Wie Android Appetit macht auf Apples Delikatessen
Aus alt mach neu, Apple hat sich dieses Prinzip voll und ganz zu eigen gemacht. Das neueste iPhone SE 2020 ist die perfekte Verkörperung. Eine Strategie, die Apple auch beim neuen iPhone 12 anwenden wird – glauben wir den aktuellen Gerüchten. Unsere Redakteure diskutieren dieses Vorgehen gemeinsam.
Antoine: Wenn Apple glaubt, man habe das Rad neu erfunden
Nach den jüngsten Leaks rund um das iPhone 12 könnte Apples nächstes Flaggschiff einen 120-Hz-Bildschirm, einen 3-fach optischen Zoom, einen größeren Akku und ein verbessertes FaceID erhalten. Als ich am Montag die Flut der Meldungen zu diesen "spannenden" Leaks las, musste ich gähnen. Der 120-Hz-Bildschirm und der 3-fach-Zoom sind schon im Mai 2020 keine innovativen Funktionen; sie werden es im September während der Keynote in Cupertino noch weniger sein.
"Aber Apple lässt sich immer Zeit, bevor man ein neues Feature auf den Markt bringt. Was soll dieses Wettrennen eigentlich, wenn am Ende Apples Umsetzung die Beste ist?", fragte mich Julia, meine AndroidPIT-Kollegin und erfahrene Apple-Anwenderin. Die anschließende Debatte über Slack brachte uns auf die Idee, diesen Beitrag gemeinsam zu schreiben, wobei jeder seine eigene Seite der Macht verteidigt.
Wir haben es kürzlich mit dem iPhone SE 2020 gesehen – es braucht nicht viel, damit die Technosphäre Apple in den Himmel lobt. Die User Experience des kalifornischen Riesen ist bei einigen Verbrauchern so beliebt, dass es förmlich als revolutionär angesehen wird, wenn Cupertino einmal den Preis für seine iPhones senkt.
Durch das Recycling eines guten Teils der Komponenten seines alten iPhone 8 entdeckte Apple das Konzept des Flaggschiff-Killers für sich. Einige glauben sogar, dass das Unternehmen es neu erfunden hat; und zwar genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Ur-Flagship-Killer Xiaomi und OnePlus das von ihnen populär gemachte Geschäftsmodell aufgeben. Hier wird das für einen Android-Enthusiasten nichts Außergewöhnliches, das Preis-Leistungs-Verhältnis des iPhone SE, als Killer-Feature angesehen.
Aber ich habe dieses Phänomen auch bei Apples neuestem Flaggschiff, dem iPhone 11, gesehen. Bei der Keynote im September 2019 fand ich die Präsentation des iPhone 11 fast surreal. Im Kamerateil hatte Apple wirklich den Eindruck erweckt, den Ultra-Weitwinkel-Fotosensor gerade erst entdeckt zu haben. Als ob kein anderer Hersteller ihn zuvor angeboten hätte.
Dieser Sensor wurde als eine echte Revolution präsentiert, und Apple machte ihn zum zentralen Merkmal seiner Flaggschiffreihe. Es stimmt, dass sich das Fotomodul nach den Tests als sehr leistungsfähig erwiesen hat. Aber es ist absurd, dass dieses Feature in Anbetracht des gesamten Marktes einen Hype auslöste. Zumal das iPhone X/Xs, mit Ausnahme von Googles Pixel 4, das letzte High-End-Gerät war, das nur zwei Sensoren auf der Rückseite bot.
Aber genau das ist die Stärke von Apple und die Quelle des Ärgernisses für alle seine Verleumder. Cupertino nimmt sich Zeit, damit iPhone-Fans sich ein Feature wünschen können. Dieses Feature wird dann fast zu einem Bedürfnis, da man einen Mangel spürt, während die Android-Konkurrenten es bereits nutzen und begeistert ausprobieren können. Apple weiß, wie attraktiv seine User Experience ist. Das Unternehmen quält seine Anhänger bis zum letzten Moment, damit sie, wenn es endlich dem technologischen Vorsprung seiner Konkurrenten folgt, "danke" sagen und nicht "es war aber auch an der Zeit".
