Also eigentlich feiere ich künstliche Intelligenz ja. Weil sie uns so viele unglaubliche Dinge ermöglichen wird, von denen wir aktuell nicht einmal einen Hauch einer Idee haben, dass es möglich sein wird. Der Einzug von KI in unsere Gesellschaft dürfte meiner Meinung nach einen größeren Impact haben, als der Buchdruck, die Industrialisierung, die Einführung des Computers oder des Internets.
Aber wie wusste Peter Parker schon: Aus großer Kraft folgt große Verantwortung! Und ja, Verantwortung ist nicht gerade die Spezialdisziplin unserer Spezies. Mit Atomkraft kann ich Strom erzeugen, oder Städte in die Luft jagen. Für diesen menschlichen Wahn, aus einer tollen Technologie eine Katastrophe machen zu können, sind wir lange bekannt. Und ich fürchte, dieses zweifelhafte Talent kommt bei künstlicher Intelligenz wieder zum Tragen.
- Lest auch zum Thema KI: Der ChatBot, mein bester Freund?
Keine Bange, ich möchte hier ncht darüber spekulieren, wann genau jemand mit KI ein tödliches Virus schafft, dass die Menschheit ausrottet, oder wann die Roboter uns Menschen unterjochen. Anstelle eines technischen Blicks möchte ich heute mit dem gesellschaftlichen Blick auf KI schauen und ich hoffe, Ihr seid dafür zu haben.
Mit Karacho in den digitalen Graben
Genauer gesagt spreche ich über die Spaltung der Gesellschaft. Es gibt diesen Riss, der mitten durch uns hindurch geht. Autokraten und Populisten schüren Ängste und vertiefen diesen Riss mit Hingabe. Es gibt so viele Scheren, die die Welt teilen: In Arm und Reich, in Nord und Süd, in Schwarz und Weiß. Aber auch Technologie führt dazu, dass wir als Gesellschaft auseinanderbrechen. Bereits seit den Neunzigern sprechen wir von einer digitalen Kluft.
Diesen digitalen Graben kennt jeder von uns. Wir wissen, dass manche von uns sich sehr sicher im Internet bewegen, andere gleichzeitig vor scheinbar unüberwindbaren Hürden stehen vor jeder Mail, die man schreiben muss und jeder Seite, die man aufruft. Die digitale Kluft ist auch eine regionale: Während in westlichen Ländern neun von zehn Einwohnern im Internet sind, sind es beispielsweise in den armen afrikanischen Ländern nur ein bis zwei von zehn Einwohnern.
Egal, ob wir auf Nationen schauen, auf Unternehmen oder auf uns selbst: Dieser digitale Graben betrifft jeden Bereich unseres Lebens und jeden Winkel des Planeten – und ich fürchte, dass künstliche Intelligenz dieses Problem massiv verschlimmern wird. Wir sind auf dem Weg in die KI-Zweiklassengesellschaft – und ich möchte Euch an einigen Beispielen erläutern, wieso ich das auf uns zurollen sehe.
Dank KI zur Zweiklassengesellschaft
Der finanzielle Aspekt spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, wer künftig wie künstliche Intelligenz in welchem Ausmaß nutzen kann. Wer die Kohle hat, hat die besseren Chancen (No shit, Sherlock!)
Reden wir also kurz darüber, wie sich das mit dem Geld äußert und danach sprechen wir darüber, welche Probleme sich daraus ergeben.
Money makes the world go round
Vor einigen Wochen habe ich Google Gemini mal locker flockig gebucht, um Gemini Advanced testen zu können. Es war ein kostenloser Gratismonat, also ab dafür. Bucht Ihr das bei Google One, zahlt Ihr schlanke 22 Euro pro Monat. Ich war schwer begeistert davon, was Googles neuestes Sprachmodell in Version 1.5 Pro bereits auf dem Kasten hat.
Längst habe ich wieder die "normale" Free-Version auf meinem Handy im Einsatz. Und ja, ich staune, wie viel beschissener die KI im Vergleich ist. Ich will Gemini Live nicht dissen in dieser Version, aber ich glaube, ich kann sogar mit meinem Backofen ansprechendere Diskussionen führen.
