"Richtige" Systemkamera oder Handy: Was ist die bessere Kamera?

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Seit Jahren machen Smartphone-Hersteller Werbung mit "Spiegelreflex-Qualität", seit Jahren lächelt die Tech-Branche müde über diese Aussage. Aber wie weit sind Handys eigentlich 2023 noch von "richtigen" Kameras entfernt? Und wo liegen die Unterschiede? Wir haben ein iPhone 15 Pro mit der Systemkamera Canon EOS R50 verglichen.

Bildqualität: die Voraussetzungen

Kurz zu den Rahmenvoraussetzungen für diesen Vergleich – und dem wichtigsten Ausstattungsmerkmal: den Bildsensoren. 

  • Das iPhone 15 Pro setzt auf drei verschiedene Sensoren. Hinter der Hauptkamera steckt der mit Abstand beste Sensor: der 1/1,28 Zoll große Sony IMX803 mit einer Fläche von etwa 75 bis 80 mm2. Die Sensoren für Ultraweitwinkel und Telekamera im iPhone sind deutlich kleiner – siehe nachfolgende Grafik.
  • Die Canon EOS R50 hat einen APS-C-Sensor mit einer Größe von 22,3 x 14,9 mm – das entspricht einer Fläche von 332 mm2. Mit diesem Sensor schießt die Systemkamera logischerweise alle ihre Fotos. Selbst im Vergleich zum besten iPhone-Sensor ist das eine gut vierfache Fläche. Viel Fläche = viel Licht = viel Bildqualität.
Die Canon EOS R50 (oben) hat einen deutlich größeren Bildsensor als die drei Sensoren für Ultraweitwinkel, Weitwinkel und Telekamera vom iPhone 15 Pro (unten, von links nach rechts). / © nextpit

Das iPhone nutzt allerdings einen Trick, um den kleinen Sensor zu kompensieren: Es schießt mit jedem Druck auf den Auslöser mehrere Fotos und verrechnet diese in ein einziges Bild. Wie viele Einzelbilder hier verwertet werden, verrät Apple leider nicht. Aber zur Orientierung: Googles Pixel-Handys kombinieren teilweise bis zu 15 Frames miteinander für ein einziges Foto.

So kann man sich die kleinere Sensorfläche schönrechnen – mit vier Einzelfotos mal 80 mm2 läge ein iPhone 15 Pro größentechnisch auf dem gleichen Niveau wie der Sensor der Canon EOS R50. Mit 15 Bildern um ein Vielfaches darüber. Aber wie sieht das in der Praxis bei der Bildqualität aus?

Bildqualität: JPEG

JPEG-Fotos sind ganz klar die Paradedisziplin des Smartphones. Beim nachfolgenden Beispiel nutzt das iPhone 15 Pro die volle Power der Computational Photography und liefert ein vergleichsweise kontrastreiches und "fertiges" Bild ab, wenngleich im direkten Vergleich die Canon-DSLR dennoch bessere und stabilere Farben liefert, gerade bei diesem kontrastreichen Motiv mit Gegenlicht kurz vor Sonnenuntergang.

Beim JPEG-Foto liefert das iPhone 15 Pro einen sehr starken HDR-Effekt. Das Foto ist insgesamt etwas zu dunkel, weist dafür aber quasi keine überbelichteten Bildbereiche auf. Das JPEG-Bild direkt aus der Canon EOS R50 ist im Hintergrund überbelichtet und hat teilweise abgesoffene Schwärzen, bietet dafür aber stabilere und bessere Farben. / © nextpit

Hier fällt auch auf, dass mit deaktiviertem Portrait-Modus das iPhone keine allzu starke Priorität auf die Ausleuchtung meines Gesichts setzt.

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Bildqualität: RAW

Lange Zeit konnten viele Handys – und vor allem iPhones – nativ keine RAW-Fotos aufnehmen. Und wenn sie es konnten, dann waren die RAW-Fotos deutlich schlechter zu verwerten als die per Computational Photography aus zig Einzelbildern zusammengesetzten JPEG-Bilder. Das hat sich inzwischen deutlich geändert, Stichwort: Computational RAW (mehr dazu hier).

Mit Computational RAW beziehungsweise bei Multi-Frame-RAWs werden nämlich ganz wie bei den JPEGs mehrere Bilder in ein RAW-Foto kondensiert. Dieses hat dadurch bessere Voraussetzungen, einerseits was die "virtuelle Sensorfläche" angeht und andererseits was die nachträglichen Bearbeitungsmöglichkeiten betrifft.

Das Apple iPhone 15 Pro kommt mit einer Triple-Hauptkamera. / © nextpit

Seit dem iPhone 12 Pro schießen Apple-Smartphones nicht nur JPEG, sondern auch RAW-Fotos. Der Trick bei diesem ProRAW-Format besteht darin, dass gleichzeitig die volle Power der Computational Photography genutzt wird. Wie bei den JPEGs kombiniert die iPhone-Software nämlich mehrere, in kurzer Folge geschossene Bilder in ein einziges Foto – mit den Vorteilen des Rohdatenformats.

