Beim Auspacken des Samsung Galaxy S21 Ultra, das uns die Marke für unseren Test geschickt hat, habe ich mich kurz geärgert und war beim Anblick des enthaltenen USB-C-Kabels dann irgendwie doch erleichtert. Das Handy kommt ohne Ladegerät, aber who cares?. Haben Hersteller wie Apple, Samsung oder Xiaomi, die ihren Flaggschiffen keine Ladegeräte mehr beilegen, mich etwa so gehirngewaschen?
Bin ich wirklich so weit, einem milliardenschweren Unternehmen fast mit Tränen in den Augen dafür zu danken, dass es mir zumindest ein kostenloses Kabel "geschenkt" hat, um das über 1000 Euro teure Smartphone an das Stromnetz anzuschließen?
"Ach, so schlimm ist das gar nicht", ließ mein deutscher Kollege Ben von mir ab, während ich mir schon die fünfzehn bissigen Stimmungsbilder ausmalte, die dieser Branchentrend, der meiner Meinung nach nichts anderes als pures Greenwashing ist, hervorrief.
Aber anstatt einen weiteren Meinungsartikel zu verfassen und mit all meiner Wut auf die Tastatur zu hämmern, schlug Ben die sehr gute Idee vor, darüber auf Slack, unserem internen Unternehmens-Messenger, zu debattieren und diesen hoffentlich produktiven Austausch in einem Artikel niederzuschreiben.
Ich werde daher meine starke Meinung über das Fehlen von Ladestationen als Umweltmaßnahme verteidigen, während Ben, in aller Ehrlichkeit und ohne dabei den Anwalt des Teufels zu spielen, die Stimme der Vernunft spielen wird.
Aber weil der Zweck jeder Voreingenommenheit darin besteht, zu zeigen, warum "Ich" Recht habe und warum "Die anderen" Unrecht haben, habe ich nach jeder Runde dieses Gefechts – dieses Slack-Streits – zwischen Ben und mir eine Umfrage angefügt. Eure Antworten entscheiden also darüber, ob Ben oder ich die besseren Argumente geliefert hat!
Debatte 1: Smartphones ohne Ladegeräte – wirklich besser für die Umwelt?
Ben: Was auch immer die wahren Gründe für die Hersteller sind, keine Ladegeräte in ihre Boxen zu legen, lass uns doch für einen Moment so tun, als wollten sie wirklich die Umwelt retten. Es ist tatsächlich von Vorteil, da es die Menge an Elektroschrott reduziert.
Samsung hat anlässlich der Markteinführung des Galaxy S21 eine Studie zu diesem Thema durchgeführt. Nach Angaben des Herstellers könnten durch den Verzicht auf die standardmäßig mitgelieferten Ladegeräte fast 29.000 Tonnen Elektroschrott pro Jahr vermieden werden. Und das ist nur für eine Firma!
Antoine: Ja, aber wie viele Tonnen an Müll fallen dann wieder an, wenn für die optionalen Ladegeräte separate Verpackungen und Transport-Emissionen entstehen, hm? Produktion, Verpackung, Vertrieb, Logistik, alles wurde früher in einem Rutsch erledigt, jetzt wird es pro Einheit gemacht. Denn die Reduzierung der Abfallmenge hängt nicht nur davon ab, was das Unternehmen verkauft, sondern auch davon, was die Verbraucher kaufen. Und was tun Samsung oder Apple, um die Verbraucher davon abzuhalten, neue Ladegeräte zu kaufen und ältere Modelle wiederzuverwenden und zu recyceln? Sie tun nichts.
Ben: Das kann man natürlich erst wissen, wenn man die Ladegeräte aufgibt. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Verkäufe von einzelnen Ladegeräten nicht sooo stark steigen werden. Es ist ja nicht so, als könnten wir aktuell keine Ladegeräte kaufen und dass Hersteller nur zur Vorsicht Millionen Ladegeräte an den Einzelhandel schicken. Ich kann mir vorstellen, dass der Verkauf von Ladegeräten nicht in die Höhe schießen wird und dass das Angebot mit der Nachfrage abnehmen wird. Dies ist ein Thema, das langfristig betrachtet werden muss!
Ist das Fehlen von Ladegeräten nur Marketing?
Antoine: Okay ... Wenn die Hersteller ernsthaft den Planeten retten und die Leute dazu bringen wollen, ihre alten Ladegeräte weiter zu benutzen, warum entwickeln sie dann immer neue proprietäre Ladetechnologien, die nur mit einem bestimmten Ladegerät funktionieren? Hm?
Ben: Egal, die Nachfrage in diesem Bereich ist wirklich total "nischig". Wer muss sein Telefon ernsthaft in 10 Minuten komplett aufladen? Das kann in Zukunft durchaus eine Zusatzfunktion für bestimmte Leute sein, die sie wirklich brauchen. Genau wie 5G – die technischen Voraussetzungen sind vorhanden, falls man sie wirklich nutzen möchte.
