Das 100x-Märchen: Brennweiten und optischer Zoom im Smartphone erklärt

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Handys mit optischem Zoom sind groß im Trend – ebenso wie die völligen Phantasiewerte, die die Hersteller für eine maximale Vergrößerung auf ihre Werbematerialien drucken. Was bedeutet "100x" überhaupt? Wir gehen der Frage nach Brennweiten, Zoomstufen und optischem Zoom im Smartphone nach.

Inhalt:

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Hinweis: Nachdem dieser Artikel sehr technisch ist, findet Ihr am Ende jedes Abschnitts ein kurzes tl;dr mit den wichtigsten Learnings.

Grundlage: Bildwinkel, Brennweite und Äquivalent-Brennweite

Für das Verständnis dafür, was ein bestimmter optischer Zoom im Smartphone überhaupt bedeutet, müssen wir uns zunächst die Brennweiten ansehen. Die Brennweite einer Linse gibt die Entfernung zwischen der Linse und ihrem Brennpunkt an. Ein optisches System mit einer sehr hohen Brennweite bündelt das Licht also sehr weit hinter dem Objektiv. Eine hohe Brennweite bedeutet also einen geringen Bildwinkel – oder, umgangssprachlich, einen „starken Zoom“.

Leider hängt die Brennweite nicht alleine mit dem Bildwinkel zusammen. Eine ganz essenzielle Rolle spielt nämlich noch die Größe des Bildsensors hinter der Optik. Ein kleinerer Bildsensor würde beim gleichen Objektiv ja einen entsprechend kleineren Bildausschnitt aufnehmen – und "hätte damit mehr Zoom".

Verschiedene Sensor-Größen bei Smartphones

Um nun den Bildsensor aus der Gleichung herauszurechnen und verschiedenste Kameras miteinander zu vergleichen, gibt es den sogenannten Format- oder Crop-Faktor. Der Format-Faktor ist für einen Vollformat- beziehungsweise Kleinbild-Sensor als "eins" definiert. Der Crop-Faktor bezeichnet nun einfach das Verhältnis aus Vollformat-Diagonale zur Diagonale des jeweiligen Bildsensors. 

Multipliziert man nun die tatsächliche Brennweite einer Optik mit dem Crop-Faktor des Bildsensors, erhält man die Brennweite der Optik im Kleinbild-Äquivalent. Jene Angabe ist es auch, die sich zumeist in den Datenblättern von Smartphone-Herstellern findet. Das ergibt durchaus Sinn, denn die Äquivalent-Brennweite ist direkt proportional zum Bildwinkel und liefert somit einen vergleichbaren Wert über alle Smartphones und Kameras hinweg.

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Brennweiten und ihre Bildwinkel

Brennweite im Kleinbildäquivalent Bildwinkel in der Diagonale
12 Millimeter 122,0 Grad
24 Millimeter 84,1 Grad
50 Millimeter 46,8 Grad
85 Millimeter 28,6 Grad
105 Millimeter 23,3 Grad

Pro-Tipp: Nahezu jede Kamera speichert in den EXIF-Daten der JPEG-Fotos allerlei Informationen über die verwendeten Einstellungen. Hier findet sich stets die reale Brennweite, und niemals die Brennweite im Kleinbildäquivalent. Das ist spannend für Datenblatt-Detektive: Kennt man die Äquivalentbrennweite, erlaubt das Verhältnis zur realen Brennweite einen Rückschluss auf die Sensorgröße. Während es in den Datenblättern gerne verschwiegen wird, verraten Hersteller an dieser Stelle, welch lächerlich winzige Sensoren in ihren Smartphone-Kameras stecken.

tl;dr: Um den "Zoom" verschiedener Kameras miteinander zu vergleichen, wird die Brennweite im Kleinbildäquivalent angegeben – denn sie korreliert direkt mit dem Bildwinkel. 24 Millimeter im Kleinbildäquivalent sind bei jeder Kamera gleich.

Was bedeutet optischer Zoom bei Smartphones?

Eine Brennweite im Kleinbildäquivalent definiert nun also genau, wie groß ein bestimmtes Objekt in einer bestimmten Entfernung von der Kamera auf dem Sensor abgebildet wird. Ein optischer Zoom bedeutet nun, dass die Kamera auf optischem Wege in der Lage ist, unterschiedliche Bildwinkel respektive Abbildungsgrößen durch ein Variieren der Brennweite zu realisieren.

