichen Quellen durch und schaue mir an, wer das nächste hochauflösende Bild des neuen Top-Smartphones von Samsung, Huawei und Co. ins Netz gestellt hat. Bin ich fündig geworden, macht es mir große Freude, meine Ausbeute mit Euch zu teilen. Aber das mit den Drogen ist halt keine gute Idee. Sie machen uns kaputt. Uns und vor allem auch die Hersteller.
Denn wenn wir Artikel vorab vorbereiten dürfen, ein Hands-On drehen, Hochglanz-Fotos knipsen, testen, was das Zeug hält und brav abwarten, die ganze Pyro endlich in Saus und Braus abzufeuern, gibt es nichts Schlimmeres, als ein Leak kurz vor der offiziellen Produkt-Vorstellung. Die ganze Arbeit ist dann natürlich nicht gleich umsonst, aber das ist so, als würde Euer Kind schon vor Heiligabend alle tollen Geschenke im Kleiderschrank entdecken und alle täuschten unterm leuchtenden Tannenbaum ihre Freude vor. Langweilig.
Während ein komplett geleaktes Smartphone-Setup uns also während der Presseveranstaltung Däumchen drehen lässt, hat der Hersteller des Produktes das Nachsehen. So eine Veranstaltung zu organisieren, kostet viel Geld, Koordination und Planung. Da steckt jede Menge Arbeit dahinter und ich frage mich mittlerweile, warum man nicht einen Bruchteil des Geldes, der Arbeit und der Koordination in eine bessere Geheimhaltung investiert als in einen über die Bühne lahmenden Porsche. Es muss machbar sein – wenn man es überhaupt will. Einmal mehr möchte ich hier Apple als positives Beispiel anbringen. Die Leaks der vergangenen Jahre lassen sich an einer Hand abzählen, deshalb ist ein Apple-Leak auch sowas wie die Über-Droge. Adrenalin pur, beflügelnd - eben weil es so selten was davon gibt.
Leak, Photoshop-Fake oder Rendering?
Klar, es reizt ungemein, ein vermeintliches Produktbild oder geleaktes Datenblatt zügig nach Erscheinen zu publizieren. Es trifft einen Punkt, die Leute scheint das zu interessieren, denn Leak-Artikel sind beliebt. Aber es nimmt mittlerweile überhand und das Interesse stirbt – spätestens – beim zehnten Konzept-Foto ab. Wir alle sind ein wenig down. Der Trip ist vorbei. Und das macht müde. Hinzu kommt, dass mittlerweile alles als “Leak” bezeichnet wird. Und sei es ein Foto, das richtig schlampig mit Paint für Windows 98 bearbeitet wurde – es findet einen Weg ins Netz. Aber wir haben ja noch unsere James Bond’s der Branche. Die sogenannten Leak-Experten sind wenigstens anspruchsvoll. Ben Geskin zaubert sagenhafte Konzepte, die er oftmals anhand von geleakten Daten erstellt und verbreitet. Evan Blass publiziert die richtig dicken Fische, und unsere deutsche Hoffnung, Roland Quandt, ist ein verlässlicher und ebenso anspruchsvoller Insider.
Was mich am allermeisten auf die Palme bringt, sind offensichtliche Fake-Leaks. Schlechte Photoshop-Bearbeitungen - eine Beleidigung für meine Augen und meinen Verstand. Wie Shu bereits zu seinen Flops des Jahres 2019 schrieb: "2020 sollten wir uns als Redakteure und auch als Leser weniger auf Leaks konzentrieren". Einigen wir uns hier auf besseres Selektieren. Denn auch wenn mir Hersteller und Mitarbeiter leidtun, wenn die Überraschung schon vor dem Event draußen ist: Auf meine tägliche Dosis möchte ich nicht verzichten, da mit ihr unsere Technik-Welt jeden Tag ein wenig berauschender wird.
Lasst uns in den Kommentaren diskutieren. Wie steht Ihr zu Leaks und Leak-Experten? Und glaubt Ihr, dass – vor allem kleinere – Hersteller manchmal bewusst eigene Produkte leaken, um im Gespräch zu bleiben?
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