Xiaomi ist längst kein Underdog mehr
Xiaomi wird im Deutschen ausgesprochen wie „Schau-Mi”. Das klingt wie ein grammatikalisch falsch geschriebener bayerischer Satz, wobei grammatikalisch falsch im Bayerischen eher zum guten Ton gehört.
Aber lasst uns nicht über Weißwürste oder Fledermäuse sprechen – hier geht es um Technik und ein Unternehmen, das vor nicht all zu langer Zeit nur Insider auf dem Zettel hatten. Das gerade mal zehn Jahre alte Unternehmen hat einen wahrlich kometenhaften Aufstieg hingelegt und rangiert mittlerweile auf dem vierten Platz der weltweit größten Smartphone-Hersteller.
Bisher war das Unternehmen, das übersetzt so viel wie „kleiner Reis” bedeutet, vor allem für die echten Preis-Leistungs-Kracher bekannt und hat es sich selbst auferlegt, eine Gewinnmarge von maximal 5 Prozent pro Gerät zu erzielen.
Xiaomi Mi 10 und Mi 10 Pro – Flaggschiff-Smartphones zu Flaggschiffpreisen
Bisher war Xiaomi vor allem dadurch positiv aufgefallen, gute Geräte zu einem auch gefühlt irrsinnig günstigen Preis auf den Markt zu werfen. Man kann nur erahnen, was sich einige Marketingabteilungen anderer großer Hersteller wohl gedacht haben müssen, wenn mal wieder ein Xiaomi-Phone angekündigt wurde.
„Xiaomi steht für kleiner Reis? Doch wohl eher kleiner Preis…“. Es brauchte bestimmt große Handtücher, um so manche Träne oder Schweißperle von Wangen und Stirn zu tupfen.
Xiaomi hat die Sorgen der Konkurrenz erhört und dreht im Jahr 2020 an der Preisschraube: Das Mi 10 gibt es ab 799 Euro, das Mi 10 Pro ab 999 Euro; doppelter interner Speicher kostet 100 Euro extra. Dafür legt man aber auch bei Qualität und Ausstattung durchaus eine Schippe drauf.
Xiaomi Mi 10 Pro Design
In unserem Test hier besprechen wir das Mi 10 Pro. Das Gerät ist aus meiner Sicht ein echter Hingucker und ein wahrer Handschmeichler. Mir persönlich haben in den letzten Jahren viele China-Smartphones ganz okay gefallen. Mehr aber nicht. Gefühlt waren es dann oftmals Möchtegern-Flaggschiffe, die sich durch übertrieben günstige Verkaufspreise die Gunst ihrer Kunden erkaufen wollten – und man als Kunde dann das vorher Gesparte mit eklatanten Schwachstellen begleichen durfte.
Natürlich – „auf die inneren Werte kommt es an”. Das hört man ja auch im echten Leben immer wieder. Aber warum gibt es dann die Chippendales, Backstreet Boys oder Justin Bieber? Ich habe da schlechte Nachrichten für uns, Männer:
Weil innere Werte wichtig sind, die Verpackung aber halt doch stimmen muss!
Xiaomi hat dem Mi 10 Pro ein wirklich hübsches Gewand verpasst und es ganz und gar in Glas gehüllt – und zwar in Gorilla Glass 5. Dabei fällt auf, dass es kaum jene hässlichen Fettspuren gibt, die unsere Finger gerne auf Glas hinterlassen.
Überhaupt fühlt sich das Gerät wirklich sehr hochwertig an. Das Gewicht von 208 Gramm könnte eventuell dem oder der einen oder anderen zu schwer sein. Ich persönlich finde es aber eben genau gut so. Das ist wahrscheinlich Geschmacksache – wie im echten Leben eben: Gewicht liegt im Auge des Betrachters.
Zu diesem Thema passt, dass das Mi 10 Pro einige Rundungen hat, die vielleicht nicht den Gusto aller treffen könnten. Das Display hat abgerundete Ecken und ich weiß, dass es hierfür nicht nur Fans gibt. Immerhin können so schon mal unfreiwillige Bedienpannen vorkommen, indem man es beim Halten etwas zu gut meint. In der Software bietet Xiaomi eine Möglichkeit, den empfindlichen Bereich der Ränder zu reduzieren, nämlich unter: Settings —> Additional Settings —> Ignore accidental touch on the edges.
Gibt es beim Aussehen gar nichts zu motzen, fragt sich der aufmerksame Leser vielleicht gerade. Doch! Die Kamera-Sektion auf der Rückseite ragt leider relativ stark heraus. Damit ist Xiaomi weiß Gott nicht alleine und ja, ich weiß schon, dass der große Bildsensor viel Platz braucht. Finde ich trotzdem nicht so schick.
Alles in allem mache ich es aber wie Heidi und sage in der guten, alten GNTM-Manier: "Top, Mi 10 Pro. Ich habe hier ein Bild für Dich".
90-Hertz-Display für Liebhaber flüssig laufender Apps
Smartphone-Screens mit einer (deutlich) höheren Bildwiederholrate kommen immer mehr in Mode. Aber warum sollte ich denn überhaupt ein Display mit einer höheren Frequenz haben wollen?