Julia: Apple erfindet das Rad nicht neu – aber gibt ihm einen Sinn
Ich gebe meinem Kollegen Antoine Recht: Sollte das iPhone mit 120-Hz-Display erscheinen, wird Apple es natürlich als das "beste" iPhone-Display anpreisen, während man all seine Vorzüge präsentiert. Wäre es denn aber anders nicht auch seltsam? Unternehmen sind von ihren Produkten überzeugt; gerade Apple ist für den Satz bekannt: "Das beste iPhone, das wir je hergestellt haben". Das ist clever, denn niemand sonst stellt ein iPhone her; das 120-Hz-Display wird daher in der Tat ein Killer-Feature im eigenen Segment darstellen. Und auch sonst: Ein iPhone-Display war der Konkurrenz meiner Meinung nach schon immer überlegen.
Ich erinnere mich an die Vorstellung des iPhone XR, mit dem Apple das beste LC-Display realisierte, das man aktuell immer noch kaufen kann. Farbintensität und Kontrast sind stimmig; die Bedienung läuft flüssig und die Helligkeit des Panels nimmt es mit den OLED-Produkten im Huawei P30 oder Samsung Galaxy S10e nicht nur auf. Laut den Messungen der Kollegen von Notebookcheck übertrifft das LCD-Panel im iPhone XR diese um Längen. Ich stimme den sogenannten Apple-Fanboys und -girls zu, die sich im Netz mutig den nicht selten aufkommenden Anfeindungen aus dem Androidlager stellen und erklären: Apple verbaut zwar "alte" Technologien, dafür wird es dann aber auch perfekt. Ich stimme in weiten Teilen zu, denn diverse Dramen um Butterfly-Tastaturen oder Bend-Gates habe ich im Hinterkopf. Auch über diese Seite in der Historie von Apple wird ausführlich berichtet, wenn es dazu kommt.
Aber wäre Apple niemals gescheitert und hätte seine Produkte nicht ans Äußerste getrieben, würden Apple-User nicht von so zuverlässigen Smartphones, Computern oder Smart Watches profitieren. Wenn Apple den Schritt zu einer hohen Refreshrate wagt, bin ich mir sicher, dass Akkulaufzeit und Nutzen stimmig sind (anders als im Galaxy S20+, Test). Der dynamische Aspekt des Panels gefällt mir, denn während meines Tests des Nubia Redmagic 5G hat mir die hohe Bildwiederholfrequenz zwar wirklich sehr gut gefallen. Im Alltag benötige ich aber eine gute Akkulaufzeit und die energiehungrige Einstellung von 144 Hz könnte beim Checken von E-Mails gut und gerne ausgeschaltet werden.
Ich freue mich schon auf das 120-Hz-Display im neuen iPhone 12 und wünsche mir, dass andere Hersteller sich ebenfalls mehr Zeit für eine durchdachte Entwicklung großartiger Produkte nehmen, die am Ende für Android- wie iOS-Freunde das tun, was sie sollen: Im Alltag funktionieren und einen echten Mehrwert bieten.
Der Glaubenskrieg Apple vs Android geht also in die nächste Runde, zumindest hier im Forum. Ich erwarte da ehrlich gesagt keinerlei neuen Erkenntnisse, auch im Artikel selbst wurde ja lediglich Altbekanntes nur noch einmal auf den Punkt gebracht.
Kann man Apple seinen Einjahres-Zyklus mit Neuheiten, die traditionell im September vorgestellt werden, zum Vorwurf machen? Wohl kaum.
Ist es geschickt, dem Gedränge der Androiden in Barcelona, wo sich alle zeitgleich im noch jungen Jahr gegenseitig im höher-schneller-weiter-Modus zu übertrumpfen trachten, von vornherein aus dem Weg zu gehen und ein halbes Jahr später die alleinige mediale Aufmerksamkeit zu erhalten? Definitiv.
Ist der Markt generell von Fairness und goodwill geprägt? Nö, es ist reiner Wettbewerb. Und in dem kennen sich Amerikaner nun einmal aus, auch und gerade in Cupertino. Mir wäre zumindest nicht aufgefallen, dass Samsung, Huawei, OnePlus und Co. bei den Ultraweitwinkelkameras, die seit circa 1-2 Jahren (je nach Hersteller) fester Bestandteil ihrer Geräte sind (und der selbstverständlich auch ebenso emsig beworben wird wie von Apple seit der aktuellen 11er Reihe), ein paar Dankesworte in Richtung LG abgesondert hätten, die das bei ihren Smartphones schon seit Jahren standardmäßig an Bord haben.
Fakt ist nun einmal, dass bei Apple Hard- und Software in der Regel sehr gut funktionieren. Dass ein iPhone SE für mich persönlich wegen des 4,7-Zoll-Displays schlicht indiskutabel ist und nach dem 11er ein klarer Rückschritt wäre - geschenkt.
