Wenn Ihr wie ich vor dem Jahr 2000 geboren wurdet, erinnert Ihr Euch sich wahrscheinlich an Euer erstes Handy mit GSM. Das waren Gegenstände, die langsam aber sicher in unseren Alltag eindrangen und es uns ermöglichten, mit unseren Lieben in Kontakt zu bleiben, Spiele auf einem winzigen Bildschirm zu spielen und vor allem zu den polyphonen Klängen des neuesten Star-Academy-Hits zu tanzen. Ihr erinnert Euch wahrscheinlich an Snake auf einem Nokia, an das neueste Klapphandy Eures Klassenkameraden, an die Stunden, die Ihr in einem "echten" Geschäft auf der Suche nach einer austauschbaren Frontplatte verbracht habt. Unsere Telefone wurden zu einem Mittel, um unsere Gemeinsamkeiten, unsere Individualität und unsere Unterschiede zu betonen.
Damals waren unsere Handys noch nicht wirklich smart. WhatsApp und Instagram gab es noch nicht. Wir verschickten Wizz über MSN, während Facebook gerade anfing, junge amerikanische Akademiker anzuziehen. Ich spreche von den frühen 2000er Jahren. Damals, als nur eine kleine Menge an Daten über unsere Handys lief. 20 Jahre zuvor hatten alle Handys auf der Welt Mühe, einen Datenverbrauch von 100 GB pro Tag zu erreichen. Diese Zeit, in der Google eine Suchmaschine war, die im Internet Explorer und in Safari verfügbar war, da Google Chrome noch nicht existierte.
In den letzten 20 Jahren haben sich unsere Telefone stark verändert. 2021 schätzte Huawei, dass ein einzelner Nutzer durchschnittlich 1,5 GB Daten pro Tag allein auf sein Smartphone herunterlädt. Im Zeitalter der ständigen und unbegrenzten Verbindung entscheiden sich einige dafür, zu den Wurzeln zurückzukehren.
Warum kann Retrophoning funktionieren und für wen?
Wie man in der Musik- und Videospielindustrie sehen kann, finden Gegenstände aus der Vergangenheit irgendwann wieder einen Platz in unseren Regalen und auf unseren Fernsehschränken. Manche Musikliebhaber, die bei Spotify, Apple Music oder Deezer angemeldet sind, verbringen Stunden damit, nach Schallplatten zu suchen. Dasselbe gilt für Videospielfans. Die Nostalgie der ersten Bildschirme hat einige Hersteller sogar dazu veranlasst, ihre alten Konsolen nachzubauen, wie den SNES Classic Mini. Von diesem konnte Nintendo weniger als ein Jahr nach seiner Veröffentlichung im Jahr 2017 über 5 Millionen Stück verkaufen.
Könnten die Gegenstände der Vergangenheit, nachdem sie unsere Wohnräume zurückerobert haben, auch einen Platz in unseren Taschen finden? Könnten sich auch unsere alten Handys an unser ultravernetztes Leben anpassen? Das glaubt zumindest mein Freund Christopher, der sein Nokia 3310, das er vor fast einem Jahr unversehrt auf einem Flohmarkt gefunden hat, nicht mehr aus der Hand legt. Er sagt, dass er eher aus Gründen des Digital-Detoxings als aus Nostalgie eine Alternative zu seinem iPhone gesucht hat.
"Mein Nokia ist zwar nicht mehr die beste Wahl, was den Akku angeht, aber es ist immer noch leistungsstark, da er es "nur" alle vier Tage aufladen muss." Christopher gibt jedoch zu, dass er sein iPhone X manchmal auf Ausflüge mitnimmt: "Ich benutze es als iPod und Kamera. Wenn ich etwas gründlich recherchieren oder meine E-Mails verwalten will, mache ich das hauptsächlich mit meinem Computer."
Auch die Preise für Retro-Handys liegen immer noch weit unter denen unserer heutigen Smartphones. Wenn Ihr nicht gerade auf der Suche nach einem seltenen Handy wie dem Motorola Aura sind, das 2008 herauskam und auf vintagemobile.de noch immer für 1.790 Euro verkauft wird, findet Ihr auf derselben Website leicht ein Handy für unter 50 Euro. Die Frage nach einem Ende des Software-Supports stellt sich bei alten Handys zu dem nicht, da es zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung weder Android noch iOS gab. Es gibt also nichts zu befürchten, was die Software-Obsoleszenz dieser Handys betrifft.
Während Menschen wie Christopher Ihr Handy aus gesundheitlichen Gründen abgeben, könnten es andere auch aus Umweltgründen tun. Denn die Rückkehr zu einem "Dumbphone" ist umweltbewusster als der Kauf eines Smartphones mit immer selteneren und zu wenig recycelten Komponenten. Dasselbe gilt für das Sammeln von Daten. Die Regulierungsbehörde für elektronische Kommunikation schätzt, dass die Übertragung digitaler Daten zwei Prozent der Treibhausgasemissionen verursacht, und diese Zahl könnte bis 2050 auf 7% ansteigen.
