Wenn ich "kabellose In-Ear-Kopfhörer" oder "Bluetooth-Kopfhörer" sage, denkt Ihr vielleicht auch an Sennheiser, aber wohl zuerst an Sony und Bose. Ja, trotz seiner jahrzehntelangen Marktpräsenz und seines hervorragenden Rufs bei Audiophilen und Audioprofis auf der ganzen Welt ist der deutsche Kopfhörerhersteller auf diesem Markt der Herausforderer.
- Lest bitte auch mein Hands-on mit den Soundcore Space Q45
Das ging sogar so weit, dass AAC auf AirPods Pro zu hören, muss man sich die Frage stellen: Ist ein Hersteller wie Sennheiser heute wirklich noch relevant?
Wenn es nach Sennheiser geht, dann beantworten wir das mit einem klaren "Ja" – und zwar durch die Entwicklung einer ganz besonderen Funktion: dem Transparenzmodus. Dieser Modus ist das Gegenteil der aktiven Geräuschunterdrückung (ANC), bei der die Umgebungsgeräusche verstärkt werden. Warum wird dieses Bewusstsein für die Umgebung bei unseren Kopfhörern immer wichtiger? Diese Frage habe ich Christian Ern von Sennheiser gestellt.
Der Komfortfaktor ist in Europa wichtiger als alles andere
Stellt Euch vor, Ihr reist nach Japan und bittet einen gewöhnlichen Technikfreak, Euch seine Audioausrüstung zu zeigen. Dann wird er höchstwahrscheinlich mindestens einen DAC aus seiner Tasche ziehen, der mit seinem Smartphone verbunden ist, sowie ein Paar kabelgebundene HiFi-In-Ears. Fiio, Meze, Shure, Hidizs, Thieaudio oder Klipsch,... Marken, die dort viel mehr Mainstream sind als in Europa. Viele tragen auch einen HiFi-Player oder einen tragbaren Verstärker mit sich herum.
Macht Ihr denselben Test in Europa, ist es wahrscheinlicher, dass Ihr auf ein altes Paar AirPods von 2016 oder bestenfalls ein Paar AirPods Pro trefft. Natürlich ist audiophile Ausrüstung alles andere als günstig (auch wenn mit knappem Budget einiges möglich ist), aber das ist vor allem eine Frage der Herangehensweise an die Technik.
"In Europa ist der Komfortfaktor viel wichtiger. In Japan ist es ziemlich verrückt, und das im positiven Sinne. Die Leute haben aus der Audiophilie eine eigene Wissenschaft gemacht. Man muss die richtigen Kopfhörer, das richtige Kabel und den richtigen Player haben. Es ist fast eine Gamification der Nutzererfahrung. In Europa steht der Benutzerkomfort an erster Stelle", erklärt Christian Ern.
Diese Verbundenheit mit dem "Plug and Play"-Aspekt, bei dem man nur seine AirPods-Packung öffnen muss, um sie mit seinem iPhone zu koppeln, erklärt zu einem sehr großen Teil den Erfolg von Apple auf dem Markt für kabellose Kopfhörer. Und genau das ist der Grund, warum Hersteller wie Sennheiser, Sony oder Bose so sehr an einer tieferen Integration mit Android-Smartphones arbeiten.
"Googles Fast Pair und Microsofts Easy Pair sind das letzte nennenswerte Beispiel dafür", erklärt mir Christian Ern. Aber selbst Fast Pair hat Schwierigkeiten, von allen Herstellern richtig implementiert zu werden. Ich persönlich bin immer noch überrascht, wenn ich die Fast-Pair-Animation sehe beim Koppeln neuer Kopfhörer mit meinem Smartphone.
Für mich ist das DIE große Herausforderung für Marken wie Sennheiser. Es muss ihnen gelingen, zugänglich genug zu sein, um Mainstream zu werden, und Christian Ern stimmt mir in diesem Punkt zu. Denn die Nachfrage auf Seite der Audiophilen ist vorhanden – aber es bleibt ein Nischenmarkt.