Oder nehmt Apple Intelligence: Unabhängig davon, dass die Apple-KI noch auf sich warten lässt, seid Ihr auf wirklich aktuelle, teure Hardware angewiesen. Ihr wollt Eure Texte zusammenfassen oder korrigieren lassen und witzige Emojis erstellen und endlich kontextbezogene Auskünfte von Siri bekommen? Dann schaut Ihr selbst mit einem iPhone 15 in der Basisversion noch in die Röhre. Es muss wenigstens ein Pro-Modell der iPhone-15-Reihe sein – oder halt ein taufrisches iPhone 16 (Test) mit entsprechender Hardware-Power.
Kein Vorwurf übrigens an Apple an dieser Stelle. Alle Hersteller müssen bestimmte Hardware-Hürden überspringen, um die smarten KI-Features auf Handys oder sonstwohin zu zaubern. Kostenintensiv sind aber nicht nur die Produkte für uns Endverbraucher:innen. Schon jetzt entfallen in Deutschland 3,5 Prozent des gesamten Stromverbrauchs auf Rechenzentren. Das wird dank KI rasant ansteigen – schließlich verbraucht eine einzige Anfrage bei ChatGPT zehnmal so viel Strom wie eine Google-Suche.
Finanzielle/soziale Spaltung
Aus dem, was ich gerade schrieb, ergibt sich unmittelbar ein Keil, der durch die Gesellschaft getrieben wird. In den USA ist man als junger Mensch ja quasi schon geächtet, wenn man kein iPhone besitzt. Chat-Bubbles in der falschen Farbe machen Dich da schnell zum Außenseiter. Dieser Trend wird sich verstärken, wenn Ihr dummerweise zu denen gehört, die eben nicht die tollen fancy Features auf sündhaft teuren Handys nutzen könnt.
Es ist wie sonst auch bei der sozialen Stellung: Fehlen Euch die richtigen Markenklamotten, könnt Ihr Euch die teuren Konzerte oder Reisen nicht erlauben, den Restaurantbesuch nicht so oft im Monat leisten? Pech gehabt! Auch ein günstiges Smartphone wird da schnell ein Symbol für weniger gesellschaftliche Teilhabe.
Bildungstechnische Spaltung
Während man das mit der mangelnden sozialen Teilhabe vielleicht noch so wegsteckt, ist das Themenfeld Bildung deutlich brisanter. Hohe Kosten für bestimmte LLMs, für bestimmte Software und für die notwendige Infrastruktur könnten dafür sorgen, dass es von der Schule abhängt, welche Qualität die künstliche Intelligenz besitzt, mit der die Schülerinnen und Schüler lernen.
Ach, Ihr habt es leider nicht auf die beste Elite-Schule der Stadt geschafft? Schade, dann viel Spaß mit der kostenlosen ChatGPT-Version. Der Unterricht, bei dem jeder Einzelne individuell vom auf für ihn persönlich zugeschnittenen KI-Agenten profitiert, bleibt den Bessergestellten vorbehalten.
Die Folgen könnt Ihr euch ausrechnen: Talente werden ebenso wie Schwachstellen besser und vor allem individuell erkannt. So kann an den richtigen Stellen gefördert oder nachgebessert werden. Das erhöht die Chance auf gute Noten, gute Noten erhöhen die Chance auf einen guten Abschluss, ein guter Abschluss erhöht die Chancen auf einen potenziell besseren Job. Ja, KI spielt eine Rolle, wenn schon für Teenager entscheidende Weichen fürs Leben gestellt werden.
Berufliche Spaltung
Seid Ihr dann im Job, ändert sich natürlich nichts, was die Relevanz von KI angeht. Selbstständige/Freiberufler, die sich teure KI-Tools nicht leisten können, geraten möglicherweise ins Hintertreffen. Oder denkt an mittelständige Unternehmen, die irgendwelche günstigen KI-Lösungen einsetzen, während es sich der übermächtige Konkurrent erlauben kann, ganz eigene KI-Modelle mit riesigen Datenmengen zu trainieren und dadurch ideal auf die eigenen Problemstellungen auszurichten.
