Unsere Energieproduktion ist im dringend benötigten Wandel. Diesen Montag wurden laut Bundesnetzagentur 64 % des Stroms in Deutschland aus regenerativen Energien erzeugt – rund 15 % mehr als im Vorjahr. Das ist eine gute Nachricht, die aber auch eine Herausforderung bedeutet. Denn erneuerbare Energiequellen haben das große Problem, dass sie sich nicht steuern lassen.
In ein Fossile-Energien-Kraftwerk etwa können wir bei Bedarf einfach mehr Brennstoff kippen, und schon bekommen wir mehr Strom. Aber Sonne und Wind lassen sich nicht kontrollieren, sondern bestenfalls ein paar Stunden bis Tage vorhersagen.
Das bedeutet wiederum: Statt wie bisher die Energieproduktion an den Verbrauch zu Stoßzeiten anzupassen, müssen wir jetzt den Energieverbrauch an der Verfügbarkeit ausrichten. Hier ist das Smart Home ein ganz großer Baustein – und es gibt noch endlos viel zu tun.
Wir brauchen variable Stromtarife
In Deutschland wird Strom an der Energiebörse EEX in Leipzig gehandelt, die stundenweise unterschiedlichen Preise werden jeweils am Vortag um 12:00 Uhr in einer Auktion ermittelt und ab 12:40 Uhr bekanntgegeben. Je größer der Anteil erneuerbarer Energien, desto größer werden prinzipbedingt die Schwankungen. Das müssen wir ausnutzen.
Es gibt bereits mehrere Anbieter für variable Stromtarife, beispielsweise das in Berlin ansässige Start-Up Tibber. Hier zahlen die Kunden einen monatlichen Grundpreis, und alle weiteren Kosten werden direkt weiterberechnet – zum tatsächlichen EEX-Börsenpreis kommen noch Steuern, Netzentgelte und so weiter dazu.
Ein solcher Tarif ist die einfachste und direkteste Möglichkeit, alle Menschen mit einzubeziehen. Durch eine Belohnung des Energieverbrauchs zur richtigen Zeit lässt sich dieser steuern – denn wer mitmacht, kann richtig viel Geld sparen.
Die Möglichkeiten sind dabei endlos. Ob sich nun die smarte Spülmaschine automatisch tagsüber zur günstigsten Uhrzeit einschaltet, das Elektroauto den Akku möglichst günstig volltankt oder die Wärmepumpe den gut isolierten Brauchwasser-Speicher zur richtigen Zeit aufheizt. Es ist alles nur eine Frage der Steuerung.
Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt, der ebenso viel Potenzial bietet: Ihr könnt aus jeder Steckdose Strom entnehmen – und über einen netzsynchronen Wechselrichter durch jede Steckdose auch wieder ins Hausnetz einspeisen. Akkus zu Hause ließen sich also zu günstigen Zeiten volltanken und der Strom dann zu Hochpreiszeiten ins Hausnetz einspeisen und anstelle des teuren Netzstroms nutzen. Natürlich gibt es hier einen gewissen Umwandlungsverlust von Wechselstrom zu Gleichstrom und wieder Wechselstrom. Aber typischerweise liegt die Effizienz von guten Wechselrichtern für einen Roundtrip durch den Akku bei 80 %.
Theoretisch ließe sich billig eingekaufter Strom sogar über das Hausnetz hinweg zurück ins Stromnetz einspeisen, idealerweise natürlich wenn das Netz Energiebedarf hat respektive der Energiepreis hoch ist. Das klappt bereits jetzt mit Solarzellen oder entsprechenden Heimenergiespeichern. Und mit irgendwann einmal flächendeckend verfügbarem bidirektionalem Laden in Elektroautos könnte theoretisch auch der gesamte elektrische Fahrzeugbestand in Deutschland als Pufferbatterie fürs Netz dienen.
