Meinung: Genervt von KI-Musik? Wir sind doch selbst schuld!

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Meinung: Genervt von KI-Musik? Wir sind doch selbst schuld!
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Musik ist für mich ein Lebenselixier, und KI ist vermutlich die wichtigste Errungenschaft unserer Generation. Aber wenn beides zusammenkommt, bin ich oft zerknirscht. KI-generierte Musik wird immer besser, ist manchmal kaum noch von "echter" Musik zu unterscheiden und überflutet uns jetzt schon, beispielsweise auf YouTube und Spotify. Das Schlimme daran: Ich fürchte, wir sind selbst schuld an dem Übel und ich verrate Euch auch, wieso ich das denke. 

Hach, Musik – wo wäre ich nur ohne Dich? Es muss etwa so 1978 gewesen sein, als der kleine, siebenjährige Casi, ausgestattet mit zeitgemäßem Seitenscheitel und kindlicher Neugier, entdeckte, dass der Kassettenrekorder im Wohnzimmer auch eine Radio-Funktion hatte. Sehr verrauscht konnte man RTL hören, und so öffnete sich ein magisches Portal in eine wunderbare musikalische Welt.

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Fortan verbrachte ich täglich Stunden vorm Radio. Entdeckte alte Helden wie die Beatles und Elvis, verliebte mich 1982 zuerst in die Musik von Depeche Mode und dann vier Jahre später zur Musik von Depeche Mode erstmals in ein Mädchen. Depeche Mode wurden der Soundtrack meines Lebens, aber Musik generell war ganz oft so etwas wie der Treibstoff, der mich funktionieren ließ, und das bis zum heutigen Tag.

Fast forward: Wir haben 2025 und es reichen wenige Sekunden, um mittels Prompt einen kompletten Song zu generieren. Letzten Sommer schaffte es ein solcher KI-Song in den offiziellen deutschen Charts immerhin bis auf Platz 48, und bereits ein Jahr vorher ging eine Nummer viral, die verdächtig nach einer Coop zwischen Drake und The Weeknd klang – aber auch hier waren die Stimmen einfach nur täuschend ähnliche KI-Varianten.

Wir leben also in Zeiten, in denen wir sowohl Musikinstrumente als auch Stimmen aus dem Nichts erzeugen können. Okay, "aus dem Nichts" ist natürlich Quatsch, denn mit irgendwas wurde die künstliche Intelligenz ja schließlich trainiert. Das soll aber heute nicht das Thema sein. 

Das Problem mit KI-Musik

KI-generierte Musik wirkt auf uns ja grundsätzlich erst einmal harmlos – sie klingt irgendwie okay, ist mitunter witzig, sie dudelt im Hintergrund und fügt sich reibungslos in die Algorithmus-Playlists ein. Doch genau darin liegt das Problem. Oder besser gesagt, die Probleme, denn ich hab derer sechs ausgemacht:

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1. Austauschbarkeit statt Originalität

KI produziert Musik auf Basis bestehender Muster. Das Ergebnis: Songs, die sich gut in Playlists einfügen, aber selten überraschen oder herausfordern. Musik wird zum Einheitsbrei – schnell produziert, schnell konsumiert, schnell vergessen.

2. Keine echte Emotion

So sehr KI auch versucht, menschliche Gefühle zu imitieren – sie erlebt keine. Was fehlt, ist das Persönliche, das Unperfekte, das, was echte Musik lebendig macht. Viele hören den Unterschied vielleicht nicht bewusst – aber glaubt mir, sie fühlen ihn.

3. Verdrängung echter Künstler:innen

Plattformen wie Spotify fluten ihre Systeme mit KI-Tracks, weil sie billig und effizient sind. Menschliche Musiker:innen kämpfen damit um Sichtbarkeit – und Einkommen. Wer nicht in Playlists landet, existiert kaum.

4. Ist Musik überhaupt noch was wert?

Wenn Musik in Sekundenschnelle erzeugt werden kann, verliert sie an Wert. Der kreative Prozess, die persönliche Handschrift, die Geschichte hinter einem Song – all das wird entbehrlich. Musik wird spätestens jetzt zur Ware.

5. Der Algorithmus beherrscht uns

KI-Songs sind perfekt auf Streaming-Ziele getrimmt: kurze Intros, eingängige Hooks, hohe Skip-Resistance. Dadurch wird ein System gefüttert, das ohnehin schon darauf ausgelegt ist, „funktionierende“ Musik zu pushen – nicht unbedingt gute.

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6. Rechtliche und ethische Grauzonen

KI kann Stimmen und Stile realer Künstler:innen imitieren. Das wirft Fragen auf: Wer besitzt so einen Song? Wer trägt Verantwortung, wenn Grenzen überschritten werden? Die Regeln hinken der Technik deutlich hinterher.

Wir sind selbst schuld an der Misere!

Aber was bringt mich zur Idee, dass wir uns diese Situation selbst eingebrockt haben? Schließlich sind wir doch nur die kleinen Konsument:innen am Ende der Musik-Nahrungskette, richtig? Ja, mag sein. Aber in diese Lage haben wir uns selbst manövriert, alle zusammen – und zwar an der Seite von Musikindustrie, Künstler:innen und allen anderen, die irgendwo irgendwas mit Musik am Hut haben. 

Eine kleine Historie des Musikkonsums

Vielleicht ging das schon mit der CD los. Sie war viel transportabler als Vinyl, nichts knackte und knisterte. Videotheken führten damals CD-Abteilungen ein, in denen man sich die Chartbusters für kleines Geld nach Hause holen (und auf Tape überspielen) konnte. Später konnten wir Alben auf CD auch schlicht direkt auf Rohlinge brennen, aber zudem eroberte längst das MP3 das Internet. Ab da stellten wir uns unsere CDs selbst zusammen – so etwas wie die digitale Version des guten, alten Mix-Tapes. 

