Lasst uns über WhatsApp sprechen – wieder einmal! Seit wie vielen Jahren geht das jetzt schon, dass WhatsApp in der Kritik steht? Spätestens, seit der beliebte Messenger Teil der riesigen Facebook-Welt wurde, überlegen Nutzer, ob jetzt nicht die Zeit gekommen ist, der Plattform den Rücken zu kehren und sich einer Alternative zuzuwenden.
keine Daten an Facebook weitergegeben würden – aber glaubt Ihr das?
Es gibt gute Gründe, WhatsApp den Rücken zu kehren – und viele haben diese Gelegenheit auch genutzt und rütteln an der Unangreifbarkeit WhatsApps. Dieses Mal ist es eben nicht nur ein Hype, eine Momentaufnahme. Dieses Mal denken die Leute wirklich über Privatsphäre nach, installieren sich Alternativen und nutzen diese auch. Antoine sieht das komplett anders als ich und glaubt nicht daran, dass hier wirklich ein Umdenken stattfindet. Ihr wisst, dass ich recht habe, ich weiß, dass ich recht habe, alle wissen, dass ich recht habe. Nur Antoine weiß das eben noch nicht, weshalb wir uns auf Slack einen erbitterten Kampf um die besseren Argumente geliefert haben.
Runde 1: WhatsApp-Alternativen sind beliebter denn je. Doch hat das irgendwas zu bedeuten?
Casi: Ich denke, der Wind hat sich gedreht: Zum ersten Mal kommt Facebook/WhatsApp so richtig ins Schwitzen. Allein in drei Tagen konnte sich Telegram über 25 Millionen neue Nutzer freuen, Signal verfünffachte sich sogar von 10 auf 50 Millionen Nutzer allein bei Google Play und das an einem einzigen Tag! Die Leute rennen WhatsApp davon!
How it started vs how it's going 😅 pic.twitter.com/ERiFpZUz6c
— Signal (@signalapp) January 14, 2021
Antoine: Der Hype der Post-WhatsApp-Ära ist bereits abgeklungen. In der Tat wurde Signal im Januar letzten Jahres in einer Woche 7,5 Millionen Mal heruntergeladen, eine Steigerung von 4200 % gegenüber der Vorwoche. Telegram, eine ähnliche App, verzeichnete 9 Millionen Downloads, eine Steigerung von 91% im gleichen Zeitraum, laut Zahlen der Analysten von Sensor Tower.
Aber erinnerst Du Dich auch an die "Rekord"-Downloadzahlen, die von den verschiedenen europäischen Regierungen bei der Veröffentlichung ihrer Anwendungen zur Ermittlung von Kontaktpersonen wie Tous Anti Covid, ehemals Stop Covid, oder der Corona-Warn-App zu Beginn der Corona-Pandemie angekündigt wurden?
Ein Download verwandelt sich nicht automatisch in einen neuen Nutzer. Der Modeeffekt, der Hype, der durch die User-Cancel-Culture erzeugt und durch die konfuse mediale Aufbereitung aufrechterhalten wird, hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Popularität von Alternativen zu WhatsApp sprunghaft angestiegen ist. Aber wenn ich mir die Top 10 meines Play Stores (in Deutschland) anschaue, sind Signal und Telegram nicht mehr in den Top 10, während WhatsApp weiterhin in den Top 5 ist.
Wie bei jedem Modeeffekt, wie bei einem Meme, wechseln die meisten Leute sehr schnell zu etwas anderem und vergessen es dann wieder. Es ist kein Zufall, dass Signal und Telegram nicht über die Anzahl der neuen Nutzer kommunizieren, die sie seit dem WhatsApp-Skandal hinzugewonnen haben, sondern nur über die Anzahl der Downloads oder ihre jeweiligen Rankings in den App-Stores.
Genauso wie Elon Musk oder Jeff Bezos nicht ihr gesamtes Vermögen in bar haben, haben Signal und Telegram nicht unbedingt so viele aktive Nutzer (ich betone "aktive") gewonnen, wie sie an Downloads und Installationen gewonnen haben.
Casi: Klar, natürlich entsprechen Downloads nicht aktiven Nutzern. Das ändert aber nichts daran, dass die Apps installiert werden. Ich habe hunderte Nutzer bei WhatsApp und erst knapp vierzig bei Signal, etwa achtzig bei Telegram. Bei einigen konnte ich die Diskussion von WhatsApp unlängst auf die neue App verlagern, bei einigen passiert das vielleicht erst später.
