Als letzte Woche das Stream-On-Event – Spotifys jährliche Veranstaltung – über die Bühne ging, hatte der schwedische Streaming-Gigant viel Neues zu verkünden wie beispielsweise einen neuen Podcast mit Barack Obama und Bruce Springsteen. Aus technischer Sicht war aber wohl die spannendste Meldung, dass im kleinen Kreis getestet.
Profitieren wir Nutzer von Spotify HiFi?
Dass Spotify HiFi kommt, wissen wir also. Was wir noch nicht so recht wissen: Brauchen wir diese Qualität überhaupt? Zeiten ändern sich, Musikkonsum ändert sich. Wer auf blechern klingenden Handy-Speakern seine Songs abfeiert, braucht keine HiFi-Option, so viel dürfte klar sein.
Aber wie sieht es mit dem Rest aus? Hört Ihr auf der heimischen Anlage wirklich einen so großen Unterschied, der ein Update rechtfertigt? Und wie sieht es unterwegs aus, wenn Ihr mit Kopfhörern unterwegs seid oder mit Bluetooth-Speakern? Kürzlich hatten wir zum Thema Spotify und Musikgenuss unsere Umfrage der Woche und Ihr habt uns dort verraten, wie Ihr am liebsten Musik hört: Per Streaming und über Kopfhörer.
Ben hat mal von einem Mitarbeiter eines Audio-Stores die Auskunft bekommen, dass Bluetooth als Standard durchaus für die Darstellung dieser Qualität ausreicht. Wenn Ihr mal freundlich bei Ben nachfragt, legt er vielleicht mal einen Artikel zu diesem Thema nach, indem er sich der technischen Seite der verschiedenen HiFi-Streaming-Anbietern annimmt!
Bis dahin könnt Ihr mal bei Digital Feed vorbeischauen, denn dort gibt es einen ABX-Test. Der lässt Euch während eines Songs zwischen der normalen und der HiFi-Qualität switchen und dort könnt Ihr dann ermitteln, ob Ihr überhaupt einen Unterschied hört beziehungsweise ob dieser Unterschied groß genug für einen höheren Preis ist.
... oder profitieren die Künstler?
Die Kulturbranche ist in der Pandemie gebeutelt wie keine zweite und somit trifft es auch Musiker besonders hart. Die sind seit einem Jahr der Möglichkeit beraubt (mit Ausnahmen), mit Konzerten Geld zu verdienen und daher noch mehr auf das angewiesen, was auf anderen Kanälen reinkommt.
Exkurs: Streaming als Treiber der Musikindustrie
Dabei hat Streaming längst die klassischen, physischen Tonträger abgelöst, was die Umsätze angeht. Im Jahr 2019 entfielen auf Musik-Streaming 7,1 Milliarden Dollar oder 63,6 % aller Einnahmen aus insgesamt aufgenommener Musik, die in Summe 11,1 Mrd. $ erreichte (Quelle: atlasvpn). Nur zum Vergleich: Die CD-Verkaufseinnahmen beliefen sich noch im Jahr 2009 auf 4,3 Mrd. $ und 55,2 % des Gesamtumsatzes und zehn Jahre später lag man bei nur noch 614,5 Mio. Dollar, was einem Anteil von lediglich 5,5 Prozent entspricht.
