Seuchenspiel verboten: Darum spiele ich trotz Coronavirus weiter Plague Inc.

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Die chinesische Regierung hat das Seuchenspiel Plague Inc. in der vergangenen Woche aus sämtlichen App Stores und von der Plattform Steam entfernt. Gleichzeitig stürmt das Spiel hiesige App-Store-Charts. Das steckt hinter dem umstrittenen Spiel namens Plague Inc. Evolved.

Ich muss zugeben, dass es mich relativ wenig tangiert, wenn die chinesische Regierung wieder einmal mit skurrilen Internetzensuren seine große Bevölkerung kleinhalten will. Umso extremer musste ich mit den Augen rollen, als ich in der vergangenen Woche hörte, dass eines meiner liebsten Strategiespiele auf dem Smartphone, Plague Inc., rein zufällig in Zeiten des Coronavirus in China verboten wurde. Westliche Arroganz oder berechtigte Zweifel an der Entscheidung? 

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Plague Inc. – das Spiel befindet sich mit so ziemlich allen kaufbaren Inhalten seit etwa vier Jahren auf meinem Smartphone. Ich liebe das Game so sehr, dass ich es auch bei einem beruflichen Handy-Wechsel auf Android spielen kann und im Play Store gekauft habe. Plague Inc., zu Deutsch "Seuchen-AG", ist ein Simulationsspiel, das auf sehr realistischen Szenarien basiert. Ziel des Spiels ist es beispielsweise, die Menschheit mit Viren, Bakterien, Pilzen oder anderen Krankheiten dahinzuraffen. Dabei führen unterschiedliche Strategien mehr oder weniger zum Erfolg, denn die Menschheit reagiert auf die Krankheit und versucht alles, um die Ausrottung zu verhindern und ein Heilmittel zu produzieren. 

In Plague Inc. habt Ihr die Möglichkeit, unterschiedliche Krankheiten zu erstellen. / © Ndemic Creations / Screenshot AndroidPIT

Gespielt wird auf einer großen Landkarte, die die Erde und jedes Land skizziert. Realitätsgetreu verfügen die Länder über Flughäfen oder Häfen, im besten Fall über beides. Hier starte ich in den meisten Fällen mit der Ausbreitung meines erfundenen Virus. Meistens nutze ich Indien als Ausgangsland für die Epidemie, denn je mehr Menschen sich mit "meiner" Krankheit anstecken, umso mehr Punkte ploppen auf meinem "DNS"-Konto auf, mit denen ich im Menü zahlreiche Optimierungen in meinem kleinen perfiden Smartphone-Labor vornehmen kann. Ich kann etwa die Kälte- und Hitzeresistenz des Virus oder des Bakteriums verbessern, Arzneimittelresistenz aufbauen oder die Verbreitung durch Tiere fördern. In einem separaten Bereich lassen sich die unterschiedlichsten Symptome entwickeln: Von Husten über Schlafstörungen bis hin zum Wahnsinn und zum totalen Organversagen. 

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Menschheit ausrotten: Warum will man sowas überhaupt spielen? 

Gegenfrage: Warum will man im Lebenssimulationsspiel "Die Sims" einem Sim im Baumodus die Leiter aus dem Pool entfernen? Richtig – aus Neugier und weil es verdammt viel Spaß macht. Makaber, aber eben nicht real. Und auch, wenn Plague Inc. gerade aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus an vielen Stellen im Netz als makaber bezeichnet wird, bleibt es ein Spiel, das es – nebenbei bemerkt – bereits seit über acht Jahren gibt. Die Ebola-Epidemie war es, die den Spieleentwicklern von Ndemic Creations im Jahr 2014 erstmals zu neuen Rekordnutzerzahlen der kostenlosen App (mit In-App-Käufen) verholfen hatte. Nun, im Jahr 2020 und mit der Ausbreitung des Coronavirus, steht die Gaming-App erneut auf dem ersten Platz der App-Charts im Google Play Store und Apple App Store. 

Müssen sich die Entwickler dafür schämen? Ich finde nicht. Ganz im Gegenteil. Die Spielemacher haben bereits beim Ausbruch der Infektionskrankheit Ebola akribische Aufklärungsarbeit geleistet und immer wieder zu Spenden für betroffene Regionen aufgerufen; nach eigenen Angaben habe das Unternehmen zudem selbst Spendengelder locker gemacht. Insgesamt wurden durch die Spendenkampagne von Plague-Inc.-Spielern weltweit 76.000 Dollar gesammelt. Der Aufschrei, die Entwickler bereicherten sich am Leid der Menschen, kommt wohl ohnehin von denjenigen Menschen, die Toilettenpapier, Nudeln und Desinfektionsmittel in Massen kaufen und horten, nur um damit beim totalen Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft im nächsten Stadtgarten zu horrenden Preisen zu dealen.

So realistisch sind die Szenarien in Plague Inc.