Wir kennen Facebook: Der nächste Skandal kommt so oder so! Bei der nächsten Gelegenheit werden sich die Leute entweder erinnern, dass sie bereits eine andere gute Messenger-App auf dem Smartphone installiert haben, oder zumindest daran erinnern, dass sie vor einiger Zeit erstmals von Alternativen wie Signal erfahren haben. Dann werden wieder 50 Millionen Menschen die App installieren und ein größer werdender Teil davon wird sie nutzen.
Es ist wie bei einem Boxer: Mit guten Nehmerqualitäten steckt man so eine Geschichte wie die jüngste einmal weg. Beim nächsten mal wird es schon schwieriger und spätestens danach geht auch ein guter Boxer zu Boden. So wird es WhatsApp auch gehen und bei der Art und Weise, wie Facebook die Privatsphäre von uns allen mit Füßen tritt, werden diese beiden nächsten Wirkungstreffer sicher schon bald einschlagen.
Sollen – oder können – Signal, Telegram & Co tatsächlich WhatsApp ersetzen?
Antoine: Das sind eine Menge "Wenns". Tatsache ist aber, dass Signal gar nicht dazu gedacht ist, WhatsApp überhaupt zu ersetzen. Brian Acton, der Mitbegründer der Signal Foundation, der in der Vergangenheit öffentlich dazu aufgerufen hat, Facebook zu verlassen, hat es selbst abgelehnt, dieselben Nutzer dazu zu ermutigen, WhatsApp den Rücken zuzukehren.
"Ich habe nicht den Wunsch, alles zu tun, was WhatsApp tut. Mein Wunsch ist es, den Leuten eine Wahl zu geben", sagte er in einem Interview mit Tech Crunch im vergangenen Januar. "Sonst ist man in etwas eingesperrt, wo man keine Wahl hat. Es ist kein striktes Alles-oder-Nichts-Szenario." Stattdessen stellt sich Brian Acton vor, dass die Menschen Signal für Gespräche mit der Familie und engen Freunden nutzen und WhatsApp für andere, weniger private, weniger intime Chats verwenden.
Für mich wirft dies jedoch die Frage nach der nicht vorhandenen Interoperabilität zwischen verschiedenen Messaging-Apps auf. So wie es aussieht, ist der Übergang zwischen WhatsApp, Telegram, WhatsApp und anderen nicht nahtlos genug. Es gibt zu viel Reibung, es ist nicht unmittelbar genug. Und meiner Meinung nach haben sich bisher nur wenige Nutzer darauf eingelassen, mit verschiedenen Apps zu jonglieren, um mit verschiedenen Mitgliedern ihres sozialen Kreises zu kommunizieren. Ich weiß, dass ich es jedenfalls nicht getan habe.
Es gibt bestimmte Lösungen, wie zum Beispiel die von mir getestete DM Me-App, mit der man automatisch von einer Messaging-App zur anderen wechseln kann, je nachdem, welche von einem bestimmten Kontakt verwendet wird. Aber es ist immer noch ein Do-it-yourself-Flickwerk, das alles andere als intuitiv und ergonomisch ist.
Casi: Ich bin froh, dass Du Brian Acton, den Mitbegründer der Signal Foundation, ins Spiel bringst. Er ist immerhin auch WhatsApp-Mitgründer und weiß, wovon er spricht. Genau mit seinem Ansatz entzaubert er Dein Argument der zu niedrigen Nutzerzahlen bei Signal und Co: Es geht nicht darum, dass eine App so groß oder gar größer werden muss als WhatsApp. Es geht darum, dass die Leute die Alternativen erkennen und passend für ihre Zwecke nutzen.
Ein Beispiel: Früher waren die Menschen ewig bei ihrer Bank. Das Gehaltskonto war dort, dort haben sie für ihre Kinder gespart, ihre Versicherungen abgeschlossen und Kredite aufgenommen. Heute hast du bei einer Bank ein Online-Konto, kaufst woanders deine Aktien und noch woanders hast du Deine Altersvorsorge. Und niemand beschwert sich, dass man bei verschiedenen Instituten ist.
Oder vielleicht ein Beispiel, welches besser zu unserem Internet-Thema passt: Vor ein paar Jahren hätte niemand gedacht, dass es irgendwann mal irgendwas geben könnte, was dem Social Network Facebook gefährlich werden könnte. Dann sind die Leute in Scharen zu Instagram weitergewandert. Und zu TikTok. Facebook kann von mir aus alle Startups aufkaufen oder deren Apps nachbauen, aber trotzdem sehen wir, dass wir für verschiedene Use Cases zu verschiedenen Plattformen marschieren.