Ein digitaler Zoom hingegen ist nichts anderes als ein Zuschneiden des Fotos per Software, wodurch der Bildwinkel verkleinert beziehungsweise die Brennweite erhöht wird. Im Vergleich zum unbeschnittenen Foto bedeutet das natürlich einen Verlust an Auflösung. Ob per Photoshop (mitte) oder per "Hybrid-Zoom" (rechts) zugeschnitten wird, ist relativ egal. / © NextPit

Um den Brennweitenbereich beziehungsweise die Flexibilität eines Objektivs zu verdeutlichen, hat sich in der Fotografie das Verhältnis aus kleinster zu größter Brennweite eingebürgert. Ein optisches System mit 25 bis 100 Millimetern hat einen vierfachen optischen Zoom – beziehungsweise hatte.

Denn die Marketing-Abteilungen der Smartphone-Hersteller haben sämtliche in der Fotografie etablierten Konventionen über Bord geworfen. Stattdessen schreibt man frisch-fröhlich irgendeinen Quatsch ins Datenblatt – Hauptsache es ist etwas mehr als die Konkurrenz, und der "doofe Kunde" kauft's ja eh. Oder?

Was bedeutet 30-fach optischer Zoom?

Die ersten Smartphones mit Dual-Kameras hatten typischerweise einen zweifachen optischen Zoom – die Brennweiten der beiden Optiken lagen bei ungefähr 25 und 50 Millimetern. Dann kamen die immer stärkeren Telesensoren, und aus dem zweifachen Zoom wurde irgendwann ein "5x" in der Kamera-App. Als der Ultra-Weitwinkel dann von LG-Smartphones in die breite Smartphone-Masse Einzug fand, wurde der gigantische Bildwinkel in stillem Einvernehmen überall als "0,5x" oder "0,6x" bezeichnet – also quasi als 0,5-fach-Zoom gegenüber der Hauptkamera.

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Das Samsung Galaxy S20 Ultra als Beispiel bildet optisch Äquivalentbrennweiten von 13 Millimetern bis 103 Millimetern ab – und hat damit einen rund achtfachen optischen Zoom. Interessanterweise findet sich dieser Wert nirgendwo. Je nach Wohlwollen mag man das als Schludrigkeit seitens der Marketing-Abteilungen ansehen – oder als absichtliche, systematische Verdummung, um potenziellen Käufern Features aufzuschwatzen, die nicht halten, was sie versprechen.

Sorry, aber das ist nur noch blöd. / © NextPit

tl;dr: Ein dreifacher optischer Zoom bedeutet, dass größte Brennweite des Kamerasystems geteilt durch kleinste Brennweite genau drei ergeben. Das Samsung Galaxy S20 Ultra hat einen achtfachen optischen Zoom.

100x und der Scheiß mit dem Hybrid-Zoom

Wo kommt dann also das "100x" her, den etwa ein Galaxy S20 Ultra so stolz auf dem Gehäuse trägt? Für einen 100-fachen optischen Zoom müsste ein Smartphone nun einen Brennweitenbereich von 13 bis 1300 Millimetern im Kleinbildäquivalent abdecken – und wäre wahrscheinlich etwa SO groß und teuer.

Die Antwort auf die Frage nach dem "Woher?" des 100x ist einfach: Aus der Phantasie von Samsungs Produktverantwortlichen. Im Gegensatz zu den optischen Zooms von "echten" Kameras hat dieses "100x" überhaupt keinen Bezug zu den optischen Fähigkeiten des Kamera-Systems. Stattdessen hat Samsung Pi mal Daumen irgendeinen Phantasiewert als Obergrenze für die Kamera gewählt.

Nachdem die jahrelange Aufklärungsarbeit von Technikjournalisten den Begriff "Digitaler Zoom" verbrannt hat, sind der "Hybridzoom" oder der "Space Zoom" die nächsten Säue, die durchs Marketingdorf getrieben werden. Unabhängig vom Namen bedeutet das aber nichts anderes als: Das ist ein digitaler Zoom ab dem Erreichen der maximalen optischen Brennweite.

Die Bildqualität bei 100x ist zum Davonlaufen? Scheiss drauf, Hauptsache man kann's toll aufs Gehäuse schreiben. Das 100x-Bild sieht schon im Briefmarkenformat hier in der Collage matschig aus. Glaubt mir, größer wollt Ihr's nicht sehen. / © NextPit

Ob nun ein 60x, ein 100x oder demnächst ein 200x Hybridzoom im Datenblatt steht, sagt nichts über die Bildqualität aus – sondern bestenfalls etwas über die Seriosität der Hersteller. Wenn Ihr wirklich wissen wollt, wie nah ein Smartphone bei gleichzeitig vernünftiger Bildqualität hineinzoomen kann, sind drei Werte wichtig:

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  1. Die Brennweite des Teleobjektivs im Kleinbildäquivalent
  2. Der Bildsensor unter eben diesem Teleobjektiv
  3. Die Lichtstärke des Teleobjektivs

Die Brennweite des Teleobjektivs im Kleinbildäquivalent verrät Euch, wie gut das Smartphone durch optische Vergrößerung an entfernte Motive heranzoomen kann. Wenn das Verhältnis zwischen Märchen-Vergrößerung und optischer Vergrößerung zu weit auseinander driftet, muss das Handy digital zoomen – und die Bildqualität leidet.