Die breite Masse denkt nicht in Tech-Nerd- Dimensionen wie wir hier im Forum. Inge Koschmidder weiß vielleicht noch, dass sie "ein Samsung" hat, aber ob AMOLED oder LCD, 60 oder 144 Hertz, 1800 oder 4700 mAh - völlig Wurst.
Der Wald- und Wiesen-Konsument weiß jedoch, dass es auch Apple gibt. Und da ist so ein SE ab knapp 500 Euro ein echtes Schnäppchen, denn sonst ist Apple ja so teuer... Und teuer = exklusiv = gut. Ganz einfache Rechnung in persönlicher Wahrnehmung. Hinzu kommt noch Werbung, in der das simple Auspacken des SE in Großaufnahme zelebriert wird - das bleibt weitaus eher hängen als die Poolparty-People, die bei Samsung mit dem 100-fach-Zoom den Gruß des Ballonfahrers einfangen. Zumal wir Tech-Nerds (oder zumindest diejenigen, die annähernd schon mal etwas mit Fotografie zu tun hatten) wieder wissen, dass der nur Micky Maus ist.
Vielleicht wird umgekehrt ein Schuh draus, und die Welt der Androiden sollte sich eine Scheibe bei der einzigen Konkurrenz, die sie hat, abschneiden? Das Portfolio im Smartphonesektor ist bei Apple sehr überschaubar, und das wird sich vermutlich auch nicht ändern. Das generiert wiederum eine gewisse Exklusivität, die es einem erlaubt, selbst ein 500-Euro-Smartphone noch als unverschämt günstig anzupreisen, selbst wenn es gleichpreisiger Konkurrenz nüchtern betrachtet nichts außer einem Bionic 13 entgegenzusetzen hat.
Von so etwas ist Xiaomi, die den Markt in kürzester Zeit mit eigenen Modellen, unzähligen Ablegern, Redmi und jetzt gerade wieder Poco überschwemmen, Lichtjahre entfernt. So muss man den Umsatz dann eben per purer Masse generieren. Geht natürlich auch. Das Apple dies nicht tun muss, weil sie eine ganz andere Marktstrategie fahren, taugt jedoch nicht als Vorwurf.
Erfreulich wäre es natürlich, wenn Apple auch mal das Risiko der Innovation jenseits von Deep Fusion und Co. wagen würde, denn gerade damit sind sie einst groß geworden. Die Frage ist aber, ob dies unter Umsatzaspekten wirklich notwendig ist, da ja stets mit finanziellen Risiken behaftet? Denn die Kehrseite der im Bewusstsein der Konsumenten erteilten Exklusivitäts-Medaille ist die, dass es sich gerade Apple nicht leisten kann, seine Kunden als Beta-Tester einzuspannen, wie man es im Android-Lager eben oft genug erfährt. Da funktionieren dann schon mal einige Features erst nach dem x-ten nachgeschobenen Update.
Ich gehe daher davon aus, dass Apple auch künftig entspannt der Balgerei der Androiden um den Platz an der Sonne zuschauen und auch 120-Hertz-Displays in Ruhe mit Verzögerung bringen, dafür aber dann als perfekt vermarkten kann. So ist das eben in der freien Marktwirtschaft. Ein iPhone hat als Konkurrenten nur ein iPhone. Ein Androide hingegen muss sich mit Dutzenden anderen Herstellern und Hunderten anderen Modellen messen lassen. UND einem iPhone. Life is a bitch.
Apple hat doch gerade erst vor knapp zwei Jahren einen der größten "innovativen Schritte" gewagt, den man seit längerem auf dem Smartphone-Markt gesehen hat, nämlich mit FaceID und der Gestensteuerung. Bei vielen anderen Herstellern bestehen "Innovationen" nur aus einem noch größeren Zoom, mehr Megapixeln oder einem größeren Akku. Und mit dieser Innovation ist Apple offensichtlich ziemlich gut gefahren, wenn man bedenkt, dass zumindest die Gestensteuerung innerhalb von weniger als zwei Jahren vom gesamten Markt adaptiert wurde.
@Tim
Die Gestensteuerung gab es doch schon beim Oneplus 5T, ist das noch vor den Apple Modellen auf dem Markt gewesen?
Das 5T kam nach dem iPhone X raus ^^ Und zudem kam da zumindest soweit ich weiß die Gestensteuerung auch erst später und nicht von Anfang an (und war auch nicht wirklich gut umgesetzt).
