Samsung Galaxy S20 Ultra im Kamera-Test: überfordert mit sich selbst

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Eine für Mobiltelefone bis dato ungesehende Auflösung von 108 Megapixeln auf einem selten großen Bildsensor: Der Samsung Isocell Bright HMX setzte zumindest auf dem Papier Maßstäbe. Nach dem Xiaomi Mi Note 10 (Pro) kommt der 1/1,33-Zoll-Chip in einer verbesserten Version namens HM1 nun auch in einem Smartphone von Samsung selbst zum Einsatz: dem Galaxy S20 Ultra 5G. 

Mit dem Xiaomi Mi Note 10 habe ich inzwischen abertausende Fotos geschossen, hatte es als einzige Kamera in Indonesien, in Andalusien und an Weihnachten und Silvester dabei. Herausgekommen sind dabei viele tolle Fotos, die ich vor wenigen Jahren nicht mit einem Smartphone für möglich gehalten hätte.

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Aber ein schmerzlicher Anteil der Fotos war auch kaputt. Von Doppelbildern über verpasste Motive aufgrund schier unendlicher Wartezeiten zwischen jedem 108-Megapixel-Foto bis hin zu fotografischen Totalausfällen: Meine Beziehung zum Mi Note 10 ist kompliziert. Es fühlte sich an, wie der „Der Bildsensor von morgen im Smartphone von heute mit der Software von gestern.

Aber ist das Samsung Galaxy S20 Ultra nun jenes Smartphone von morgen – oder wenigstens das von heute? 

Technische Voraussetzungen

Das Herzstück der Kameraeinheit ist Samsungs Isocell Bright HM1. Im Gegensatz zum Bright HMX aus dem Mi Note 10 fasst dieser Sensor im Alltagsbetrieb nicht jeweils vier, sondern neun Bildpunkte zu einem „Superpixel“ zusammen. Statt Tetracell nennt die Marketing-Abteilung das dann Nonacell. Entsprechend liegt die Standardauflösung beim Galaxy S20 Ultra nicht bei 27, sondern bei lediglich 12 Megapixeln.

Das Galaxy S20 Ultra 5G hat einen ziemlich dicken Kamera-Buckel. / © NextPit

Oberhalb des 108-Megapixel-Hauptsensors verbaut Samsung ein Ultra-Weitwinkel-Modul. Die native Auflösung des Chips beträgt 12 Megapixel, das Sichtfeld gehört mit 120 Grad zu den weitesten, die man bei aktuellen Smartphones findet. Für Panorama-Fotos oder kurze Distanzen zum Motiv ist das wirklich super.

Das unterste der drei übereinanderliegenden Kameramodule schließlich guckt in die Ferne – und um die Ecke. Hinter der Periskop-Konstruktion mit gegenüber der Hauptkamera fünffacher optischer Vergrößerung sitzt der altbekannte 48-Megapixel-Sensor Sony IMX586, eine für die Telekamera definitiv überdurchschnittlich starke Besetzung.

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Auf dem Papier hat das Samsung Galaxy S20 Ultra damit wohl von allen aktuellen Smartphones die besten Voraussetzungen.

Kameras im Samsung Galaxy S20 Ultra

Ultra-Weitwinkel-Kamera 13 mm 12 Megapixel 1/2,55 Zoll F2.2 unbekannt
Hauptkamera 26 mm 108 Megapixel 1/1,3 Zoll F1.8 Isocell Bright HM1
Telezoom-Kamera 102 mm 48 Megapixel 1/2,0 Zoll F3.5 Sony IMX586
Selfie-Kamera 26 mm 40 Megapixel 1/2,65 Zoll F2.2 Isocell Bright GH1

Hauptkamera

Die Hauptkamera im Samsung Galaxy S20 Ultra 5G schießt grundsätzlich schöne Fotos mit anlagebedingt toller Detailwiedergabe. Die 12-Megapixel-Aufnahmen sind bereits erfreulich detailstark, werden aber natürlich von den 108-Megapixel-Aufnahmen übertroffen. Der Unterschied macht sich allerdings nur bei starken Ausschnittsvergrößerungen bemerkbar und fällt gar nicht so extrem aus, wie ich vermutet hätte. Im direkten Vergleich mit den 108-Megapixel-Aufnahmen des Mi Note 10 ist die Detailwiedergabe beim S20 Ultra einen Tick besser.