Das bedeutet, dass Streaming grundsätzlich eine großartige Geschichte ist im Vergleich zu den Jahren, in denen die Musikindustrie aufgrund der vielen illegalen MP3-Downloads am Boden lag. (Mindestens) einen Haken gibt es dennoch: Die Kohle kommt bei den Künstlern oft einfach nicht an, eine Kombination der niedrigen Preise, die pro Stream gezahlt werden und den vielen anderen, die neben den Künstlern die Hände aufhalten. Ebenfalls von atlasvpn stammt diese Übersicht der Beträge, die die verschiedenen Anbieter pro Stream zahlen, wobei man gerade Spotify hier nicht auf einen festen Betrag festnageln kann. Die Zahlen, die erhoben werden und die Spotify selbst nennt, differieren, außerdem richtet sich der ausgezahlte Betrag auch nach unterschiedlichen Konditionen für verschiedene Künstler, nach den verschiedenen Regionen usw.:
- Napster: 0,00916 US-Dollar pro Stream (Höchster Wert)
- Apple Music: 0,00675 US-Dollar pro Stream
- Deezer: 0,00562 US-Dollar Pro Stream
- Amazon Music: 0,00426 US-Dollar pro Stream
- Spotify: 0,00348 US-Dollar pro Stream
- Pandora: 0,00203 US-Dollar pro Stream
- YouTube: 0,00154 US-Dollar pro Stream (Niedrigster Wert)
Dennoch sehen wir hier ganz schön, dass es durchaus Konkurrenten wie Apple Music gibt, die deutlich mehr pro Stream ausgeben. Daraus ergibt sich jetzt mit Blick auf die kommende HiFi-Option eine weitere Frage:
Wenn Spotify nun – angenommen – 20 Euro pro Monat für seinen HiFi-Tarif verlangt: Wie viel Mehrkosten hat Spotify dabei und entsteht dann eine Differenz, von der der Künstler profitieren könnte? Enttäuschende Antwort: Wir können das derzeit nicht beantworten. Spotify hält sich mit solchen konkreten Zahlen gerne äußerst vornehm zurück und tendenziell steht zu befürchten, dass man diese mögliche Differenz eher als eigenen Gewinn verbucht und nicht zwingend an die Musiker weitergibt.
Würdet Ihr mich also auf eine Antwort festnageln wollen, ob Künstler von Spotify HiFi monetär profitieren, würde ich mit "Nein" antworten. Ich will Euch auch sagen, wie ich da hinkomme: Vorausschicken will ich, dass ich grundsätzlich – aus Konsumentensicht – Spotify liebe und lange schätze. Ich finde dort unendlich viel Musik, höre die Dinge, die ich schon seit vielen Jahren mag und entdecke immer wieder Neues.
Mit Sicherheit profitiert Spotify
Aber ich fürchte eben auch, dass Spotify das Wohl des Musikers nicht so sehr im Fokus hat, wie man uns das glauben lassen möchte. Spotify-Gründer und CEO Daniel Ek gab kürzlich den Kollegen von The Verge ein Interview, indem er sich auch zur Bezahlung äußerte. Er sagte dort:
"Ich denke, man wird sehen, dass Plattformen nicht nur in Bezug auf die Schöpfer oder die Art und Weise, wie sie über ihr Publikum denken, eine Unterscheidung treffen, sondern wirklich darüber nachdenken, wie man das Publikum vergrößern könne, sich mit ihnen beschäftigt, sie in Fans verwandeln und dann neue und wichtige Wege schafft, um diese Fanbasis zu monetarisieren."
Weniger umständlich ausgedrückt: Es geht nicht nur um Geld, man kann den Künstlern auch helfen, indem man dafür sorgt, dass sich ihr Publikum vergrößert. Spotify will also die Bühne bieten, die es Musikern ermöglicht, neue Fans zu gewinnen und dadurch im Umkehrschluss mehr zu verdienen.
Natürlich hat ein Unternehmen sich nicht dafür zu rechtfertigen, dass es Geld verdienen möchte. Aber die Darstellung, dass man das Wohl der singenden und musizierenden Zunft in den Vordergrund stellt, kaufe ich Spotify nicht (mehr) ab.
Spotify denkt an sich – und dann erst an Künstler oder Nutzer
Spätestens, als Spotify den Song-Booster vorstellte, war klar, wie der Hase läuft: Musiker werden bei Spotify sichtbarer, werden dafür aber auch noch schlechter entlohnt. David hat dazu seinerzeit einen sehr wütenden Text geschrieben und die Frage gestellt: Warum hasst Spotify seine Interpreten? Mit diesem Feature entsteht eine Art Zwei-Klassen-System und der Profiteur eines solchen Systems ist sicher nicht derjenige, der die Musik einspielt.