Nur um das Potenzial mal ganz grob einzuordnen: Anfang 2023 hat die Zahl der E-Autos auf dem deutschen Markt die 1-Millionen-Schallmauer durchbrochen. Nehmen wir eine mittlere Akkukapazität von 65 kWh an, dann landen wir bei insgesamt 65 GWh. Nur zum Vergleich: Deutschlands größtes Pumpspeicherkraftwerk Goldisthal hat eine Kapazität von "nur" 1 GWh. Die Dimensionen sind also gewaltig, selbst wenn E-Auto-Nutzer nur einen kleinen Anteil ihres Auto-Akkus zur Verfügung stellen, um immer ausreichend Reichweite vorzuhalten.
Auch die in den vergangenen Jahren so populären Powerstations ließen sich als Speicher dem Netz zur Verfügung stellen. Dank immer weiter verbreiteter LiFePO4-Technologie halten moderne Powerstations mühelos ein Jahrzehnt tägliches Laden und Entladen durch – und könnten als Teil eines dezentrales Pufferspeichers dem Nutzer sogar Geld einbringen. Man bräuchte dazu nur einen Akku-Wechselrichter wie den EcoFlow PowerStream, um den gespeicherten Strom nicht nur ins Hausnetz, sondern auch ins Stromnetz einzuspeisen.
Das Startup Daylight.eco hat exakt so ein Produkt im Auge. Im Spätsommer dieses Jahres plant das Start-Up, einen Akku auf den deutschen Markt zu bringen, der nichts anderes macht, als billig zu tanken und den Strom dann später wieder ins Hausnetz einzuspeisen. Die Anschaffung soll sich – wie ein Balkonkraftwerk – in wenigen Jahren amortisieren, dem Nutzer Geld sparen und gleichzeitig das Netz entlasten.
Das große Problem: Es fehlt an Standards
Was steht also einem Netz im Weg, das sich smart als ganzes reguliert? Wir brauchen flächendeckend die entsprechende Hardware – also mindestens digitale Stromzähler, die notfalls über ein Zusatzgadget wie den Tibber Pulse den Verbrauch stündlich protokollieren. Die aktuell in Deutschland nachgerüsteten digitalen Zähler bieten leider keinen Drahtlos-Funk.
Besser als ein reiner Verbrauchszähler aber wären flächendeckende Zwei-Wege-Zähler, wie sie für Besitzer von Solaranlagen schon lange Pflicht sind. Mit ihnen lässt sich nicht nur der Verbrauch präzise messen, sondern auch das Einspeisen – und letzteres dann natürlich entsprechend vergüten. Statt einer fixen Einspeisevergütung von aktuell knapp 10 Cent brauchen wir außerdem – genau wie bei den Verbrauchstarifen – eine variable Einspeisevergütung, die die Anschaffung von bidirektionalen Wallboxen oder einspeisefähigen Powerstations – und damit ein dynamisches Entlasten des Stromnetzes – attraktiv macht.
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Ja, es kann auch heute schon jede Privatperson ihren Solarstrom an der Energiebörse zum jeweiligen Stundenpreis verkaufen. Allerdings sind die Regeln dafür unendlich kompliziert. Wer schon einmal ein Balkonkraftwerk angemeldet hat, kann sich das Formularchaos ausmalen.
Wenn wir etwas ganz großes – und das ist die Energiewende – schaffen wollen, dann müssen alle mitmachen; und es ist an der Regierung, alle zum Mitmachen zu ermutigen und zu befähigen. Dynamische Stromtarife werden in Deutschland in naher Zukunft eine größere Verbreitung finden, und wir brauchen Möglichkeiten, diese voll auszunutzen. Vor allem die bürokratischen Hürden müssen niedriger werden.
Immerhin: Bei den bürokratischen Hürden wird sich dank der aktuellen PV-Strategie der Bundesregierung zeitnah einiges tun, gerade was steckerfertige Solaranlagen beziehungsweise Balkonkraftwerke angeht. Auch dank der Petition des YouTubers Andreas Schmitz hat das Thema Fahrt aufgenommen. Aber all dies sind nur erste Schritte und noch nicht das Ziel. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, den wir alle gemeinsam mit kleinen Schritten beschreiten müssen – und wir bei NextPit wollen mit dabei sein.
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