Im Alltagsbetrieb kann man sich locker mit den 2 bis 6 MByte großen 12-Megapixel-Bildern des S20 Ultra zufriedengeben. Zum Vergleich: Die 108-Megapixel-Aufnahmen belegen rund 30 MByte pro Bild. Immerhin sorgt die gegenüber dem Mi Note 10 leistungsstärkere Hardware inklusive Samsungs hauseigenem Exynos-990-SoC dafür, dass man auch im 108-Megapixel-Betrieb locker-flockig herumknipsen kann.

Plastic fantastic: Das Galaxy S20 Ultra schießt bei Tageslicht krass bunte Fotos. / © NextPit

Bei optimalen Lichtverhältnissen sind die Bilder detailreich und weisen schöne, wenngleich manchmal geradezu schmerzhaft knallige Farben auf. Aber das sind wir von Samsung ja gewohnt. Bei kontrastreichen Aufnahmen macht sich aber schnell Enttäuschung breit. Die HDR-Automatik feuert selbst bei hohen Helligkeitsunterschieden zwischen Landschaft und Himmel nicht zuverlässig. Dann geraten die Bilder flau, mit unterbelichteten Bäumen und ausgebrannten Wolken. Leider passiert das häufiger, als bei einem 1350-Euro-Smartphone tolerabel wäre.

Der gleiche Tisch, wenige Minuten auseinander: Das linke Bild hatte ich dreimal aufgenommen, dreimal lag der Weißabgleich so krass daneben. Rechts dagegen sind die Farben schön. / © NextPit

Blöderweise arbeitet auch der Weißabgleich nicht immer zuverlässig. Bei Tageslicht tendieren die Aufnahmen etwas ins Kalte. Mit Mischungen aus Kunst- und Tageslicht hat das S20 Ultra leider ebenfalls zu kämpfen und spielt dann auch tagsüber gerne mal „Blaue Stunde“.

Too much Matsch: Einige Details bei dieser Low-Light-Aufnahme sind sehr scharf, der Tisch oder die Kissen dagegen wirken gruselig weichgezeichnet. / © NextPit

Bei schlechten Lichtverhältnissen schließlich wird's konfus. Während die Detailwiedergabe teilweise beeindruckt, geht die Rauschunterdrückung viel zu aggressiv vor – einfarbige Flächen wirken ähnlich plump weichgezeichnet wie die ersten Gesichtsretusche-Gehversuche aufstrebender Lifestyle-Influencer. Insbesondere mit den krass scharf akzentuierten Details direkt daneben wirkt das einfach unnatürlich. But hey, maybe that's the style.

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Hoffentlich nicht.

Willkommen in der Artefakte-Hölle: Wie schon das Xiaomi Mi Note 10 läuft auch beim Galaxy S20 Ultra so einiges in der Bildverarbeitung schief. Das tritt insbesondere dann auf, wenn das Motiv nicht zu 100% stillhält. Fotografieren wir halt nur noch Steine. / © NextPit

Ultra-Weitwinkelkamera

Samsungs Ultra-Weitwinkelkamera hat einen überdurchschnittlich weiten Bildwinkel und hält sich mit Verzerrungen angenehm zurück. Positiv fällt hier auf, dass die Fotos farblich gut an die Haupt- und übrigens auch Telezoom- und Selfie-Kamera angepasst sind. Die Detailwiedergabe ist gut, die Farben geraten wie oben beschrieben so lebendig, als wären sie gerade zu Ostern aus einer Höhle gekrochen. 

