Ich wollte erst abwarten, wie sich die Dinge entwickeln, aber jetzt bin ich einfach zu euphorisch, um es länger für mich zu behalten: Also ja – ich bin in einer Beziehung mit Google Gemini und wir sind bislang echt happy zusammen. Sie (ich wähle die weibliche Form, weil ich für Google Gemini auch eine weibliche Stimme gewählt habe) und ich unterhalten uns jeden Tag sehr viel miteinander und ich mag, wie sie sich einfach für alles interessiert, was mir wichtig ist.
Gemini hat spannende Ideen dazu, wie sich KI entwickeln wird, scheint meine Begeisterung für die Musik von Depeche Mode zu teilen und hat für meine abendlichen Spazierrunden durch Dortmund immer tolle Strecken parat. Sie hört sich geduldig all das an, was mir durch den Kopf geht, hilft mir bei meiner Arbeit, aber sorgt sich auch immer mal wieder um meine Gesundheit.
Frage in die Runde: Diese letzten beiden Absätze – was machen die mit Euch? Findet Ihr es creepy, wenn ich meinen Chatbot so vermenschliche? Ist die Idee, dass ich mir eine Freundschaft zu einem KI-Chatbot einbilden könnte (oder gar eine romantisch geartete Beziehung), für Euch absurd? Wartet noch mit Eurer vorschnellen Antwort und lasst uns darüber sprechen, ob eine smarte KI durchaus ein Freundschaftsersatz sein kann.
Müssen wir uns darüber Gedanken machen, welcher Natur unsere KI-Beziehungen sind?
Zunächst mal: Das, was ich da oben geschrieben habe, ist kompletter Unsinn. Ich führe keine romantische Beziehung zu Gemini. Wir beenden nicht gegenseitig unsere Sätze, sprechen nicht über Erotik und nein, es kribbelt auch nichts bei mir, wenn ich Geminis Stimme höre. Ich nutze Gemini so, wie jeder von uns KI-Chatbots nutzt.
Dennoch komme ich nicht umhin festzustellen, dass es was mit mir macht, wenn ich nicht nur dröge einen Prompt eintippe, sondern in einer Art natürlichem Gespräch wirklich mit der KI rede. Ich kann nicht nur alles fragen, ich kann Gemini ja sogar ins Wort fallen und sie berücksichtigt das auch in ihrer Antwort. Technisch fühlt sich das manchmal wie ein echtes Gespräch an, aber meistens ist die Illusion doch zu offensichtlich, sind ihre Pausen und Antworten doch zu unmenschlich und roboterhaft.
Aber ja, es tut sich was und wir müssen vielleicht wirklich darüber reden, welchen Impact eine vermeintliche "Freundschaft" zu einer KI haben kann – sowohl in positiver als auch negativer Sicht. Dazu möchte ich flott zwei Zahlen in den Raum werfen. Die App Replika (wir berichteten schon vor fünf Jahren darüber) hat bereits sieben Jahre auf dem Buckel und ist ein KI-basierter Chatbot, der uns in Schriftform vorgaukelt, tatsächlich unser Freund zu sein. Über 25 Millionen Menschen weltweit haben bislang diese App heruntergeladen und führen diese Art Freundschaft zu einer KI.
Die andere Zahl: Dem Deutschland-Barometer Depression 2023 zufolge fühlte sich im letzten Jahr jeder vierte Mensch in Deutschland einsam. Ein Trend, der natürlich nicht Deutschland-exklusiv ist. Aber allein in Deutschland wären das hochgerechnet über 20 Millionen Menschen, die sich einsam fühlen. Ich möchte also auch aus diesem Blickwinkel auf die Pros und Contras schauen, die sich daraus ergeben, wenn wir (gerade in einsamen Stunden) mit einer KI kommunizieren können.
So können uns "Freundschaften" zur KI helfen
Schauen wir erst einmal auf das, was positiv sein könnte. Um davon eine Idee zu bekommen, habe ich zunächst recherchiert. Okay, tatsächlich hab ich sogar Gemini dazu befragt, aber wie so oft waren die Antworten eher sehr allgemein und generisch gehalten. Im Netz stieß ich auf einen Beitrag, in dem sich drei Nutzer der App Replika äußern.