Napster, Torrents usw. sorgten dafür, dass wir uns illegal riesige Musikkataloge kostenlos auf die heimischen Festplatten schaufeln konnten. Natürlich hat da nicht jeder mitgemacht. Erstaunlich war es dennoch, wie viel kriminelle Energie sich bei gleichzeitigem Gefühl totaler Unschuld in uns Bahn brach. Über den Umweg des kostenpflichtigen MP3-Downloads bei u.a. iTunes, Google und Amazon landeten wir schließlich beim Streaming und Spotify. 

Der Algorithmus ist der Endboss

Müsste der kleine Casi von damals nicht total happy sein? Wo ich mir damals nur eine Maxi-Single oder ein Album im Monat leisten konnte, avancierte ich nun zum vielfachen Song-Millionär. Ich liebe immer noch meine Playlists (wie meine fast fünf Tage lange 80s-Playlist), hab meine damaligen Lieblingsalben in meinen Favoriten und freue mich dennoch immer noch über spannende Neuentdeckungen. 

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Aber unmerklich veränderten sich Hörgewohnheiten. Schon mit den MP3-Downloads sank die Relevanz des Albums, und wir bastelten uns lieber eigene Zusammenstellungen. Mit Spotify schließlich übernahm der Algorithmus die Kontrolle. Er hat durchaus seine Vorteile, denn er konnte erkennen, was ich gerne höre – und mir auf dieser Basis Dinge vorschlagen, die ich möglicherweise ebenfalls mag. 

Der Algorithmus musste nun aber auch von Künstler:innen bedient werden. Will man in die wirklich erfolgreichen wichtigen Playlists reinrutschen, kann man es sich nicht erlauben, zu anders zu klingen. Dazu kommt der finanzielle Druck, weil bis auf einige wenige Megastars kaum noch jemand Geld mit Musik verdienen konnte. Spotify spuckt nur Cent-Beträge aus, also muss man dafür sorgen, dass der eigene Kram so oft wie möglich gestreamt wird. 

Dieser Stream gilt als gezählt, wenn er 30 Sekunden lang läuft, ohne weggedrückt zu werden. Was haben die Produzierenden also getan? Sie produzierten nun so, dass kaum noch Zeit mit Intros verschwendet wurde und man direkt in den ersten 30 Sekunden so ziemlich alles um die Ohren bekam, was der Song zu bieten hat. Außerdem wurden die Lieder immer kürzer. Klar, wenn ich ein Album mit 20 kurzen Songs höre, springt für die Band mehr heraus, als wenn das Album aus sechs epischen Neunminütern besteht. 

Was das jetzt alles mit KI-Musik zu tun hat? Ach sorry, ich dachte, das wäre klar geworden. Wir haben uns von der Haptik und dem Artwork des Vinylalbums verabschiedet, von der Klangqualität der CD, von der Albumstruktur, und von der Originalität einzelner Songperlen. Geblieben ist Musik, die gemeinsam Hand in Hand ums goldene Kalb "Algorithmus" herumtanzt. Sie wird so glatt geschliffen, dass der Algorithmus sie liebt. Musik wird so auf eine Formel reduziert. Der Song ist kurz, klingt bekannt, bricht aus keinem Muster aus, kann schön leicht wegkonsumiert werden, ohne dass sich jemand daran stört. 

Und wer mag schön einfache Formeln (jenseits von einem der reichsten Europäer, Daniel Ek, der es als Spotify-Boss zu 8,2 Milliarden US-Dollar brachte)? Haargenau: KI! Je deutlicher KI einen Stuhl erkennen kann, desto besser kann sie im Bild einen Stuhl reproduzieren. Je deutlicher eine Reimform erkennbar ist, desto besser wird das von KI gefertigte Gedicht. 

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... und je klarer und deutlicher die Formel für einen bekömmlichen, auf Streaming optimierten Popsong ausgestaltet ist, desto besser liefert Euch KI einen – na ja – bekömmlichen, auf Streaming optimierten Popsong. Aus Bequemlichkeit und besoffen von der Auswahl verfügbarer Songs haben wir zugelassen, dass unsere Charts von austauschbarer Ware durchflutet wurde, die wir nicht lieben, sondern konsumieren. 

Musik ist für viele ein Geräusch geworden, das nebenher läuft, wenn wir am Handy daddeln, den Hausputz erledigen, Quatsch reden oder uns lieben. Eure Kinder werden vielleicht keine Stars mehr anhimmeln – weil sie ihr eigener Star sind, der sich seine Musik selbst erstellt. Wir haben die kreative Fallhöhe von Charts-Musik so lange beschnitten, dass sie heute perfekt auf Höhe des Teppichs in Eurem Musikzimmer abschließt.

Und wenn unsere "Stars" Musik auf den Markt werfen, deren Melodien wir schon Sekunden nach dem Fade out vergessen haben, und wir sie trotzdem weiter konsumieren – dann haben wir jeden Anspruch verspielt, uns über künstlich generierte Musik zu echauffieren. 

Epilog:

Was wie ein Abgesang auf Musik klingt, ist natürlich nur ein möglicher Blickwinkel und natürlich auch schrecklich verallgemeinert. Selbstverständlich gibt es immer noch kreative Künstler:innen (wie beispielsweise Ren, checkt dringend mal seinen Kanal aus!). Und es wird immer Bühnen geben, vor denen sich Menschen versammeln, die vor den Augen echter Musiker:innen feiern, singen, springen und schwitzen wollen. Aber es ist trotzdem traurige Gewissheit: KI-Musik ist gekommen, um zu bleiben – und wir haben ihr selbst die Tür geöffnet und sie freundlich hereingebeten.

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