Und ja, wir merken es aktuell schon: Wer sich auf KI einlässt und die entsprechenden Tools bereits zu nutzen versteht, arbeitet produktiver, weil man weniger repetitive Aufgaben übernehmen muss und so mehr Zeit für die anspruchsvolleren Teile des Berufs hat. Wenn Ihr deutlich weniger produktiv seid, weil Ihr diese KI-Tools nicht nutzen wollt bzw. könnt? Pech gehabt – Ihr könnt noch so ein feiner Kerl oder liebe Kollegin sein, aber wenn Ihr immer und immer wieder weniger produktiv seid als der Rest, wird Euch das auf die Füße fallen.
Generell werden durch KI natürlich viele Jobs wegfallen. Einer Studie von Goldman-Sachs zufolge, könne KI ermöglichen, dass die Arbeitskraft von 300 Millionen Vollzeitjobs durch Automatisierung eingespart werden kann.
Altersbedingte Spaltung
Dieser Punkt ähnelt dem der sozialen Teilhabe, nur mit noch härterer Konsequenz. Schon heute ist es für ältere Menschen oftmals ein Problem, mit neuen Technologien klarzukommen. Denkt allein an die gruseligen Fahrkartenautomaten, für die man teilweise studiert haben muss, um ihnen die gewünschten Tickets zu entlocken.
Zu all den technischen Hürden kommen auch für Senior:innen dann weitere hinzu. Jeder wird in wenigen Jahren einfach nur seiner smarten Assistenz zuflüstern, dass man jetzt Omi mit dem Zug besuchen möchte. Allein ein Satz wird ausreichen, dass die KI weiß, wo Ihr hinwollt, wer genau überhaupt gemeint ist und bucht Euch natürlich auch das passende Ticket. Der ältere Kerl, der nur schwer mit seinem Handy zurechtkommt, steht derweil am Bahnhof und schaut auf die leere Wand, wo früher die unnötig komplizierten Automaten standen.
Da, wo Unternehmen Einsparpotenzial sehen, werden sie sparen. Und das bedeutet, dass analoge Technik überall da abgebaut wird, wo digitale übernehmen kann – und das wird auch auf die Kosten der älteren Generation gehen.
Medizinische Spaltung
Persönlich glaube ich daran, dass KI im Medizin- und Gesundheitssektor schon bald wahre Wunder wirken kann und uns dabei hilft, so manche Geißel der Menschheit auszumerzen. Aber auch das wird eine Frage des Preises sein. Neulich erst hat Camila einen tollen Artikel darüber geschrieben, was für eine Entwicklung Fitnesstracker dank KI gemacht haben. Die haben sich binnen weniger Jahre von dumpfen Schrittzählern zu reinen KI-Fitness- und Gesundheits-Coaches entwickelt.
Aber auch hier lohnt sich wieder der Blick aufs Equipment: Was kann ein günstiger Fitnesstracker wie das Xiaomi Smart Band 9 (Test) – und wie viel mehr kann jetzt schon eine Apple Watch Ultra 2 (Test) im Vergleich dazu? Es wird einen Unterschied für Eure Gesundheit machen, ob Ihr lediglich Kalorien, Schritte und einen ungefähren Puls ermitteln könnt, oder ob Euch nicht nur ein KI-Coach ständig am Körper begleitet, sondern der ständig Euren Arzt auf dem Laufenden hält.
Schaut Euch bitte kurz dieses Video an. Ihr seht Chrissy Marshalls, die als taube Influencerin Ihre neue Hearview-Brille vorführt. All die Jahre war sie auf Gebärdensprache angewiesen, und darauf, dass sie von den Lippen abliest, was jemand sagt. Diese AR-Brille lässt sie jetzt einfach all das vor ihrem eigenen Auge ablesen, was jemand sagt. Es ergeben sich ungeahnte Inklusions-Möglichkeiten dank KI – aber die Hardware wird sich eben nicht jeder gönnen können.
