Wie Ihr sicherlich gemerkt habt, geht es bei NextPit in letzter Zeit vermehrt um das Thema Smart-Home. Denn es gibt einen Trend hin zur Bildung des eigenen Zuhauses, dessen Abschluss das Prädikat "Smart-Home" ist. Ein Paradies der Automatisierung, indem die Lebenswelt sich ganz automatisch auf uns und unsere Bedürfnisse anpasst. Das letzte Puzzleteil, das wir benötigen, um noch mehr Serien auf Netflix wegbingen zu können. Und dabei wollen wir Euch natürlich mit Artikeln und Ratgebern helfen.
Die Vorteile, die Einrichtung der eigenen Wohnung miteinander kommunizieren zu lassen, liegen manchmal wirklich auf der Hand. Dass ich sogar im Urlaub mitbekomme, wenn jemand in meine Tür einbrechen will, ist super! Denn sonst wird noch meine sauteure Smart-Home-Einrichtung geklaut. Es gibt im Smart-Home aber auch Verbesserungen, die meiner Meinung nach komplett absurd sind. Perfekte, kaum fehlbare Konzepte, die man sogar seinen Haustieren lehren kann.
Die geniale Einfachheit von Lichtschaltern
In unserer modernen und überkomplexen Welt ist die Idee eines Lichtschalters fast schon zu simpel. In der einen Position schließt der Schalter einen Stromkreis, wodurch ein Draht in einer Lampe erhitzt wird, der Licht erzeugt. Oder eben eine Leuchtdiode mit Strom versorgt wird. In der anderen Position wird dieser Kreis unterbrochen und das Licht geht aus. Auch wenn neugierige Kinder seit Jahrzehnten versuchen, genau die Mitte eines Lichtschalters zu treffen, gibt es schlichtweg nur diese zwei Optionen.
Lichtschalter sind eine sichere Bank in einer überkomplexen Welt, die immer komplizierter wird. Denn wenn es mir einmal zu dunkel wird, kann ich zumindest mit 99,9 prozentiger Sicherheit darauf zählen, dass mein Lichtschalter funktioniert, wenn ich ihn betätige.
Wenn mein Lichtschalter einmal nicht funktioniert, erkenne ich einen weiteren Vorteil. Ich kann selbst herausfinden, was kaputt ist. Um eine Glühbirne auszutauschen, braucht es – so ein englischsprachiger Witz – nur einen Deutschen. Denn wir sind sehr effizient sind und verstehen keinen Spaß. Hinzu kommt, dass ein Stromkreislauf nicht so kompliziert ist und wir ihn schon in der Schule gelehrt bekommen.
Also alles top beim Lichtschalter. Gibt's schon ewig, funktioniert seither ohne große Probleme und braucht für den eigentlichen "Zweck an Sich" keine Upgrades.
"Alexa, mach Wohnzimmer aus"
Die findigen Marketing-Abteilungen namhafter Eletronikhersteller haben es in den letzten Jahren aber dennoch geschafft, in diese Einfachheit einen Bedarf zu pflanzen. Denn warum aufstehen und zum Lichtschalter gehen, wenn man auch sitzenbleiben und einen Sprachbefehl durch die Wohnung schreien kann? "Alexa, mach Wohnzimmer aus" könnte dieser heißen und deutet schon ex natura darauf hin, wie dämlich das ganze ist.
Denn die Phrasierung kommt mit einem gewissen "Ich Tarzan, Du Jane"-Vibe – und über simple Satzkonstruktionen wie "Ich geh später Aldi" regen sich viele Smart-Home-Nutzer:innen eigentlich auf, wenn sie Jugendlichen im Supermarkt reden hören.