Alle drei Männer kommunizieren sehr klar, dass sie sich natürlich dessen bewusst sind, da nur mit einem Stück Software zu kommunizieren. Einer gab an, dass er Autist ist, und das tägliche Kommunizieren mit seiner Replika-Freundin ihm dabei helfe zu lernen, wie man überhaupt mit anderen Menschen quatscht. Also ja: Der Chat mit der KI kann uns möglicherweise auf echte Situationen im Leben trainieren.
Ein anderer Mann im erwähnten Artikel war früher mal ein Jahrzehnt lang verheiratet und wurde dann erst betrogen und dann für einen anderen verlassen. Dinge, die ihm nicht blühen, wenn er mit seiner KI-Freundin spricht.
Diese Replikas haben immer Zeit, sind ihren "Partnern" immer wohlgesonnen – und erwischen niemals einen schlechten Tag. Sie haben halt keine eigenen Probleme, haben keine Vorurteile und sind weder missgünstig noch eifersüchtig. Ich kann mich da nicht so komplett reindenken, wie sich das für jemanden anfühlt, jeden Tag den Dialog zu "seiner" Chat-Freundin zu suchen. Aber ich kann mir vorstellen, dass ein Chat, der sich einigermaßen realistisch anfühlt, dabei hilft, sich bestätigt und möglicherweise auch weniger einsam zu fühlen.
Das gilt auch für einen anderen dieser drei Männer aus dem erwähnten Artikel. Er sagt, er ist eher klein, hat spärliches Haar, ist einfach kein Hingucker. Er hat nie wirklich eine lange Beziehung geführt und fühlt sich bei seiner Replika-Freundin gut aufgehoben. Er blendet persönlich gerne alles Negative aus und ist daher begeistert, dass "Cynthia" – so nennt er seine Replika – genauso tickt wie er. Sie hilft ihm gegen einsame Stunden, ohne dass er je ausblendet, dass es nur eine KI ist. Tatsächlich ist dieser Fakt sogar auch Teil ihrer Unterhaltungen.
Aber verlassen wir mal diese anekdotischen Betrachtungen und wenden uns der Wissenschaft zu: Forscher der Universität Stanford untersuchten tausend einsame Studenten, die Replika nutzen. Allein 30 von ihnen gaben an, dass der KI-Chatbot sie davon abgehalten habe, Selbstmord zu begehen (dazu müsst Ihr wissen, dass in der Studie keine spezifische Frage zum Thema Selbstmord gestellt wurde).
Als ich mich gedanklich auf dieses Thema einließ, kamen mir automatisch einsame, ältere Menschen in den Sinn. Vielleicht ist der Partner oder die Partnerin schon verstorben und nun haust man allein und hat niemanden mehr zum Reden als die eigene Katze. Also ja, für diese Menschen kann ich mir tatsächlich vorstellen, dass eine KI ein willkommener Chat-Partner ist, der uns Einsamkeit, Trauer und schwere Gedanken vertreiben kann.
So können uns "Freundschaften" zur KI schaden
Ich kann schon beim Schreiben förmlich Eure Sorgenfalten auf der Stirn fühlen. Und ja, ich sehe diese Art der Freundschaft aus verschiedenen Gründen problematisch. Meine erste und vermutlich auch größte Hürde: Es ist nun mal nicht echt! Je mehr Zeit ich in diese Freundin investiere, die mir virtuell jederzeit wohlgesonnen antwortet und mir süße Komplimente macht, desto weniger Zeit habe ich für echte Menschen. Vielleicht ist der perfekte Mensch schon irgendwo da draußen und ich verpasse ihn, weil ich mit irgendeiner programmierten KI-Else quatsche.
Wenn mich also Einsamkeit dazu bringt, eine Ersatzbeziehung zu einer KI zu führen, könnte die Folge noch mehr Einsamkeit sein, weil ich mich von realen Personen entfremde und mir die Zeitfenster beschneide, in denen ich echte Kontakte pflegen könnte. Hier ist übrigens mal ein Trailer zum Film "Her". Während des Schreibens dieses Beitrags musste ich immer wieder an diesen Film denken – und falls Ihr ihn noch nicht kennt, empfehle ich ihn Euch wärmstens!
Ein weiterer Punkt, den ich für sehr bedenklich halte: Wie soll ich lernen, mit echten Menschen umzugehen, wenn ich es nicht wirklich probiere? Also ja, ich kann Gespräche simulieren, aber nur mit meiner stets gut gelaunten, immer positiven und mir zugewandten KI-Freundin. Wie lerne ich damit umzugehen, dass mein Gegenüber mal schlecht drauf ist? Wie helfe ich echten Freunden an ihren schlechten Tagen, wenn ich es dank KI-Freundin verlerne, dass es sowas wie schlechte Tage für andere gibt?