Ist Retrophoning wirklich sinnvoll?
Die Umweltverträglichkeit, der Schutz Eurer Daten oder der Vintage-Look der alten Mobiltelefone mögen manche dazu veranlassen, auf Handys aus einer anderen Zeit umzusteigen. Aber in Zeiten des iPhone 13 und des Samsung Galaxy S22 können "Retrofonierer" das Leben schwer haben. Vor allem, wenn sie sich für ein altes Handy entscheiden und es nicht mehr funktioniert. Auch wenn es vielleicht leicht zu reparieren ist, wird es schwierig sein, Ersatzteile für ein Retro-Handy zu finden – es sei denn, Ihr habt Euch für ein Nokia 3310 entschieden, dessen Batterien und Teile noch immer erhältlich sind.
Wenn Ihr nicht gerade süchtig nach Spielen wie Tetris oder Snake seid, könnte Euch das Nutzen alter Handys auf Dauer langweilen. Unsere Smartphones haben sich nämlich zu wahren Multimedia-Hubs entwickelt, die stundenlang Video- und Audioinhalte, aber vor allem auch Spiele wiedergeben können. Im Laufe der Zeit haben sich unsere Smartphones zu echten Spieleplattformen entwickelt und sind zum meistgenutzten Medium für Gamer geworden. Eine Studie des Syndicat des éditeurs de logiciels de loisirs zeigt, dass 51 Prozent der Videospieler ihr Smartphone als Plattform nutzen.
Wie wir während der Corona-Krise sehen konnten, spielten Smartphones eine wesentliche Rolle beim Krisenmanagement. Sei es bei der Kontaktverfolgung oder auch beim Scannen von Luca-Codes.
Smartphones ermöglichen es uns darüber hinaus, mit der Welt in Verbindung zu bleiben und zu wissen, was am anderen Ende der Welt passiert. Und wenn Ihr Euch nicht für ein autarkes Leben auf einem Bauernhof entschieden habt, wird es bald schwierig sein, Transaktionen ohne Google Pay, Apple Pay, CashApp oder PayPal zu tätigen.
Die Unmittelbarkeit eines Augenblicks mit unseren Lieben zu teilen, ohne FaceTime, WhatsApp, Skype, Facebook oder Instagram, kann mit einem veralteten Handy unmöglich sein. Die simplen Features Eures Dumbphones könnte Euch von Euren Freunden und Familienmitgliedern, die weiter weg leben, separieren.
Einige Hersteller haben das erkannt und ermöglichen es Euch, auf dem Laufenden zu bleiben und in Verbindung zu bleiben, während Ihr die Akkulaufzeit Eures Handys maximieren und die wichtigsten Funktionen beibehalten könnt … und das alles mit dem Stil eines alten Handys.
Feature Phones als glaubwürdige Alternative?
Ob es sich nun um das Alcatel Go Flip 3, das Nokia 3310 Dual Sim von 2020 oder das 8110 4G handelt – die Hersteller haben verstanden, dass es für sogenannte Feature-Phones einen Absatzmarkt gibt. Dabei ahmt man das Design der größten Klassiker nach und integriert aktuelle Funktionen wie WhatsApp oder einen vollwertigen Browser.
Alte Modelle neu aufzulegen, hat bereits bei Schuhen, Musikinstrumenten, Kleidung und sogar Autos funktioniert. Die Technologie, die in den Features Phones steckt, könnte dennoch eher Ästhetikliebhabern gefallen als denjenigen, die gerne abschalten. Die meisten Features Phones, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, verwenden ein Android- oder KaiOS-Betriebssystem. In diesem Fall ist es schwierig, sich zu "de-googlen".
Feature Phones gelten zwar auch nicht als umweltfreundlich, da sie eine ähnliche Produktionskette durchlaufen wie unsere heutigen Smartphones, aber sie verbrauchen oft weniger Energie und sind robuster. Die Vorteile liegen also allesamt eher im Nostalgie-Faktor, den klappernden Tasten und Klappmechanismen ohne komplizierte Bildschirme.
Fassen wir alles zusammen: Das Comeback unserer alten Handys hat meiner Meinung nach die Chance, sich zu einem echten Trend zu entwickeln. Menschen, die auf der Suche nach einer Möglichkeit zum Abschalten sind, die sich um die Umwelt und den Schutz ihrer persönlichen Daten sorgen, haben hier eine gute Möglichkeit, all diese Dinge für weniger als 50 Euro zu realisieren. Mit ihren "Dumbphones" werden sie vielleicht nicht den Sternenhimmel fotografieren, sondern ihn eher bewusst betrachten und dabei über die Zukunft der Menschheit nachdenken. Mehr muss es manchmal aber eben auch nicht sein ...
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