Da gebe ich dir Recht. Die Gestensteuerung gab es bei meinem OP 5t per Update. Man hat sich schnell daran gewöhnt, aber einwandfei fande ich es persönlich nicht.
Ich finde ja iOS auch besser als Android. Aber wofür ich Apple noch viel mehr schätze, sind macOS und die Macs. Allein der Gedanke, dass ich mich den ganzen Tag mit einer elenden Windows-Gurke herumquälen müsste, löst bei mir eine kleine Panikattacke aus. Die PC-Industrie mit Windows und der drittklassigen Hardware ist einfach nur der letzte Müll.
Jeder, der behauptet, dass sich Windows unterdessen mit macOS auf Augenhöhe befindet, kennt macOS nicht.
Da stimme ich dir vollkommen zu. Als Musiker benutze ich auch sehr viel Software. Auf keinem Windows-Rechner läuft diese nur ansatzweise so gut wie auf dem Mac.
Nun ja, genau genommen kann man auch anders herum argumentieren ^^ "Wer behauptet, macOS sei besser, als Windows, kennt Windows nicht".
Ist am Ende bei vielen auch einfach nur Gewöhnungssache. Klar, gibt auch einige Dinge, die MacOS um Welten besser macht, so aber eben auch Windows. Gerade bei sowas wie Musikproduktion kommt nichts an MacOS ran. Wiederum zocken auf einem Mac.. nun ja. ^^
Natürlich hat Windows auch seine Stärken. Ich arbeite bereits seit Jahrzehnten mit Windows und möchte es in einigen Dingen nicht vermissen. Dennoch haben beide Systeme ihre Existensberechtigung. Für meinen produktiven Bereich ist macOS aber unschlagbar.
MacOS ist technisch betrachtet eine Zumutung. Punkten kann Apple natürlich mit guter eigener Software wie Garageband. Aber ob ich nun mein Ableton oder mein Premiere dort oder auf Windows nutze, ist den Tools egal. Aber mal völlig.
macOS ist nur die halbe Miete. Es gibt unter macOS auch die bessere, durchdachtere und schönere Software von Drittanbietern, die du unter Windows eben nicht findest. Gehört einfach zum Apple-Ambiente.
Dann poste doch mal ein paar relevante Tools, die dieses Ambiente ausmachen und die es nicht oder nur schlechter für Windows gibt.
Davon abgesehen finde ich es bemerkenswert, wie schnell du von "Windows ist gegenüber macOS Müll" zu "Drittanbieter machen schönere Software" herunterschaltest.
iMazing, Little Snitch,...um nur mal 2 Tools zu nennen
- Things 3
- Bear Notes
- Keyboard Maestro
- LaunchBar
- Alfred
- Safari
Und, und, und.
Haha, alles sehr relevant. Vor allem Safari. 😂
@bigfraggle Safari ist der beste Browser auf dem Markt. Er ist nicht derjenige mit den meisten Funktionen oder will ein eigenes Betriebssystem sein, wie Chrome. Aber er ist extrem schnell, aufgeräumt, praxisnah, hat eine sehr gute Plugin-Architektur und synchronisiert perfekt mit Safari für iOS.
Kurz, er ist perfekt für das WWW. Aber das musst du nicht verstehen.
Hui, wird ja immer besser... Ein Wunder, dass dieser beste Browser im Vergleich zur entsprechenden Hardwarebasis einen so schlechten Marktanteil hat - zumal er ja gerade auf iOS so sehr protegiert wird, wie sonst kein anderer Browser auf der ganzen Welt. Jeder darf natürlich seinen Favoriten haben, aber in allen von dir genannten Disziplinen gibt es de facto bessere Alternativen.
Ich habe noch nicht gehört das eine Website für Safari optimiert wird. Also so sehr der beste auf dem Markt scheint er dann doch nicht zu sein.. die anderen Programme kenne ich nicht scheint wohl nicht so verbreitet zu sein 💁
Oh, das müsste ja wiederum heißen, dass der Browser gut ist, weil er die Standards korrekt interpretiert. Allerdings kann ich auch da sagen, dass er das eben nicht macht. Für Safari muss man mittlerweile fast so viele Eigenarten beim Webdesign beachten wie damals beim Internet Explorer...
"Ich habe noch nicht gehört das eine Website für Safari optimiert wird. Also so sehr der beste auf dem Markt scheint er dann doch nicht zu sein."
Anders herum: da Webseiten für Safari eben NICHT optimiert werden müssen, sondern eher für Internet Explorer, Edge oder Firefox, scheint Safari wohl der Beste zu sein.