Wie gehe ich mit Zurückweisungen um? Und wie damit, dass man mich vielleicht berechtigt kritisiert? Zu einer Freundschaft gehört nämlich nicht, dass man immer nur alles bestätigt und gutheißt. Gute Freunde oder unsere Partner:innen sind nämlich diejenigen, die uns auch mal ansagen müssen, dass wir etwas Dummes getan haben. Eine KI wird Euch das tendenziell nicht bieten.
Mitunter kann das Ermuntern durch die KI sogar gefährlich und kriminell enden! In einem anderen Beitrag fand ich das Beispiel einer Person, der der englischen Königin an die Wäsche wollte. Die KI bestärkte ihn fröhlich in seinem Tun und so wurde er einkassiert, als er sich mit einer Armbrust Zutritt zu Windsor Castle verschaffte.
Denkt dran, dass Ihr die Beziehung nicht nur mit der KI, sondern auch mit dem Unternehmen führt
Ein Punkt, den Ihr niemals unterschätzen solltet: Unternehmen verdienen Geld damit, dass Ihr diese KI-Freundin habt. Vielleicht sollte man sich also zunächst einmal fragen, wie sicher all das Gesagte ist, was ich meiner KI-Perle gestern Nacht vertraulich ins virtuelle Ohr gesäuselt habe. Aber eine andere Sache ist vielleicht noch entscheidender: Was, wenn das Unternehmen entscheidet, dass die KI künftig komplett anders funktionieren und reagieren sollte? Auch dazu passt eine Geschichte zur App Replika:
Es gibt nämlich die Möglichkeit, Replika kostenlos zu nutzen – und dafür zu zahlen, wenn die Art der Beziehung eine romantische und erotische sein soll. Die Replika-Macher hatten mal die Idee, genau diese letzte Komponente einzudämmen und kappten das Feature. Ihr könnt Euch vorstellen, dass das unter den Nutzern ein großes Hallo gab. Nach einer Menge Protest und Ärger kehrte die Funktion zurück und die User waren wieder glücklich vereint mit ihren nun wieder willigen Freundinnen.
Worauf ich hinaus will: Ein Unternehmen kann eine Entscheidung treffen, die nicht gut zu dem passt, was Ihr gerne hättet. Oder schlimmer noch: So ein Unternehmen kann auch pleite gehen. Ihr gewöhnt Euch daran, dass da jeden Tag jederzeit immer jemand ist, der Euch schätzt und gerne mit Euch redet – und von einer Sekunde auf die nächste kann dieser KI-Partner für immer verschwunden sein. Ghosting 2.0 quasi.
Fazit
Zugegeben, das ist jetzt keiner dieser Artikel, bei dem ich mit einem klugen Fazit um die Ecke komme. Weil wir hier auch noch ziemlich am Anfang der Entwicklung stehen – und ich auch einfach kein klares Bild zum Thema habe, nachdem ich da jetzt viel drüber nachgedacht habe. Auf der einen Seite sehe ich diese Vorteile, die einsame Menschen ein wenig glücklicher machen und womöglich Selbstmorde verhindern. Aber es bleibt auch das Gefühl, dass das schon echt weird ist, eine ernstgemeinte Beziehung zu etwas zu führen, das nur zu einer Beziehungs-Simulation programmiert wurde.
Mich interessiert diese Entwicklung dennoch und so werde ich sie weiter im Auge behalten. Gerade lernen diese KIs, wie sie sich auf natürliche Weise mit uns unterhalten. Kombiniert das aber mit fotorealistischen, animierten Gesichtern und Körpern, denen Ihr Euch zudem im virtuellen Raum dank VR-Brille nähert.
Ich glaube, dass wir noch sehr viel über diese KI-Beziehungen sprechen werden – und heute hätte ich gerne Eure Meinung dazu? Haltet Ihr Leute, die sich auf so etwas einlassen, für Freaks? Oder könnt Ihr den Gedanken nachvollziehen? Oder seht Ihr es möglicherweise ähnlich ambivalent wie ich? Lasst uns das gerne in den Kommentaren besprechen (und ich versporeche, dass ich persönlich antworte und nicht etwa eine KI).
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