Wieso sollte das bei Messengern anders sein? Schon jetzt bietet fast jeder andere Messenger mehr Möglichkeiten als WhatsApp. Leute werden mit der Zeit erkennen, wo welche Stärken liegen. Zum Chatten ist man bei Plattform A besser aufgehoben, für Privacy nimmt man B, fürs Verschicken von größeren Dateien geht man lieber zu C und für Status-Updates zu D.
Damit erwächst daraus kein Konkurrent, der WhatsApp allein das Wasser abgräbt, aber alle zusammen haben einen Effekt. "Steter Tropfen höhlt den Stein", sagt ein deutsches Sprichwort und genau das geschieht hier: Die Leute werden über kurz oder lang lernen, für jeden Zweck die beste App zu nutzen – und außer "hier sind aber alle" hat WhatsApp da kein einziges Argument.
Das ist ein Prozess, der eine Weile dauern wird, ganz klar. Aber es ist eben auch ein Prozess, der beim letzten Ärger um WhatsApp gestartet wurde und der nicht mehr zu stoppen sein wird. Das ist so, als würde man versuchen wollen, die Zahnpasta wieder zurück in die Tube zu bekommen. Dieses Rennen ist kein Sprint – es ist ein Marathon!
Moral vs. Business und die Schwierigkeit, einen Wechsel zu vollziehen
Antoine: Wie Du bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass die meisten regelmäßigen Nutzer immer den Komfort dem Schutz vorziehen werden. Und dass es für jede Nische/Zielgruppe eine App gibt, so dass es wichtig ist, eine gewisse Auswahl zu haben.
Ja, Menschen, denen der Schutz ihrer persönlichen Daten am Herzen liegt und die ausreichend über das Thema informiert sind, haben nicht auf den WhatsApp-Skandal gewartet, um auf datenfreundlichere Alternativen umzusteigen.
Die WhatsApp-Affäre hatte das Verdienst, die Bedeutung der Problematik rund um unsere persönlichen Daten und deren Sammlung durch kostenlose Dienste noch einmal hervorzuheben. Ich glaube aber, dass Signal oder Telegram diese Chance nicht wirklich genutzt haben.
Sie haben nur den Bekehrten gepredigt, ohne wirklich pädagogisch oder attraktiv genug zu sein, um die Laien mitzunehmen, die wie bei jeder anderen Mainstream-App auch bei WhatsApp den Großteil der Nutzerschaft ausmachen.
Die keineswegs unbedeutende Minderheit der Nutzer, die sich für den Schutz ihrer Daten einsetzt, reicht vorerst nicht aus. Weder Signal noch Telegram haben eine kritische Masse an Nutzern erreicht, die es ihnen erlauben würde, als glaubwürdige Konkurrenten des Giganten WhatsApp angesehen zu werden.
Ich sage das nicht mit Begeisterung, im Gegenteil. Aber ich will realistisch sein. Alternativen und Auswahl zu haben ist gut. Aber um WhatsApp und den ethischen Umgang der Tech-Giganten mit unseren Daten zu verändern, brauchen wir mehr als Nischenalternativen. Man braucht echte Konkurrenten, Schwergewichte, die in der Lage sind, WhatsApp wirklich und nachhaltig zu gefährden, es zu zwingen, sich zu verändern oder mit der Veränderung zu verschwinden.
Und im Moment ist das nicht der Fall. Wie viele Skandale werden wir brauchen, um wirklich einen Bewusstseinswandel in den Köpfen der Menschen zu erzeugen? Datenschutz sollte nicht eine spezielle Funktion sein, die auf einen bestimmten Typ von Nutzern zugeschnitten ist und von einem bestimmten Typ von Apps bereitgestellt wird.
Wir reden darüber, das Thema groß zu machen, es in den Mainstream zu bringen, richtig? Warum sollte WhatsApp irgendetwas verändern wollen, wenn es nicht einen großen Player gibt, der das Spiel verändert? Und wie könnte es jemals einen ausreichend großen Player geben, wenn alle Alternativen damit zufrieden sind, ihre eigenen jeweiligen Nischen zu bedienen, ohne die Masse anzusprechen, aka die Masse der Nutzer, auf die es tatsächlich ankommt, um eine Veränderung zu bewirken?
Casi: Du hast da absolut einen Punkt, mein lieber Antoine. Aber dennoch: Es geht nicht um Größe allein. Vor ein paar Jahren waren da nur Apple und Samsung bei den Smartphones. Heute sind da auch OPPO, Xiaomi, Huawei, Vivo und so viele mehr, die allein vielleicht nicht die Macht wie Apple und Samsung haben, denen aber Krümel für Krümel Anteile vom gesamten Kuchen wegnehmen.