Meistens fällt dieses Feature gar nicht auf. Im Gegenteil: Ein Display mit 90 Hertz verbraucht mehr Strom als ein mit 60 Hertz getakteter Bildschirm. Der Unterschied wird aber dann offensichtlich, wenn man in Posteingang, Kalender und Co. hoch und runter scrollt. Denn je höher die Bildwiederholrate ist, desto flüssiger läuft es dann auch – ganz so wie bei einem Daumenkino. Je mehr Papier, desto flüssiger.
Was gibt es sonst noch zum Display zu sagen? Es ist in der Diagonalen 6,67 Zoll groß und löst mit 2.340 x 1.080 Pixeln auf. Als ich das Telefon so in der Hand hatte, dachte ich mir ein paar Mal: Wirkt irgendwie wie ein Samsung-Smartphone. Dabei geht es mir nicht so sehr um das Design, sondern vielmehr um das Display-Feeling an sich. Die runden Ecken und auch das Licht haben viel mit einem Samsung-Flaggschiff gemein. Das ist aber nur meine ganz persönliche Meinung.
Apropos persönliche Meinung: Wohl auch beim Mi 10 Pro entlädt sich der heilige Zorn mancher an einem kleinen, unscheinbaren Etwas. An einem Ding, das man kaum sieht und das fast schon als der große Feind der Smartphone-Fangemeinde bezeichnet werden kann.
Die Punch Hole im Display. Mir persönlich ist die kleine Aussparung am linken oberen Bildschirmrand relativ egal. Aber es gibt wohl kaum ein Thema, über das sonst mit so viel Leidenschaft diskutiert wird. Außer über Software-Updates vielleicht …
Xiaomi Mi 10 Pro mit Android 10 und Google
Es sind verrückte Zeiten, in denen Xiaomi das neue Flaggschifft. Menschen gehen aus gesundheitlichen Gründen auf Abstand – und Unternehmen sind aus politischen Gründen dazu gezwungen: Huawei brachte bereits das Mate 30 Pro und jüngst auch seine P40-Serie ohne Google-Apps und -Dienste auf den Markt.
Da wirkte der Aufkleber auf den Xiaomi-Verpackungen der Mi-10-Serie fast wie ein riesiges Ällerbätsch in Richtung Konkurrenz. Dem ist allerdings nicht so: Google selbst fordert von seinen Android-Lizenznehmern seit Neuestem den Hinweis.
Gott sei Dank ist es nicht an uns zu bewerten, wie und ob es nun fair ist, dass Google nicht mehr alle Smartphone-Hersteller beliefern darf und ob Xiaomi der lachende Dritte ist, beziehungsweise die Gunst der Stunde für sich nutzen kann. Fakt ist, dass das Mi 10 Pro Android 10 an Bord und auch den Zugriff auf alle Google-Apps hat.
Über dem Betriebssystem liegt die Xiaomi-Benutzeroberfläche MIUI 11. Diese kann man lieben oder hassen. Ich selbst finde sie aber wirklich gut gelungen. Und Xiaomi verzichtet – Gott sei Dank – darauf, uns an allen Ecken und Enden mit seiner proprietären Software zu konfrontieren. Das war schon mal anders.
Technische Spezifikationen des Mi 10 Pro
Technische Spezifikationen – oder wie ich sie nenne: Sedcard der Tech-Industrie. Mit anderen Worten: Hübsch anzusehen, aber kaum Aussagekraft über die wahren Werte. Man nehme nur mal die nackte Zahl der Milliampèrestunden (mAh), in denen man in der Regel die Akkuleistung angibt. Da gibt es Telefone, die scheinen auf dem Papier wahre Kraftpakete zu sein, sind dann aber im täglichen Betrieb eher kurzatmig. Umgekehrt ist das ganz genauso möglich.
Das Mi 10 Pro kann beides: Mit nackten Zahlen glänzen und auch das halten, was man von einem Flaggschiff so erwartet. Als SoC kommt Qualcomms neuester Chipsatz Snapdragon 865 zum Einsatz, dem 8 GByte RAM und wahlweise 128 GByte oder 256 GByte (100 Euro Aufpreis) interner Speicher zur Verfügung stehen.
Der Akku des Mi 10 Pro ist 4.500 mAh stark und lädt mit 30 Watt kabellos und mit satten 50 Watt mit Kabel auf. Ich habe einen kleinen Test gemacht und einen komplett leeren Akku binnen 50 Minuten komplett auf 100 Prozent aufgeladen. Mit einer Batterieladung komme ich in der Regel eineinhalb Tage aus. Daumen hoch!
Was ich auch erwähnenswert finde: Xiaomi legt der Pro-Version einen 65-Watt-Charger bei. Dieser lädt nicht nur das Smartphone via USB-C, sondern auch Tablets und gar Notebooks. Das finde ich insoweit sehr praktisch, als dass ich unterwegs nur ein Ladegerät brauche.