Nach ANC: Steht Ambient Awareness vor dem Durchbruch?
Stellt Euch vor, Ihr hättet alle Werke von Tolkien gelesen. Vom Silmarillion über Húrins Kinder und Beren und Lúthien bis hin zu den unvollendeten Märchen und Legenden. Ihr hättet sicher mit den Zähnen geknirscht, als Ihr am Wochenende die ersten beiden Episoden der Serie Die Ringe der Macht auf Amazon Prime saht. Vielleicht meckert Ihr sogar über Peter Jacksons Trilogie (zu Unrecht, aber ich will Euch nicht verurteilen).
Aber diese Filme, wie auch diese neue Serie, werden höchstwahrscheinlich für viele neue Fans ein Einstieg in das, zugegebenermaßen, letztlich wenig zugängliche Universum von Tolkien sein. Nun, das gilt auch für die Audiophilie. Nicht jeder hat die Zeit oder die Lust, sich durch fünfzehn Vergleiche zu quälen, um den richtigen DAC, DAP, Kopfhörer oder Ohrhörer zu kaufen.
"Sennheiser hat immer noch diese Audioqualität im Herzen, für die wir auf der ganzen Welt bekannt sind. Wir stellen unsere eigenen Wandler her und es ist eben jene Meisterklasse und Präzision, mit der wir uns von der Masse abheben. Und da niemand in der U-Bahn mit einem HD600 herumlaufen sollte, verwenden wir diese Technologie auch in erschwinglicheren Produkten wie den Momentum 4", so Christian Ern.
- Schaut Euch unseren Test der Sennheiser Momentum 4 an.
Und diese Demokratisierung läuft auch über Innovationen. Das haben wir bei ANC, der aktiven Geräuschunterdrückung, gesehen. Ein Feature kann so populär werden, dass die Nutzer:innen es zu einem entscheidenden Kaufkriterium machen, selbst wenn sie damit eine eigene neue Produktkategorie schaffen. Nur wäre es kontraproduktiv, "zu situative Produkte zu schaffen", wie Christian Ern mir gegenüber anmerkte.
"Wir werden nicht für jede Situation ein Produkt machen. Deshalb bieten z. B. immer mehr Kopfhörer und Headsets neben ANC auch einen Transparenzmodus an." Die Idee ist, alles so zu gestalten, dass Ihr Eure Kopfhörer oder Headsets nicht aus den Ohren nehmen müsst.
Ihr geht in die U-Bahn und wollt den Lärm der Menschenmenge ausblenden? Dann schaltet Ihr ANC ein. Aber wenn Ihr aus der Bahn aussteigt und auf die Straße geht? Dann schaltet Ihr den Transparenzmodus ein, um die ankommenden Autos zu hören und nicht überfahren zu werden. Der berühmte Transparenzmodus, diese "Ambient Awareness", ist alles andere als neu, wir sprechen schon seit einigen Jahren darüber.
- Schaut Euch unseren Test der Sennheiser Momentum True Wireless 3 an.
Aber es ist auf dem besten Weg, DER nächste Innovationstreiber auf dem Audiomarkt zu werden. Bei meinem Hands-on mit den Jabra Elite 5 (Artikel folgt) war ich beispielsweise davon begeistert, dass man den ANC- oder Transparenzpegel an jedem Ohrhörer separat einstellen kann. Ich denke, dass die Hersteller weiter in diese Richtung gehen werden.
"Zu einem Produkt zu kommen, das für alle Situationen geeignet ist, das ist das Ziel."
Nun, von dieser Vielseitigkeit sind wir bei audiophilen Produkten noch weit entfernt. Ein Smartphone kann sie derzeit nicht einmal richtig mit Strom versorgen.
Aber es sind eben diese Geschichten über transparente Modi, die uns die Kopfhörer und Headsets auf unseren Ohren vergessen lassen, die mich an eine nahe Zukunft glauben lassen, in der Audio-Wearables zu einem echt intuitiven Multi-Geräte-Produkt werden.
Kommentare
Kommentare
Beim Laden der Kommentare ist ein Fehler aufgetreten.