*Beruhige dich Antoine, atme, sei zivilisiert. Einatmen, ausatmen ...*
Antoine: Ja, aber wir bezahlen das alles. Das ist keine gutmütige Geste des Herstellers. "Oh, danke, dass Sie mir den Zugang zu 5G oder High-Speed-Charging ermöglichen, falls ich mich jemals dafür entscheiden sollte, sie zu nutzen." Nein, wir haben dafür bezahlt und die Hersteller haben es uns mit diesen Funktionen (dem Schnellladen) als Hauptverkaufsargumente verkauft, nicht nur als optionale Extras.
Indem wir also diesen Entzug des Ladegeräts in Kauf nehmen, machen wir indirekt eine Grundfunktion, d. h. eine 60-, 90- oder sogar 125-Watt-Ladung (theoretisch, ich weiß, dass es das noch nicht gibt), zu einer zusätzlichen Funktion, die sich dadurch auszahlt, dass der Verbraucher gezwungen wird, ein separates Ladegerät zu kaufen, weil sein altes Ladegerät nicht kompatibel ist. Aber diese Funktion sollte standardmäßig verfügbar sein, ohne zusätzliche Kosten, da der Kunde das Smartphone bereits gekauft hat.
Warum also nicht ein großes, superstarkes, universelles Ladegerät verkaufen, das mit den verschiedenen Updates und Verbesserungen der Ladetechnik im Laufe der Jahre kompatibel ist?
*Ha, jetzt hab ich ihn!*
Ben: Zunächst einmal ist die Haltbarkeit keine Frage des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Die meisten Menschen zahlen mehr für Produkte, die gut für die Umwelt sind, zumindest wenn man andere Konsumgüter betrachtet.
Unverpackt-Läden sind teurer als Supermärkte, aber die Leute zahlen lieber mehr, um umweltfreundlicher zu sein! Und diese leistungsstarken Ladegeräte könnten eines Tages durchaus Realität werden, wenn der Konkurrenzdruck bei den Ladegeräten steigt!
Es ist natürlich auch ein Problem der Lizenzierung und der unterschiedlichen Standards, aber mit dem x-ten Versuch der Europäischen Union, ein universelles Ladegerät durchzusetzen (Los, Apple!), könnte das irgendwann durchaus Realität werden. Wo wir gerade dabei sind ... Ich benutze gerade etwas Ähnliches!
Mein Notebook-Netzteil ist stark genug, um mein Google Pixel 3 XL schnell aufzuladen. Ich weiß, das ist schon uralt und langsam, aber das Kabel lädt auch alle meine anderen technischen Produkte auf. Und wenn ich mehrere Geräte aufladen muss, kann ich immer meinen Laptop als Daisy-Chain nutzen und die Geräte dort einstecken.
Rettung des Planeten: Kunden verantwortungsvoller als Marken?
Antoine: Nachhaltigkeit bedeutet für die Kunden Recycling oder sogar Upcycling, aber auch Hersteller müssen ein Produkt so nachhaltig gestalten, dass es über Jahre hinweg relevant und wettbewerbsfähig bleibt. Dabei geht es auch um ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Wenn die Hersteller weiterhin mit hohen Ladegeschwindigkeiten werben, ist es in meinen Augen völlig heuchlerisch, so zu tun, als wollten sie nicht, dass man ein neues Ladegerät kauft, um von einer bestimmten Technologie zu profitieren.
Nehmt Euch den S-Pen des Samsung Galaxy S21 Ultra. Er ist nicht Bluetooth-kompatibel. Aber das Schlimmste ist, dass die Software des Smartphones selbst die Bluetooth-Funktionen sperrt, sogar auf dem alten S-Pen des Galaxy Note 20, der durchaus Bluetooth-kompatibel ist. All das stinkt natürlich sehr danach, den Kauf des zukünftigen S-Pen Pro anzustacheln, der somit auf dem Galaxy S21 Ultra exklusiv die Bluetooth-Funktionen bietet, die vorher standardmäßig angeboten wurden.
Die gleiche Logik gilt für Ladegeräte, die nicht im Lieferumfang von Smartphones enthalten sind. Wenn Hersteller ein Produkt wirklich langlebiger machen und die Leute davon abhalten wollen, Zubehör zu kaufen, das sie nicht brauchen, dann sollten sie die Produkte nicht so designen, dass sie das Zubehör tatsächlich brauchen, um den vollen Funktionsumfang ihres Smartphones nutzen zu können. Wenn nicht ist das unfair, sie haben ja dafür bezahlt.