Ich könnte noch viele Beispiele dafür bringen, dass es in einer globalen Welt immer schwieriger wird für die Großen – weil sie eben auch unsere ganze Aufmerksamkeit bekommen bei jedem Fehler, den sie begehen. Und Facebook wird weiter Fehler machen.
Es ist vermutlich keine tolle Entwicklung, für welche Kleinigkeiten heutzutage ein Shitstorm nach dem anderen übers Land zieht. Aber sie zeigt eben auch, dass man in dieser Zeit mit keinem noch so kleinen Fehler der Aufmerksamkeit entgehen kann.
Und wir haben es doch auch gesehen: In kürzester Zeit reagierte WhatsApp auf die Beschwerden, ruderte zurück, erklärte uns, dass wir in Europa nicht von den Änderungen betroffen sind. Wieso erzählen sie uns das, wenn sie doch vermeintlich unangreifbar sind? Die haben schon gemerkt, dass sich der Wind gedreht hat. Wann merkst Du es, Antoine?
Antoine: Ich bin mit diesem Beispiel überhaupt nicht einverstanden. Keiner der aufstrebenden Android-Hersteller in Europa hat Apple in seinem Ansatz beeinflusst. Schlimmer noch, die meisten von ihnen haben damit begonnen, Apple und ihre iPhones zu emulieren (Xiaomi, Oppo, Huawei). Und sie folgen weiterhin den von Apple auferlegten Trends, die Einführung von Handys ohne Ladegerät zur "Rettung des Planeten" ist nur eines der jüngsten Beispiele unter vielen anderen.
Apple verkauft weiterhin hochpreisige Telefone. iPhones gehören immer noch zu den meistverkauften Telefonen der Welt. Es hat sich nichts geändert. Sie haben nur mehr Auswahl. Aber die Machtverhältnisse bleiben die gleichen. Die chinesischen Hersteller haben den Markt in keiner Weise moralisiert. Selbst Samsung strebt danach, ein so geschlossenes Ökosystem wie das von Apple zu haben, sie alle wollen dominant sein.
Ich glaube wirklich nicht, dass dieser Vergleich auf die WhatsApp-Situation und auf den Punkt, den Du zu machen versuchst, zutrifft. Idealismus ist kein gutes Geschäftsmodell. Die Massen anzusprechen schon. Und um das zu tun, muss man sich bemühen, den Leuten zu helfen und sie sozusagen "zwingen", eine andere Wahl zu treffen. Und wenn ich von einer anderen Wahl rede, dann meine ich nicht, weil es das Richtige ist, was man tun sollte. Moral wird nie über unseren angeborenen Egoismus und den Wunsch, das meiste von dem zu haben, was wir bekommen können, siegen. Aber man muss sein Produkt oder seine Dienstleistung, die ethischer ist, eben so gut machen, dass die Leute keinen Grund mehr haben, an den alten Wegen festzuhalten.
Signal und Telegram sollten ihre Apps so funktionsreich und so ähnlich wie WhatsApp machen, mit dem besseren Datenschutz als Bonus, wenn sie wirklich wollen, dass die Leute dauerhaft umsteigen. Wenn sie erwarten, dass die Leute umsteigen, nur weil sie datenbewusster sein sollen – was sie natürlich sollten – dann ist das einfach nur eitler Idealismus.
Man kann nicht erwarten, dass die Leute das Richtige tun, indem sie ihre Vorteile opfern, nur weil es eben das Richtige ist. Jede Reibung, jedes Hindernis, jede Schwierigkeit wird die meisten Menschen entmutigen und dazu bringen, einfach bei dem zu bleiben, was sie kennen, bei dem, was einfach ist. Das ist, was mir auffällt; das ist, was ich weiß!!
Abschnitt Drei und Ihr habt wieder die Wahl zwischen Casis und Antoines Meinung
ABSTIMMEN!Damit geht unser zweiter Slack-Fight zu Ende, nachdem sich vor einigen Wochen bereits Ben und Antoine duelliert haben. Antoine und ich haben uns nach diesem Gespräch noch ein bisschen weiter über Smartphone-Hersteller gestritten, aber das ist eine Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll. Für heute wollen wir nun von Euch wissen, auf welcher Seite Ihr steht. Stimmt also gerne ab und lasst uns Eure Meinung auch in den Kommentaren da. Weiterhin lasst uns gerne wissen, was Ihr generell von unserem Slack-Streit-Konzept haltet und wer weiß: Vielleicht habt Ihr ja sogar Vorschläge für uns, um was wir uns nächstes Mal streiten könnten.
Kommentare
Kommentare
Beim Laden der Kommentare ist ein Fehler aufgetreten.