Knallige Farben gibt's auch beim Ultra-Weitwinkel-Objektiv. / © NextPit

Das Ultra-Weitwinkel-Modul ist wie gemacht für Panorama-Fotos – und liefert bei guten Lichtverhältnissen auch schöne Ergebnisse. Leider lässt sich das nicht bei gedrosselter Beleuchtung behaupten: Auch hier schießt die Rauschunterdrückung von Samsung weit über das Ziel hinaus und verwandelt die Low-Light-Bilder in eine wilde Mischung aus beinahe Comic-artig scharfgezeichneten und grob vermatschten Bildbereichen. Details neben Matsch neben Details. 

Teilweise Matsch, teilweise scharfe Details: Auch der Ultra-Weitwinkel macht bei schlechten Lichtverhältnissen komische Dinge mit den Fotos. / © NextPit

Telezoom

Zu guter Letzt kommen wir zur Telezoom-Schönwetterkamera. „Schönwetter“, denn die Blende ist mit F3.5 relativ lichtschwach. Bei gleicher Verschlusszeit bedeutet F3.5 gegenüber F1.8 einen Unterschied von exakt zwei Lichtwerten.

Zweimal fünffacher Zoom: Selbst sanft im Wind wiegende Bäume bringen beim S20 Ultra bizarre Artefakte aufs Bild. Die Detailwiedergabe ist allerdings besser als beim Mi Note 10 (rechts). / © NextPit

Beispiel: Während der Hauptsensor im Halbdunkel bei gleicher Verschlusszeit etwa noch mit komfortablen ISO 400 fotografieren könnte, rutschte die Telekamera hier bereits auf ISO 1600. Und da ist noch nicht mal der Faktor Verwacklungsgefahr einkalkuliert. Der Faustformel Verschlusszeit istgleich Kehrwert der Brennweite nach büßt das Teleobjektiv nämlich noch einmal gut zwei Lichtwerte ein, und wir wären bei hypothetischen ISO 6400 vs ISO 400. 

Zum Wegsaugen: Der Blaukanal weist bei Low-Light-Aufnahmen richtige Löcher auf, die sich auf dem RGB-Foto dann in Form von hässlichen gelben Flecken äußern. / © NextPit

Was bereits auf dem Papier ungut klingt, manifestiert sich auch genau so in der Praxis. Sobald kein 15 Millionen Grad heißer Feuerball auf Euer Motiv scheint, müsst Ihr mit heftigstem Bildrauschen rechnen. Im Gegensatz zu Haupt- und Panoramakamera äußert sich dieses nicht in Form von Detail-Matsch. Stattdessen fressen sich fette Löcher durch den Blaukanal, die hinterher hässliche gelbe Flecken auf Eure Fotos bringen.

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Bewegte Motive schließlich stellen die bildverarbeitenden Algorithmen vor deutliche Probleme. Die HDR-Automatik frisst leider sogar tagsüber fiese Farbränder ins Bild, die auch mal ganze Gesichtszüge entgleisen lassen oder eine Bildhälfte zu Brei verwandeln. Besonders drastisch fallen diese Probleme in Kombination mit dem besonders im Zwielicht extrem unzuverlässigen Autofokus aus.

Schönes Foto, doch beim genaueren Hinsehen offenbaren sich etliche Bildfehler. / © NextPit

Aber, und daher: „Schönwetter“. Sind die Bedingungen gut und Euer Motiv so quirlig wie ein Stein, offenbaren sich tolle Möglichkeiten. Ganz egal, ob man Vorder- und Hintergrund zusammenrücken oder bequem ohne Fuß-Zoom etwas fotografieren möchte: Der fünffache optische Zoom macht bei der Bildkomposition wirklich Freude – und liefert bei guten Lichtverhältnissen und unbewegten Motiven auch wirklich schöne Fotos. 

Das gilt auch für posierte Porträt-Fotos. Der zusätzlich verbaute Time-of-Flight-Sensor gibt sich sichtlich Mühe, beim Freistellen zu unterstützen. Nachdem feine Haare durchs VGA-Raster der aktiven Tiefenkamera fallen, wirken freigestellte Haare gerne mal wie ein Helm (Wer weiß noch, was VGA ist?). 