Bei Canon gibt's das klassische CR3-Format, das nicht Multiframe-fähig ist. Im direkten Vergleich bietet das RAW-Foto aus der Canon EOS R50 aber ungleich mehr Möglichkeiten, was nachträgliche Korrekturen angeht. Ich war ehrlich gesagt etwas überrascht, wie groß der Unterschied zwischen der Systemkamera und dem iPhone an dieser Stelle doch noch ist. Aber seht selbst:

Wenn man in den RAW-Files kräftig an den Reglern dreht, kann man das Bild der Canon R50 deutlich verbessern. Beim iPhone 15 Pro ist der Spielraum gering – sowohl was die Farben als auch die Details angeht, siehe vergrößerter Bereich. Beim Dynamikumfang hat das iPhone allerdings die Nase vorn. / © nextpit

Bildwirkung: Smartphone vs. Systemkamera

Wodurch unterscheiden sich Handy-Kameras und "richtige" Kameras noch, außer durch die reine Bildqualität? Durch die Bildwirkung, primär bedingt durch die Schärfe und vor allem Unschärfe. Die Schärfentiefe wird nun durch drei Faktoren bestimmt:

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  1. Die echte Brennweite des Objektivs in Millimetern (nicht die Kleinbildäquivalentbrennweite, die sich typischerweise in den Datenblättern von Smartphones findet). Je höher die Brennweite, desto kleiner ist der scharfe Bereich.
  2. Das Öffnungsverhältnis des Objektivs, typischerweise angegeben entweder im Format F2.0 oder als f/2.0. Je kleiner das Öffnungsverhältnis, desto geringer die Schärfentiefe.
  3. Die Entfernung zwischen Kamera und Motiv. Je größer die Entfernung, desto größer ist die Schärfentiefe.

Mit Hilfe dieser drei Werte lässt sich jetzt berechnen, wie groß der scharfe Bereich auf einem Foto ist. Dazu gibt es diverse Rechner im Netz, beispielsweise den hervorragenden DOF Calculator. Wir nehmen für die folgende Beispielrechnung eine Entfernung zwischen Fotograf und Motiv von einem Meter an.

  Einstellung Brennweite (Kleinbildäquivalent) Brennweite (Optik) Blende Schärfengrenze (nah) Schärfengrenze (fern) Schärfentiefe
Canon EOS R50
  • Maximaler Weitwinkel am Objektiv
  • 29 mm
  • 18 mm
  • F4.5
  • 0,79 m
  • 1,35 m
  • 0,56 m
Canon EOS R50
  • Maximale Telestellung am Objektiv
  • 72 mm
  • 45 mm
  • F6.3
  • 0,95 m
  • 1,06 m
  • 0,11 m
Apple iPhone 15 Pro
  • Hauptkamera
  • 24 mm
  • 6,86 mm
  • F1.78
  • 0,64 m
  • 2,26 m
  • 1,62 m
Apple iPhone 15 Pro
  • Telekamera
  • 77 mm
  • 9,00 mm
  • F2.8
  • 0,72 m
  • 1,61 m
  • 0,89 m

Zumindest näherungsweise haben die Weitwinkel-Hauptkamera des iPhones beziehungsweise die Weitwinkeleinstellung am Canon-Objektiv und die Telekamera beziehungsweise die Teleeinstellung ähnliche Brennweiten. Die Schärfentiefen sind beim iPhone mit 1,62 m (Weitwinkel) und 0,89 m (Telekamera) deutlich größer als bei der Canon-Kamera mit 0,56 und 0,11 m. Heißt: Selbst mit dem ganz einfachen Kit-Objektiv bekommt Ihr mit der Canon-Kamera deutlich deutlich mehr Bokeh als bei Apple.

Aaaaaber: Dann gibt's natürlich den dedizierten Portrait-Modus. Hier rechnet das iPhone den Hintergrund künstlich unscharf, und trennt dabei den Hintergrund wirklich sauber vom Vordergrund. Wie Ihr auf den nachfolgenden Vergleichsfotos sehen könnt, ist die Freistellung schon wirklich gut gelungen. 

Das iPhone 15 Pro macht im Portraitmodus echt gute Arbeit – auch das Gesicht ist hier besser ausgeleuchtet. Bei der Canon-Kamera muss man schon den Umweg über das RAW-Format nehmen, um hier ein besseres Ergebnis zu bekommen. / © nextpit

Handling: Superklein versus Tastenvielfalt

Das Handling von Systemkameras ist ein ganz krasser Unterscheidungspunkt zwischen Smartphones und Systemkameras – und auch eine absolute Glaubensfrage.

Alleine durch den Aufwand, ein separates Gerät mitzunehmen, fotografiert man mit einer Systemkamera viel bewusster. Dazu gibt es den Komfort der zahlreichen physikalischen Bedienelemente, mit denen sich Blende, Verschlusszeit, Fokusmodus, Weißabgleich & Co. blitzschnell und blind einstellen lassen. Die Canon EOS R50 ist hier einfach in hektischen Fotografie-Situationen das mächtigere Werkzeug, keine Frage. 