Warum hat sich Apple zum Beispiel so vehement gegen die europäische Idee eines universellen Ladegeräts gewehrt? Weil es weiterhin proprietäre Ladegeräte zu einem hohen Preis verkaufen möchte.
Ben: Oh nein, er hat das magische Argument aus dem S-Pen gezogen! Ich stimme zu, viele der von den Herstellern verwendeten Argumente sind heuchlerisch und es gibt sicherlich Praktiken, die nichts anderes als Greenwashing sind.
Aber aus Sicht eines Kunden, der nachhaltiger werden will, ist es eine gute Sache, nicht mit jedem neuen Smartphone ein neues Ladegerät kaufen zu müssen. Und dieser Trend ist, allen anfänglichen Ausreden zum Trotz, eine gute Sache, da die Ladegeräte immer universeller werden. (Nochmals, hallo Apple).
Xiaomi hat eine gute Lösung gefunden und bietet für das Xiaomi Mi 11 in China zwei Optionen an. Diese lässt dem Kunden die Option: Kauft das Gerät mit Ladegerät, wenn Ihr es wirklich braucht – und falls nicht eben das Gerät ohne. Natürlich "verlieren" die Kunden in gewisser Weise Geld und Xiaomi sollte das Mi 11 ohne Ladegerät natürlich billiger machen. Aber wenn es dem Kunden wirklich um die Umwelt geht, sollte das nicht zu viel ausmachen. Doch wenn das nicht der Fall ist, kauft man eben das Gerät mit Ladegerät.
Antoine: Es ist viel zu einfach, von den Verbrauchern zu verlangen, dass sie eine Unannehmlichkeit in Kauf nehmen, um angesichts des Klimanotstandes etwas zu tun, ohne jemals Kompromisse einzugehen. Diese Logik, den Käufer die Kosten für diesen Umweltaufwand tragen zu lassen, ist für mich unerträglich!
Bist du nicht der Meinung, dass die Hersteller eine Gegenleistung erbringen sollten? Wie zum Beispiel den Preis ihrer Smartphones zu senken? Wenn das Ziel wirklich ist, den Planeten zu retten und nicht, mehr Profit zu machen, warum hat Samsung den Preis der Galaxy S21-Reihe gesenkt, während Apple den Preis der iPhones 12 unverändert gelassen hat?
Es kostet einen Hersteller buchstäblich nichts, das Ladegerät nicht mitzuliefern. Es gibt jedoch keine Entschädigung für den Kunden, der zweifelsohne einen Verlust im Vergleich zum Vorgängermodell erleidet. Warum liegt das Opfer nur auf der Seite des Verbrauchers? Ist diese Mikro-Sichtweise auf Nachhaltigkeit, die den Verbraucher, den Einzelnen, in die Verantwortung ziehen, wirklich der beste Weg, um Umweltziele zu erreichen? Ich glaube nicht, dass es so ist.
Ben: Ich stimme zu, dass Umweltschutz sich mehr auf Unternehmen konzentrieren sollte – die von dir erwähnte Makrosicht. Aber ich glaube aber auch wirklich nicht, dass es Technologieunternehmen interessiert.
Bei deren Nachhaltigkeit geht es um viel um das Image und weitere Verkaufsargumente. Apple verwendet sicher kein recyceltes Aluminium, weil sie denken, dass es gut für den Planeten ist, sondern weil mehr Leute ein MacBook kaufen werden, weil es eben cool ist, umweltfreundlich zu sein.
Der Handlungsbedarf liegt in der Politik und den Kaufentscheidungen, mit denen wir ein Zeichen setzen können. Die Gesetze müssen strenger werden und die Kunden müssen ihre Zustimmung oder Ablehnung in den Produkten zeigen, die sie kaufen.
Was letztlich ein Argument gegen meine Seite ist - Mist! Denn Greenwashing ist auch etwas, wofür man Produkte boykottieren sollte. Das ist ein Argument gegen meine Seite, das ich aber dennoch gerne anführe, da es ein so wichtiges Thema für die Industrie und für uns als Verbraucher ist. Weniger Ladegeräte finde ich dennoch gut und ich bin froh, beim nächsten Smartphone-Kauf hoffentlich keins zu bekommen.
Natürlich wollen wir auch eure Meinung zu dem Thema hören? Wie würdet Ihr Euch beim Xiaomi Mi 11 entscheiden? Mit oder ohne? Und wie findet ihr diese Richtung, in die viele Unternehmen aktuell gehen?
Was haltet Ihr von diesem Format? Journalisten debattieren oft unter sich, aber diese Diskussionen gehen selten über die private Sphäre von Slack hinaus. Hättet Ihr auch bei weiteren Themen Lust, an unseren Slack-Streits teilzuhaben? Lasst es uns in den Kommentaren wissen!
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