Generell sollte man beim System Spotify skeptisch sein, wenn man darauf hofft, dass jeder Künstler die exakt selben Chancen hat, sein Publikum zu erreichen. Es gibt die dollsten Geschichten, wie man Spotify reinlegt und nicht immer ist der schwedische Streaming-Anbieter in der Lage, dem was entgegenzusetzen. Ich erinnere mich an eine Band, die einfach mal ein Album mit Nichts aufgenommen hat. Dreißig-Sekunden-Tracks, die nichts boten außer Stille. Hier konnte Spotify danach immerhin technisch sicherstellen, dass dieser Spotify-Hack nicht mehr funktioniert.
Schwieriger wird es, wenn es eine regelrechte Schatten-Industrie gibt, die dafür sorgt, dass Künstler, vor allem Rapper, von ihren Managern in die Charts eingekauft werden können. Das ist allerdings ein Problem, welches nicht Spotify-exklusiv ist, sondern auch andere Plattformen betrifft. Dazu empfehle ich Euch dieses Video des Y-Kollektivs:
Eine weitere Unsitte, für die Spotify längst angezählt wurde: Der sogenannte "Mysterycore", bei dem generische, unbekannte Acts auf unanständig hohe Streamzahlen kommen. Durch Sicherheitslücken wurden hier Streams von ahnungslosen Usern generiert, die sich am Jahresende wunderten, wieso in ihren Jahres-Charts Songs auftauchten, die sie gar nicht kennen.
All das sind Phänomene, für die Spotify an sich natürlich nichts kann, die aber dafür sorgen, dass das Musik-Business schwieriger und undurchschaubarer wird für die Künstler. Mehr Schuld trägt Spotify jedoch an der Art, wie Songs produziert werden. Der Algorithmus sorgt dafür, dass Lieder kürzer und gleichförmiger werden, zudem in den ersten Sekunden bereits alles auffahren, was der Song zu bieten hat.
Stattdessen werden statt einigen langen jetzt lieber viele kurze Songs produziert. Auch das ist was, was Daniel Ek ausdrücklich einfordert. Der Gründer von Spotify hat in einem viel kritisierten Statement schlicht gefordert, dass sich Künstler mehr bemühen und den Output erhöhen sollen. Werft einen Blick auf dieses Video, welches die Kritikpunkte Spotifys schön auflistet:
Und die Moral von der Geschicht'?
Und worauf will der Verfasser dieser Zeilen nun eigentlich hinaus? Verrate ich Euch! Wir sprachen über Spotify HiFi und dass dieses teurere Angebot kommen wird. Wir sprachen über Dinge, die auf Spotify und in der Musik generell verkehrt laufen und wir müssen zu dem Schluss kommen, dass diese Änderungen Spotify entweder scheißegal oder sogar gewollt sind.
Den Rest könnt Ihr Euch jetzt selbst beantworten. Werden Eurer Meinung nach Künstler finanziell von Spotify HiFi profitieren? Nach allem, was wir über Spotify gelernt haben, wird man Musikern mit potenziellen Features weiterhelfen wollen, aber sicher nicht mehr Schotter rausrücken. Damit kann Spotify nicht die Kunst an sich töten – Musik wird es immer geben. Aber Spotifys Geschäftsgebaren dürfte ein Sargnagel für die Karriere sehr, sehr vieler Künstler werden und auch eine Katastrophe für jegliche Kreativität.
Meine abschließenden Fragen an Euch: Nehmt Ihr das überhaupt so wahr, dass die Musikwelt eine andere ist und dass wir mehr Playlists als Alben hören und viel mehr nach Schema F produzierte Tracks? Oder sind wir grundsätzlich längst fein damit? Wofür würdet Ihr letztendlich eigentlich die 20 Euro pro Monat an Spotify zahlen? Für bessere Qualität, die Ihr vielleicht nicht mal wirklich wahrnehmt? Oder für das gute Gefühl, dass man Musik mehr Wertschätzung zeigt und vielleicht ja doch anteilig mehr bei den Musikern ankommt?
Ich muss zugeben, dass ich mir wie ein Musik-Dinosaurier vorkomme, der ganze Alben hört, Vinyl sammelt und kreative Musik liebt. Wie seht Ihr das? Gehöre ich zu einer aussterbenden Spezies oder sehe ich das alles nur zu schwarz? Verratet mir Eure Meinung in den Comments und erzählt mir gerne, wie Ihr die Situation einschätzt.
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