Ich weiß, ich weiß! An Weihnachten geht es nicht um die Geschenke, sondern um das Zusammensein! Nachdem ich aber im letzten Jahr alleine in Berlin verbracht habe – Ihr erinnert Euch an meine #Alleihnachten? – will ich ungern in diesem Jahr ohne ein paar Nettigkeiten nach Ostwestfalen-Lippe reisen. Wenn ich mir die Berichte über die Weltwirtschaft aber so anschaue, sehe ich da keine rosige Zukunft.
Selbst Smartphone-Hersteller kommunizieren inzwischen offen, dass sie Bammel vor der Weihnachtszeit und vor allem vor der "Schnäppchenzeit" im November haben. Zur Vorstellung des neuen Nokia T20 verriet HMD Global, dass selbst Bestellungen von Stückzahlen um die 50.000 aktuell eher schwierig seien. Das veranlasste den Hersteller sogar dazu, auf einen Unisoc-SoC statt auf Qualcomm oder MediaTek im neuen Tablet zu setzen. Was HMD Global hier so offen kommuniziert, betrifft aber auch große Hersteller.
Wie sieht es aus bei Samsung, Xiaomi und Co.?
Was macht man als findiger Journalist, wenn Google keine Antworten liefert? Richtig, man googlet noch einmal weiter und fragt dann aber tatsächlich nach. Xiaomi, OnePlus und weitere Hersteller konnten oder wollten mir zu Lieferengpässen um die Weihnachtszeit keine Auskunft geben. Stattdessen hatte ich bei Samsung Erfolg, die diesbezüglich ein wenig transparenter waren:
Die aktuellen Schwankungen des Halbleitermarktes sind in der gesamten Technologie-Branche und darüber hinaus zu spüren. Wir bei Samsung bemühen uns, die Auswirkungen dieser Schwankungen bestmöglich auszugleichen und arbeiten weiterhin intensiv mit unseren Partnern zusammen, um diese Herausforderungen in unserer Lieferkette zu meistern. – Statement von Samsung zur Frage, ob zu Weihnachten mit Lieferengpässen zu rechnen sei
Kurz gesagt: Ja, Lage ist kritisch! Man arbeitet aber mit Partnern zusammen, um die Herausforderungen zu meistern. Ob das auch gelingt, ist aber mehr als unklar. Samsungs Antwort zeigt aber noch etwas: Wenn sich selbst Elektronikriesen wie Samsung, die sogar ihre eigenen SoCs herstellen, auf die Schwankungen vorbereiten müssen, dann scheint wirklich was im Busche zu sein. Aber was ist im vierten Quartal 2021 eigentlich das Problem?
Wer klaut eigentlich unsere Weihnachtsgeschenke?
Die Weltwirtschaft besteht aus einem dichten Netz an Unternehmen, die Materialien aus der Erde graben, Produzenten, Zulieferern, Herstellern und letztendlich dem Einzelhandel samt uns Kund:innen. Kauft Ihr ein Smartphone, stammen dessen Komponenten nicht nur per se aus aller Welt, zum Zusammenschrauben wird das Handy am Ende noch einmal in Einzelteilen durch die Welt geschickt, da die Arbeitskräfte dort günstiger sind.
Diese Differenzierung der Arbeitsschritte hat den Vorteil, dass Handys mit neusten Technologien unter 400 Euro kosten. Gleichzeitig ist dieses System aber überraschend fragil. Denn wenn nur ein Glied in dieser Kette ausfällt, stehen die restlichen mit leeren Händen da. Warum hier nicht "mit leeren Lagern" steht, dazu kommen wir später.
Michelle Brey vom Merkur nennt zwei Ereignisse als Gründe für die aktuellen Lieferengpässe: Zum einen das bereits angesprochene Drama rund um das Containerschiff "Ever Given", das im Suezkanal feststeckte. Zum anderen die Hafenschließungen in China zur Eindämmung der Corona-Pandemie.
Auch wenn diese Faktoren einen großen Teil zur Lieferkettenkrise beigesteuert haben, greifen sie das tieferliegende Problem nicht ganz. Denn ein wichtiger Grund ist die Art und Weise, wie Waren überhaupt produziert werden .
Just-in-time-Produktion lief lange Zeit sehr gut
Ein Begriff, auf den ich während meiner Recherche immer wieder gestoßen bin, ist die "Just-in-time-Produktion", die auf Deutsch auch "bedarfssynchrone Produktion" genannt wird. Das Prinzip ist so einfach wie effektiv. Statt bei der Produktion einer Spielekonsole alle Einzelteile auf Lager zu haben, wird der Fertigungsprozess sequenziert und mit der Beschaffung von Teilen synchronisiert.
Zulieferung und Fertigung werden dann so aufeinander abgestimmt, dass die benötigten Komponenten zum richtigen Zeitpunkt und in der benötigten Menge vorliegen. Im Optimalfall senkt das die Kosten für die Lagerung, das Lagerrisiko auf Seiten des Abnehmers und die Durchlaufzeiten und die Kapitalbindung auf Seiten des Zulieferers. Eine-Win-Win-Situation – bis im letzten Jahr alles schief ging.
Denn Ereignisse wie das feststeckende Schiff im Suez-Kanal, die Hafenschließungen in China, die anhaltende Dürre in Taiwan, die den Chip-Hersteller TSMC an der Produktion hinderte, die Not an LKW-Fahrer:innen in Großbritannien und viele weitere Probleme bringen ein derart fein aufeinander abgestimmtes System massiv ins Stocken. Schließlich gibt es keine Kompensationsmöglichkeiten, wenn Lieferungen plötzlich ausfallen. Wir haben die Produktion ja perfekt auf die Anlieferung von Waren abgestimmt. Lagerbestände können nicht ausreichen, wenn die Lieferkette keine Lager mehr enthält.