Wer im Jahr 2020 bei Plague Inc. einsteigen will, wird erstmal von den Möglichkeiten erschlagen. Neben "klassischen" Szenarien wie der Ausbreitung von Bakterien, Viren oder Pilzen können Spieler mittlerweile auch mit Bio-Waffen, Parasiten oder realen Krankheiten wie der Schweinegrippe die Menschheit auslöschen. Nach der großen Fake-News-Debatte ist auch dieses Szenario ein Teil von Plague Inc. Hier wird die Menschheit nicht ausgelöscht, aber bis zum letzten Erdbewohner mit perfiden Mitteln getäuscht. Ein großer Spaß, wenn man mal BILD-Redakteur spielen will. Kostenlos steht allen Nutzern nur begrenzt die gesamte Bandbreite des Strategiespiels zur Verfügung.

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Wer den Modus "Bakterie" im Schwierigkeitsgrad "Normal" oder "Schwer" erfolgreich abgeschlossen, also alle Menschen getötet hat, kann den momentan umstrittenen Viren-Modus kostenlos spielen. Das Gute ist: Wie im echten Leben ist es verdammt schwierig, als Virus gegen die Menschheit zu gewinnen. Das Virus mutiert ununterbrochen; Krankheitssymptome werden ohne den gewollten Einsatz von Punkten entwickelt. Um aber nicht von Medizinern oder Forschern entdeckt zu werden, sollte man diese Symptome entfernen, bis auch der letzte Mensch unbemerkt mit dem Virus infiziert ist. Das kostet wiederum Punkte.

Ein Virus zu verbreiten ist in Plague Inc. je nach Schwierigkeitsgrad eher schwierig. / © Ndemic Creations / Screenshot AndroidPIT

Auch die eingeblendeten Nachrichten, die das Leben der Bevölkerung mit viel Witz und Charme bis zum Ausbruch der Krankheit im Verlaufe eines Spiels immer wieder kommentieren, sind realistisch. Zu Beginn sind die Schlagzeilen voll mit Meldungen über neue Pisa-Studien, dem anstehenden Brexit oder Entwicklungen auf Sport-Veranstaltungen. Mulmig wurde mir neulich als ich realisiert habe, dass die Schlagzeilen nach der Entdeckung des Virus ebenso realistisch sind wie der morgendliche Blick in Google News: "China sperrt Landesgrenzen", "Tausende Menschen sind infiziert", "Das Virus verbreitet sich rasant", "Mehr Tote als durch SARS", "Menschheit startet Heilmittelforschung". Das Spiel wurde nicht umsonst in China verboten, denn die Ausbreitung des Virus samt Berichterstattung gehen hyperrealistisch vonstatten. Die Spielentwickler greifen dafür auf Statistiken und Auswertungen aus der Epidemiologie zurück, was das mobile Spiel zu einer realitätsnahen Simulation werden lässt – und zum Staatsfeind. 

Warum verbietet China die App? 

Offiziell hat die chinesische Regierung Plague Inc. aus den App Stores und auf der Plattform Steam entfernt, weil sie "illegale Inhalte" beinhalte. Dass die App nach acht Jahren und ohne signifikante Veränderungen in den vergangenen Wochen während einer realen Epidemie verboten wird, ist wohl eher kein Zufall. Indes hat das Entwicklerstudio der App in einem Statement beteuert, dass man daran arbeite, den chinesischen Bürgern den Zugang zum Spiel wieder zu ermöglichen. Man wisse allerdings nicht, welche "illegalen Inhalte" so kritisch sind, dass sie zum Ausschluss führten. Gleichzeitig gibt das Unternehmen auch bekannt, dass man mit Gesundheitsorganisationen zusammen arbeite, um die Eindämmung des Coronavirus zu unterstützen. 

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Fest steht, dass China am Boden liegt. Das Land hat in den vergangenen Monaten mit einem wirtschaftlichen Zusammenbruch gekämpft, Tausende sind oder waren infiziert, Hunderte mussten aufgrund der Erkrankung ihr Leben lassen. Dass die chinesische Regierung wenig Verständnis für ein Handy-Spiel hat, mit dem die gezeichnete Bevölkerung Auslöschung auf der Couch spielen kann, ist ebenso verständlich wie die Tatsache, dass wir solche Spiele auch zum Verarbeiten von realen Geschehnissen brauchen. Die Gamifizierung von Katastrophen gibt uns doch irgendwie das Gefühl, eine gewisse Kontrolle zu haben, auch wenn das absolut nicht der Fall ist. Spaß beim Spielen ist eine Möglichkeit all die Angst, die Panik und Hysterie in den Dreck zu ziehen, darüber zu lachen, auch wenn einem nicht zum Lachen zumute ist. Ja, ich rolle die Augen über die Entscheidung der chinesischen Regierung, aber mir ist auch bewusst, dass wir nicht nur geografisch, sondern auch kulturell weit auseinanderliegen.

Die Neugier, die nun nachweislich tausende Menschen weltweit zum Download von Plague Inc. gebracht hat, ist in meinen Augen ein Zeichen dafür, dass sich Menschen mit Infektionskrankheiten auseinandersetzen wollen. Und das Gefühl, erneut daran gescheitert zu sein, die Menschheit mittels Virus auszulöschen weil Forschung und Regierung uns beschützen können und vorbereitet sind, ist so gut, dass ich damit in diesen Zeiten liebend gern einschlafe. 

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