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Großer Vorteil für die Canon EOS R50: Mit dem Klapp-Display schießt Ihr Selfies mit maximaler Bildqualität – oder dreht Eure eigenen Vlogs. / © nextpit

Dem gegenüber stehen, vertreten durch das iPhone 15 Pro, die Smartphones, die im besten Fall einen dedizierten Auslöser haben – und das war's an physischen Bedienelementen. Für alle weiteren Einstellungen müsst Ihr Euch durch die Einstellungen wischen und tippen, und das ist vergleichsweise weder präzise noch schnell. Dafür habt Ihr das Handy einfach immer unkompliziert dabei.

Wo steht Ihr hier – was ist Eure Meinung? Über das Thema Handling von Smartphones versus Systemkameras hat der Kollege Ben vor einigen Monaten schon mal einen ausführlichen Artikel geschrieben – daher werde ich das Thema an dieser Stelle gar nicht weiter vertiefen.

Modularität: Kamerasysteme und die Macht von USB-C 

Der Begriff "Systemkamera" sagt es schon: Hinter der Knipse steckt ein ganzes System an Zubehör bestehend aus Objektiven, Blitzen, Fernauslösern und so weiter. Theoretisch könnte ich also meine rund 750 Euro teure Canon EOS R50 via Adapterring mit dem 13.000 Euro teuren 400mm F2.8 aufbohren. Neben dem gigantischen Objektiv-System von Canon gibt's natürlich noch Kabelfernauslöser, Intervall-Timer, Mikrofone, externe Blitzgeräte und vieles mehr.

Android-Smartphones haben ihn schon lange, seit 2023 endlich auch die iPhones: einen USB-C-Port. / © nextpit

Aber wie sieht's da eigentlich bei unserem iPhone 15 Pro aus? Hier ist der USB-C-Port auf jeden Fall ein Gamechanger, der das Apple-Smartphone ein ganzes Stück nützlicher macht. An den Port lassen sich USB-C-Mikrofone anschließen, SSDs zur direkten Videoaufnahme oder Battery-Packs für lange Drehtage. Mit dem passenden USB-C-Hub klappt das übrigens auch alles gleichzeitig, wodurch das iPhone 15 Pro ein echtes Multifunktionswerkzeug vor allem für die Videoproduktion geworden ist.

Was mir persönlich beim Smartphone für Fotos stark fehlt, ist eine Möglichkeit zum Einsatz von (entfesselten) Blitzen. Externe Blitzgeräte und Aufsteckblitze, idealerweise mit TTL, sind in der Fotografie einfach ein unfassbar mächtiges Werkzeug und bei Smartphones derzeit schlicht nicht vorhanden. Wenn Ihr hier eine gute Lösung kennt, lasst es mich in den Kommentaren wissen!

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Die Canon EOS R50 hat ebenfalls einen USB-C-Anschluss. Über diesen lässt sich die Kamera nicht nur Aufladen oder überträgt Fotos auf den Computer, sondern lässt sich unkompliziert als Streaming-Kamera einsetzen – dafür müsst Ihr nur die Canon-Software EOS Utility installieren und seid startklar.

Fun Fact: Das iPhone 15 Pro hat zwar einen USB-C-Anschluss, an den ich auch die Canon EOS R50 anschließen kann. Allerdings sind Videokameras nicht auf der Apple-Support-Seite zu den Funktionen des USB-C-Ports gelistet – und entsprechend kann ich leider auch nicht mit der R50 über mein iPhone livestreamen. Damit hätten wir eigentlich den perfekten und versöhnlichen Schlussakkord für diesen Artikel gefunden.

Fazit: Knapper als ich gedacht hatte

Unterm Strich bleibt das Rennen ein knappes. Das iPhone 15 Pro ist bei den JPEG-Fotos häufig der Canon-Systemkamera voraus, gerade was die Gefälligkeit der Fotos angeht. Die Bilder sehen einfach fertig und "shareable" aus. Insbesondere unter schwierigen Bedingungen holt das iPhone mit seiner lokalen Rechenpower viel aus den Aufnahmen heraus.

Bemüht man dann aber das RAW-Format, dann lohnt sich der Aufwand beim iPhone 15 Pro deutlich weniger als bei der EOS R50. Die ProRAW-Fotos von Apple bieten gegenüber den JPEGs deutlich weniger Spielraum als die CR3-RAWs von Canon. Wer sich also wirklich die Mühe mit dem RAW-Format macht und Bilder aufwändig bearbeiten möchte, der kommt mit der Systemkamera aber auch 2023 noch ungleich weiter.

Und dann stehen sich da natürlich noch die Ökosysteme von Smartphone und Kamera gegenüber. Handys sind inzwischen für zahlreiches Zubehör offen. Gerade was die Videoaufnahme angeht, müssen sie sich mit der Kompatibilität zu Lavalier- und Shotgun-Mikrofonen bis hin zu externen Festplatten als Aufnahmemedium nicht hinter Systemkameras verstecken. Nur im Fotomodus sind entfesselte Blitze aber nach wie vor ein riesiger blinder Fleck.

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