"Sprachbefehl" wäre aber nichts ohne seine zweite kritische Worthälfte – den Befehl. Einerseits sind die Mikrofone von Sprachassistenten derart unzuverlässig, dass man jede Eingabe tatsächlich wie ein Feldmarschall durch die Wohnung brüllen muss. Und andererseits repliziert das Äußern von Befehlen gegenüber vornehmlich mit weiblicher Stimme voreingestellten Sprachassistentinnen sexistische und patriarchale Gesellschaftsstrukturen. Aber ich denke, das geht zu weit und wäre eher Stoff für einen Artikel auf einer anderen Webseite.
Die An-Aus-Autonomie
Denn was mich neben diesen eher NextPit-fremden Themen deutlich mehr stört, ist die freiwillige Aufgabe der Autonomie gegenüber der eigenen Wohnung. Mein Lichtschalter gehorcht nur mir und den Personen, denen ich Zugang zu meinem "Dumb-Home" gewähre. Und wenn er kaputt ist, dann weiß ich, wie er zu reparieren ist.
Diese Selbstbestimmung geht aber verloren, wenn ich auf smarte Beleuchtung setze. Nicht ich, sondern Alexa bestimmt darüber, wann meine Lampen funktionieren. Ich muss sie sogar darum bitten, meine Lichter zu aktivieren. Und selbst Alexa ist nicht direkt mit dem Schaltkreis meiner Lampe verbunden, sondern über weit entfernte Server, die dann mit meinem WLAN kommunizieren, über das die Lampen den Befehl bekommen, sich selbst anzuschalten. Eine hochkomplexe Verbindung, auf die ich nur durch einen auswendig gelernten Katalog an Sprachbefehlen Einfluss habe. Natürlich könnte ich den Lichtschalter immer noch betätigen, aber das nimmt dann auch dem Smart-Home die Möglichkeit, meine Lampen zu aktivieren. Wie unsmart ist das denn?
Wer kennt die MAC-Adresse meines Lichtschalters, wie ist das System von meiner smarten Überwachungskamera getrennt und welches Versprechen habe ich, dass all das auch in Zukunft ohne Abonnement oder Einschränkungen läuft? Was, wenn Amazons nächster Greenwashing-Plan ist, alle Lichtschalter zur nächsten Earth Hour zu deaktivieren? Stehe ich dann im Dunkeln, wenn's einen Notfall gibt? Und wie fehleranfällig ist das Ganze?
In den USA sind vor wenigen Wochen etliche Produktkategorien des Anbieters Insteon ohne Vorwarnung ausgefallen. Sensoren, smarte Lichtschalter und vieles mehr konnten keine Verbindung zu ihren Servern aufbauen und schon war statt Licht nur Schicht im Schacht. Das Smart-Home ist also nur einen Serverausfall davon entfernt, nicht mehr zu funktionieren.
Misstrauen vs. Nutzen
Woher kommt also dieses Vertrauen in Unternehmen, die offensichtlich an Profit und unseren Daten interessiert sind? Amazon ist kein Familienunternehmen, das Produkte herstellt, da es Tradition oder eine Leidenschaft ist. Wo sind die mündigen Nutzer*innen, die beim Gang in ein Geschäft erst einmal davon ausgehen, dass ihnen überteuerte Waren angedreht werden, die sie sowieso nicht brauchen? Ist der Nutzen wirklich so überragend, dass er das Misstrauen in smarte Systeme komplett wegspült?
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Gerade in einem Land wie Deutschland, in dem Menschen jahrelang bespitzelt und belauscht wurden, ist es erschreckend, wie freiwillig und unbedacht sich Menschen Mikrofone mit Direktanbindung in die USA oder China in die Wohnung stellen. Zumal es genügend Berichte darüber gibt, dass die Privatsphäreeinstellungen von Alexa, Google Assistant und Co. alles andere als fehlerfrei sind.
Dass man all das aufgibt, nur um einen fucking Lichtschalter zu ersetzen, ist die Krönung des Digitalisierungszwanges moderner Weltbürger. Nennt mich altmodisch oder technoskeptisch, aber die Welt ist kompliziert genug. Also ersetzt Euren Lichtschalter gefälligst nicht durch ein Geflecht aus Mikrofonen, Servern und Smartphone-Apps.
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