Und was ist mit Ärzten selbst: Welche Möglichkeiten zur Behandlung gibt es? Kann Euer Arzt dank KI in Sekunden Eure Daten mit Millionen anderen abgleichen? Oder vertraut er lediglich auf seine eigenen Erfahrungswerte? KI macht auch hier den Unterschied!
... und das ist nur der Anfang
Ich habe Euch hier jetzt lediglich einen kleinen Abriss dessen geliefert, bei dem der Zugang zu KI für uns schon sehr bald einen signifikanten Unterschied machen wird. Dabei können wir noch über so viele andere Punkte reden:
- Komme ich aus einem Land, in dem es stabiles, schnelles Internet und Zugang zu mächtigen KI-Modellen gibt? Oder hängen mich auch hier wieder Tech-Nationen ab?
- Bin ich hier in Deutschland im Nachteil, weil die meisten herausragend guten LLMs zunächst in Englisch trainiert werden?
- Kann ich mich als Musiker, Maler, Dichter, Schriftsteller oder Fotograf ohne KI gegen diejenigen durchsetzen, die durch KI in ihrer Kreativität gestützt werden?
- Werden Kriege nur noch Menschenopfer bei den technisch Unterlegenen fordern, weil KI-Mächte nur noch smarte Roboter und Drohnen in die Kriegsschauplätze schicken?
- Rechtsberatung: Es gibt KI-gestützte Plattformen, die rechtliche Beratung bieten. Diese sind oft kostenlos verfügbar, aber auch stark limitiert. Wer umfassendere Rechtsberatung benötigt, muss zahlen.
- Kann ich dank Ki auf bessere, umfassendere Nachrichten zugreifen, und erhöhe ich durch KI meine Medienkompetenz? Oder falle ich auf jeden noch so billigen Fake rein?
Und was unternehmen wir jetzt?
Puh, ich wollte ja irgendwie zum Schluss einen positiven Gedanken mit Euch teilen, aber wie soll der aussehen? Wir sind tatsächlich nicht in der Situation, um "alles wird gut"-Parolen rauszukloppen. Bin ich davon überzeugt, dass alles gut wird? Ja, merkwürdigerweise schon. Meine Begeisterung für Technik und eine solide Naivität sorgen dafür, dass ich nicht wahrhaben möchte, dass wir mit der besten Technologie der Welt als Gesellschaft komplett den Bach runtergehen.
Aber ehrlich gesagt sieht es düster aus. Wir arbeiten uns gesellschaftlich an den falschen Baustellen ab, halten zu sehr an Vergangenem fest und verzetteln uns in Nebenkriegsschauplätzen. Wer sich nicht auf Ki einlässt, wird von der Gesellschaft abgehängt. Und wer sich einlassen möchte, aber nicht über die Mittel verfügt, muss andere Wege finden.
Vielleicht ist das aktuell sogar noch der beste Ansatz: Seid neugierig und schaut, wie Ihr diese Technologie nutzen könnt – und wo Ihr sie nutzen könnt. Immerhin gibt es bereits Initiativen, die dieser Spaltung entgegenwirken möchten. So gibt es Open-Source-Projekte, Bibliotheken, die entsprechende KI-Tools zur Verfügung stellen oder auch Bildungseinrichtungen, die sich chancengleichen Zugang zu KI-Ressourcen auf die Fahnen geschrieben haben.
Und sonst? Interessiert Euch für Politik und findet heraus, wer Eure Chancen erhöht. Eure Partei spricht zu wenig über KI? Dann nervt Eure Abgeordneten und schreibt sie an. Seid laut, fordert die Politik. Das mag nur ein mikriger Strohhalm sein, aber besser als nichts.
Künstliche Intelligenz kann uns Türen zu sagenhaften Welten und Errungenschaften aufstoßen. Wann der richtige Zeitpukt ist, um dafür zu sorgen, dass wir möglichst alle die gleichen Chancen erhalten, davon zu profitieren? Jetzt, genau jetzt!
Kommentare
Kommentare
Beim Laden der Kommentare ist ein Fehler aufgetreten.