Zooooooooooom: Sogar in dieser wirklich sehr kleinen Darstellung sieht das 100x-Zoom-Foto zum Davonlaufen aus. / © NextPit

Der 100-fache Zoom schließlich ist ein netter Party-Gag und bestenfalls nützlich, um mal am Kirchturm im Nachbardorf die Uhrzeit abzulesen. Zu mehr ist die Bildqualität bei aller Liebe nicht zu gebrauchen. Den 100-fachen Zoom stolz aufs Gehäuse zu schreiben ist ähnlich peinlich, als versähen meine Nachbarn ihren Trabant 601 mit dem futuristisch leuchtenden 500-km/h-Tacho eines Bugatti Veyron. Crocodile-Dundee-Stimme an: DAS ist ein 100-facher optischer Zoom. Kostet aber auch entsprechend. 

Der Bild-in-Bild-Ausschnitt ist bei extrem starken Zooms eine große Hilfe. / © NextPit

Selfie-Kamera

In Sachen Selfie-Knipse ist das Galaxy S20 Ultra wirklich gut ausgestattet: Der Sensor ist für eine Frontkamera vergleichsweise groß und hochauflösend. Entsprechend sind die Aufnahmen auch detailliert und klar. Allerdings machen sich hier die gleichen Probleme bemerkbar wie bei den rückseitigen Kamera-Modulen.

Insbesondere fällt hier die Belichtung auf: Samsung legt zu wenig Priorität darauf, die Gesichter ideal zu belichten, wodurch Ihr in hellen Umgebungen gerne mal schlecht ausgeleuchtet erscheint. Auch der HDR-Modus feuert viel zu unzuverlässig – mal sind die Wolken im Hintergrund ausgebrannt, beim nächsten Foto nur eine Sekunde später dann nicht.

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HDR – ja, nein, vielleicht? Zwischen den beiden Bildern lag nur eine Sekunde. Einmal hat sich die HDR-Modus aktiviert, einmal nicht. In beiden Fällen ist das Gesicht zu dunkel belichtet. / © NextPit

App

Die Kamera-App von Samsung gefällt durch Einfachheit. Ein Slidermenü hält die wichtigsten Aufnahmemodi bereit und versteckt den Rest unter „Mehr“. Wer mit der Vorauswahl nicht zufrieden ist, kann auch die unter „Mehr“ abgelegten Modi auf die erste Ebene verschieben. Ich habe das beispielsweise mit dem Porträt-Modus gemacht, den Samsung etwas unintuitiv „Live-Focus“ tauft.

Die Kamera-App vom Galaxy S20 Ultra ist erfreulich aufgeräumt. / © NextPit

Fazit

Hat Samsung nun der Fluch des eigenen Bildsensors getroffen? Schließlich hat auch der Kamerasensor-Weltmarktführer Sony mit notorischen schlechten Smartphone-Kameras zu kämpfen. Die gute Nachricht daran: Es dürften größtenteils Softwareprobleme sein, mit denen sich Samsung hier selbst ins Knie schießt. Und so ließe sich ein Kamera-System auch Post-Launch noch aus der als solche perzipierten Beta-Phase heben.

Auf manchen Bildern hingegen schleicht sich eine leise Befürchtung ein: Sind große Sensoren etwas, das nicht ins Zeitalter der Computational Photography passt? Vielleicht kommen – zumindest heute – Pixel-perfekte Algorithmen einfach nicht klar mit den algorithmisch schwer zu erfassenden optischen Dynamiken von Fotos, die mit größeren Sensoren und höheren Realbrennweiten immer drastischer ausfallen. Womöglich ist es der bessere Ansatz, ein Motiv mit einem Array kleinsensoriger Kameras zu vermessen und dann die optischen Effekte wie Bokeh komplett zu simulieren. 

Genau das hatte allerdings auch HMD Global mit dem Nokia 9 PureView versucht – und spektakulär bewiesen, dass mehrere kleine Sensoren auch noch nicht die Lösung sind. Unterm Strich bleibt die erfreuliche Nachricht: Der Smartphone-Kamera-Markt ist in Bewegung wie gefühlt seit dem Nokia 808 PureView nicht. Das macht's spannend – und am Ende gewinnen die Nutzer, wenn sich das beste von vielen Konzepten durchgesetzt hat.

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