Hier kommt nun der Bildsensor unter dem Teleobjektiv ins Spiel: Je größer dieser Bildsensor ist, desto mehr Licht fängt er ein – und desto besser ist die Bildqualität. Ein sehr großer Bildsensor liefert nicht nur bessere Fotos bei der optischen Vergrößerung durch das Objektiv – er bietet auch mehr Spielraum für einen digitalen Zoom.

Zu guter Letzt spielt noch die Lichtstärke beziehungsweise Blende des Teleobjektivs eine Rolle. Die Blende beschreibt nämlich, wie viel Licht der Sensor für das Foto zur Verfügung hat. Pauschal gesagt gilt: Je mehr Licht, desto weniger Rauschen und desto weniger Verwacklungsgefahr. Insbesondere Telekameras bei Smartphones leiden unter notorisch lichtschwachen Objektiven.

Periskop-Linsen sind modern: Das Honor 30 Pro+ hat ebenfalls ein Objektiv mit sehr langer Brennweite. Das "50x Zoom" auf dem Gehäuse rechtfertigt das allerdings nicht. / © NextPit

Diese drei Aspekte könnt Ihr aus dem Datenblatt auslesen. Gemeinsam mit der schwer quantifizierbaren Qualität der Kamera-Algorithmen sind sie maßgeblich für die Bildqualität verantwortlich. 

Weiterlesen: Blende in der Handy-Kamera: Was nutzt F1.7 im Smartphone?

Digitaler versus optischer Zoom: manchmal besser als sein Ruf

Aus den drei Punkten oben schließen aber auch Fälle, in denen ein digitaler Zoom seinem optischen Gegenpart überlegen sein kann. Beim Samsung Galaxy S20 beispielsweise war der Aufschrei in der Tech-Sphäre groß. Samsung bewirbt das Smartphone mit einem "3x Hybrid Optic Zoom". Das 64-Megapixel-"Teleobjektiv" hat in Wahrheit aber gegenüber der Hauptkamera nur einen 1,06-fachen optischen Zoom – und die restlichen 2,94-fach sind Hybridkack digital. Das ist ähnlich dreist wie dumm – und zurecht nach hinten losgegangen.

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Denn während der Shitstorm absehbar war, ist der digitale Zoom im Samsung Galaxy S20 vermutlich besser als manch ein optischer Zoom. Denn der 64-Megapixel-Sensor ist mit 1/1,72 Zoll echt groß und bietet eine Fläche von etwa 40 mm2. Teilen wir den Sensor nun in neun gleich große Rechtecke und betrachten die mittlere Fläche als eigenständigen Sensor, landen wir in Sachen Sensorgröße ungefähr bei jenem 1/4,4-Zoll-Sensor, den Huawei in seinem zugegebenermaßen etwas betagten P20 Pro verbaut. Genau hinsehen lohnt sich.

Hat was von Katzenfutter "Gourmet-Ente": Von dem dreifachen "Hybrid Optical Zoom" im S20+ sind nur zwei Prozent optisch, der Rest passiert digital. / © NextPit

tl;dr: Ein sehr großer Sensor mit digitalem Zoom kann bessere Ergebnisse liefern als ein winziger Sensor mit optischem Zoom. Der Sensor entscheidet! In den allermeisten Fällen wird aber der optische Zoom im Vorteil sein.

Weiterlesen: Exmor, Isocell & Co.: Darum ist der Bildsensor im Smartphone so wichtig!

Kauftipp: Das beste Smartphone mit optischem Zoom

Welches Smartphone hat denn nun den besten optischen Zoom? Unsere bisherigen Tests deuten da tatsächlich auf das oben gescholtene Samsung Galaxy S20 Ultra hin. 

Allerdings: Das hat mit dem 100x im Datenblatt nichts zu tun. Vielmehr hat Samsung einen großen Bildsensor verbaut, der trotz der mageren Blende immer noch ausreichend Licht einfängt. Brauchbare Fotos bei hundertfacher Vergrößerung braucht Ihr übrigens nicht erwarten – ab ungefähr 10x ist schnell Schluss mit lustig, der Rest ist bestenfalls noch ein Party-Gag.

Wenn Ihr wirklich einen Allrounder für die Smartphone-Fotografie sucht, dann guckt lieber in den folgenden Artikel. 

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Weiterlesen: Die besten Kamera-Smartphones: die perfekte Knipse für die Hosentasche

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