Außerdem unterstützt das Mi 10 (Pro) auch Wi-Fi 6 beziehungsweise 802.11 ax. Leider ist dieser ganz neue Standard noch nicht sehr weit verbreitet.
So, jetzt haue ich noch einen raus – und ich ahne schon, dass ich Schelte bekomme: Es fehlt die 3,5-mm-Audio-Buchse. Und ich finde das nicht schlimm. Mittels Adapter kann ich auch über den USB-C-Anschluss meinen Kabel-Kopfhörer nutzen, sofern ich das möchte. Mir selbst scheint aber, dass es zunehmend weniger Menschen gibt, die nicht wenigstens unterwegs auf kabellose Bluetooth-Varianten zurückgreifen. Täusche ich mich da etwa?
An dieser Stelle sei auch noch hingewiesen, dass die globale Version des Mi 10 (Pro) Dual-SIM nicht unterstützt.
Die Kamera des Mi 10 und Mi 10 Pro ist gut – glaube ich zumindest
Kommen wir zu dem Feature, auf das Xiaomi bei seinen neuen Flaggschiffen ganz besonders stolz ist: Die Kamera. Bereits beim Mi Note 10 hatte Xiaomi eine Knipse mit 108 Megapixeln vorgestellt. Beim Mi Note 10 hatte die Software der Kamera noch allerlei Probleme – unser Kollege Stefan hatte das Gerät zwei Wochen lang intensiv in Benutzung. Die Resultate oszillierten zwischen grandios und desaströs.
Den selben Bildsensor verbaut Xiaomi beim Mi 10 (Pro) erneut – und scheint aus seinen Fehlern gelernt zu haben . Die von mir aufgenommenen Bilder sehen klasse aus – zumindest wenn man bedenkt, dass sie von mir aufgenommen wurden.
Allerdings bin ich in Sachen Kamera ein absoluter Laie, dem man schnell einen Ghosting-Effekt als einen großartigen Filter verkaufen kann – übertrieben gesagt! Kurz gesagt: Ich kenne mich nicht gut genug aus, um die Kamera zu testen. Das wird Stefan übernehmen.
Sobald dieser vorliegt, verlinken wir ihn an dieser Stelle.
Die Kamera-Ausstattung des Mi 10 Pro ist aber in jedem Falle Flaggschiff-würdig. Neben der Frontkamera gibt es auf der Rückseite vier Linsen – die Hauptlinse löst dabei mit den bereits besagten 108 Megapixeln auf. Außerdem gibt es eine Ultra-Weitwinkellinse und gleich zwei Module für Telefoto (zweifacher und fünffacher optischer Zoom).
Theoretisch können Videos mit dem Mi 10 (Pro) mit 8K und 30 Bildern pro Sekunde aufgenommen werden. Die Wenigsten unter uns dürfte das allerdings weiterhelfen. Denn erstens gibt es noch kaum 8K-Fernseher, die das Material nutzbar machen könnten und zweitens verballert ein 8K-Video so viel Speicherplatz, dass man schon nach wenigen Minuten den kompletten internen Speicher verbraucht hat.
Fazit: Xiaomi wagt sich aus der Deckung
Wir werden sehen, was Kollege Stefan insgesamt zur Kamera sagt. Aber ich bin mir sicher, dass sein Fazit hierzu deutlich besser ausfallen wird als noch beim Mi Note 10.
Für mich ist das Mi 10 Pro eines der besten Smartphones, die ich in den vergangenen zwölf oder gar 18 Monaten in den Händen gehalten habe – und zwar deshalb, weil es mir rundum gut gefällt. Es gibt nichts, wodurch das Mi 10 Pro besonders heraussticht, kein Feature, das so krass ist, dass man das Telefon unbedingt besitzen muss. Aber seien wir doch mal ehrlich: So etwas gibt es bei keinem Smartphone mehr – und das schon seit mindestens drei Jahren. Außer man fährt total auf faltbare Displays ab.
Xiaomi bringt mit dem Mi 10 Pro ein echtes Flaggschiff heraus und verlangt hierfür auch einen entsprechenden Preis. Im Vergleich zu anderen Flaggschiff-Artgenossen sind die sauteuren knapp 1.000 Euro aber so teuer auch wieder nicht. Denkt man an Samsung oder gar Apple, dann weiss man, dass Smartphones im Jahr 2020 schnell auch noch ein paar hundert Euro mehr kosten können.
Für Huawei könnten sich die Mi 10s als unangenehme Widersacher herausstellen. Mit der Mate-Familie war man auf einem sehr guten Weg, eine erfolgreiche Modellreihe gegen Samsung positionieren zu können. Seit dem Wegfall der Google-Apps muss sich Huawei neu aufstellen.
Xiaomi scheint diese Schwäche für sich gut nutzen zu können und ist auf dem besten Weg, die entstandene Lücke zu füllen. Das kann nur gut für den Markt sein – Konkurrenz belebt das Geschäft. Mit Xiaomi und dem Mi 10 (Pro) gibt es auch im höheren Preissegment einen echten Konkurrenten für die etablierten Marken.
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