Was damals an Lagerflächen für Einzelteile gespart wurde, wird jetzt zudem für halbfertige Produkte gesucht. Merkur berichtete im Oktober über den Bedarf an Parkplätzen, die Autohersteller für halbfertige Fahrzeuge benötigen. Dort müssen sie so lange stehen, bis die benötigten Einzelteile geliefert werden – so lange müssen Auftraggeber:innen warten!
Um keine Verwirrung zu verbreiten: Die Logik der bedarfssynchronen Produktion bezieht sich natürlich nur auf die Produktionsketten. Großhändler wie Amazon, Saturn oder MediaMarkt kaufen Waren natürlich so an, dass sie Lieferengpässe eine Zeit lang kompensieren können. Nur ist da natürlich auch irgendwann Schluss. Es muss also eine Lösung her.
Wie löst die Wirtschaft das Problem?
So wie viele Nachwirkungen der Coronakrise werden sich die Probleme in der Elektronikbranche auf lange Sicht einpendeln. Häfen werden ihre ursprüngliche Kapazität beispielsweise unter Einhaltung neuer Hygienekonzepte wieder erreichen können und spätestens im nächsten Jahr sollen die Lieferketten Analysten zufolge wieder reibungslos laufen. Für essenzielle Güter wie Lebensmittel sieht der Ökonom Vincent Stamer im Interview mit der Zeit übrigens keine Probleme. Also rennt jetzt nicht wieder in den Supermarkt und kauft 500 Rollen Klopapier! Und auch für die Elektronikbranche gibt es einige kreative Lösungsansätze.
Der Hersteller Canon beispielsweise hat die Lieferengpässe von Motherboards bei Multifunktionsgeräten im industriellen Einsatz dadurch kompensiert, dass die Geräte erst einmal ohne Hauptplatine versandt werden. Die Motherboards werden bei Verfügbarkeit nachgeliefert und von einem Mitarbeiter eingebaut. Das beschleunigt den Lieferprozess natürlich ein wenig, sorgt aber auch für etliche "defekte" Drucker in Büros, die erst in unbestimmter Zeit nutzbar werden.
Für den Einzelhandel, aus dem wir unsere Produkte ziehen, sind solche Lösungen zudem nicht wirklich denkbar. Wer will eine PS5 kaufen, die erst in den nächsten Monaten einen Prozessor bekommt? Als Endverbraucher:innen müssen wir also Wohl oder Übel geduldig sein und damit rechnen, dass Onlineshops vor Weihnachten "Nicht lieferbar" propagieren werden.
Lauschen wir nochmal den Worten Vincent Stamers vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel, so müssen wir diese Krise – sofern sie für uns tatsächlich spürbar ist – noch bis nächsten Sommer durchstehen. Erste Anzeichen für eine Normalisierung seien aber schon im ersten Halbjahr des nächstens Jahres zu sehen.
Wie wir aber auch unser Weihnachten retten können, ist ungefähr so naheliegend wie weihnachtlich. Aber eine Sache will ich noch klären ...
Ist vielleicht nicht doch der Grinch Schuld?
Dass in Wahrheit der Grinch hinter den Liefer- und Geschenkeproblemen zu Weihnachten steckt, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt recht sicher ausschließen. Aber vielleicht kommt da ja noch was ans Licht! Kann jemand die Handynummer vom Grinch mal bei Pegasus eintippen?
Wie können wir Weihnachten noch retten?
In meiner Überschrift habe ich eine Lösung bereits vorgeschlagen: Plant Eure Weihnachtseinkaufe in diesem Jahr schon ab Oktober. Denn so verteilen wir den Bedarf an Lieferungen an Waren, die normalerweise im Dezember auf Amazon, Saturn, Cyberport und Co. zukommen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Probleme bis Weihnachten gelöst werden können, kommt Ihr so ein wenig vor die kritische Welle, die es vor Weihnachten ganz sicher noch einmal geben wird. Denn dass wir unsere Weihnachtseinkäufe prokrastinieren, darauf können wir in diesem Jahr ganz sicher zählen.
Die zweite Lösung ist deutlich weihnachtlicher: Denkt ein wenig um und denkt lokaler und nachhaltiger! Muss es nicht unbedingt Elektronik sein, gibt es viele lokale Produkte, die in Eurer Umgebung produziert, gefertigt und vertrieben werden. Wollt Ihr doch ein Smartphone oder ein Tablet verschenken, stellen Refurbished-Produkte eine gute Alternative dar. Den Gebrauchtmarkt gibt es natürlich auch. Da die Smartphones dabei lokal gekauft und gegebenenfalls auch in Deutschland aufbereitet und weiterverkauft werden, sind Refurbished-Unternehmen von den Problemen nicht betroffen. Beim gebrauchten Handy sind natürlich auch schon alle Chips und Bauteile integriert!
Wie reagiert Ihr auf die Meldungen zu Lieferengpässen hinsichtlich Weihnachten? Lasst Ihr das Konsumspektakel in diesem Jahr ausfallen oder verlegt Ihr es nach hinten? Teilt es mir in den Kommentaren mit!
Quellen:
- Bericht über Canon-Drucker auf ChannelPartner
- MediamarktSaturn warnt vor Lieferengpässen auf Merkur.de
- Thread über Supply-Chain-Issues auf Reddit
- Bericht über Ende der Lieferengpässe der Tagesschau
- Erklärung zu Just-In-Time-Produktion auf Studyflix
- Artikel zur Parkplatznot auf Merkur.de
- Umfrage auf Idealo.de
- Interview mit Vincent Stamer in der Zeit
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