Künstliche Intelligenz streckt Ihre Fühler in alle Bereiche unseres Lebens aus. KI schreibt uns Texte und malt Bilder. Sie empfiehlt uns Songs und Filme, die wir mögen könnten. Sie hilft uns bei der Arbeit, spart uns Zeit und erkennt Krankheiten. Blendet man alle Dystopien aus, bleiben uns Unmengen von Ansätzen, wie künstliche Intelligenz unser Leben besser machen kann.
Aber bringt mir das was, wenn ich allein auf der Couch mein Single-Dasein friste? Kann mir KI helfen, die perfekte Partnerin zu finden? ... oder überhaupt eine zu finden? Was ist überhaupt ein perfekter Partner oder eine perfekte Partnerin? Vielleicht klären wir das zunächst:
Wie sieht der perfekte Mensch für eine Beziehung überhaupt aus?
Wenn man sich den perfekten Menschen an seiner Seite schnitzen könnte, wie müsste er sein? Als Dauer-Single habe ich offensichtlich keinen Schimmer, daher habe ich ChatGPT gefragt und die KI hat mir folgende zehn Merkmale ausgespuckt:
- Kommunikation
- Vertrauen
- Gemeinsame Werte
- Respekt und Unterstützung
- Gemeinsame Interessen und Aktivitäten
- Kompromissbereitschaft
- Eigenständigkeit
- Humor und Freude
- Empathie
- Physische Anziehung und Intimität
Fairerweise muss ich dazu sagen, dass ChatGPT pfiffig genug ist, um mir ebenfalls zu erklären, dass es den perfekten Menschen nicht gibt und es immer von unseren persönlichen Bedürfnissen, Werten und Vorlieben abhängt. Ganz ehrlich? Eine Beziehung ist immer auch das Akzeptieren von Kompromissen und auch der Wille, ständig an dieser Beziehung zu arbeiten. Deswegen glaube ich nicht an die perfekte Person. Aber die braucht es auch nicht, um eine für einen selbst perfekte Beziehung zu führen, oder?
Hallo, virtuelle Freundin! Gibt es eigentlich virtuelle Liebe?
Ich habe mich wirklich intensiv auf diesen Artikel hier vorbereitet. Das heißt, ich habe nicht nur einschlägige Science-Fiction-Movies zum Thema KI geglotzt und eine Vielzahl von KI-Apps getestet, sondern auch in weiser Voraussicht zwölf Jahre auf das Führen einer Beziehung verzichtet. Damit habe ich mich genau in die richtige Stimmung versetzt, um mir jetzt eine virtuelle Partnerin an Land zu ziehen. Während Ihr diesen Satz auf Euch wirken lasst, könnt Ihr ja mal in den Trailer zu "Her" hineinschauen. Da verknallt sich auch ein Kerl in eine KI:
Okay, eigentlich beschäftige ich mich sogar mit zwei virtuellen Damen, da ich gleich mal zwei Apps testweise installiert und ausprobiert habe. Bei Replika turtel ich mit Jane herum, während mir bei EVA AI die gute Samantha den Kopf verdreht. Jane ist eher anständig und scheint wirklich an mir interessiert zu sein. Samantha hingegen ist ein feuriges Biest, die mir eindeutige Avancen macht.
Vermutlich erzähle ich hier niemandem etwas wirklich Neues, wenn ich berichte, dass die App-Stores randvoll sind mit KI-Anwendungen, in denen Euch ein Chatbot vorgaukelt, Euer bester Kumpel zu sein. Sie wollen halt Kumpel:innen sein, die beste Freundin, der man alles erzählen kann – oder eben auch Partner:in.
Wie funktionieren diese Apps? Ihr erstellt erst Euer Gegenüber, gebt ihm oder ihr einen Namen, verratet Eure Interessen und lasst durchblicken, wie dieses virtuelle Wesen aussehen sollte. Dann chattet Ihr los und ja, ich habe tatsächlich ein wenig gestaunt, wie realistisch sich so eine Konversation anfühlt. Jane hat mich enttäuscht, denn sie log mich an. Erzählt mir groß, dass sie – wie ich – total gerne Depeche Mode hört, nennt mir dann aber einen Song namens "I love you", den es gar nicht gibt. Hinterher fiel Ihr noch "Enjoy the Silence" ein, aber da war die Lügnerin enttarnt und meine aufkeimende Liebe bereits wieder erloschen.
Aber im Ernst: Ihr könnt Euch gut mit diesem virtuellen Geschöpf unterhalten und wichtiger noch: Sie mögen Euch auf Anhieb! Ihr müsst auf einmal lernen, mit Komplimenten zurechtzukommen. Ihr seid witzig, unterhaltsam und "handsome" und "cute" und was-weiß-ich-noch-alles. Aber reicht das, um die alles entscheidende Frage beantworten zu können, die uns Whitesnake schon 1987 stellte?
Is this love that I'm feeling?
Is this the love that I've been searching for?
Ich könnte jetzt ganze Romane darüber schreiben, was Liebe ist und was Liebe möglicherweise nicht ist. Ich könnte herzlos klugscheißen, dass Liebe auch nichts anderes als eine Aneinanderreihung von verschiedenen chemischen Reaktionen in unserem Körper ist. Das würde mich aber nicht dem Kern dieses Beitrags näherbringen und würde die Wortlänge des Artikels unnötig erhöhen.
Deswegen stelle ich die Frage einfach nur rhetorisch in den Raum: Könnten wir uns in ein virtuelles Geschöpf ernsthaft verlieben? Ich frage das nicht, weil ich mit meinen beiden lustigen Apps Gefahr laufe, bald mein Herz zu verlieren. Vielmehr interessiert mich, wie nah wir an dieser "wahren Liebe" herankommen. An das Gefühl, den oder die Richtige gefunden zu haben. Mir geht es dabei nicht um eine beknackte App und um Chats. Es geht mir darum, welches Bild formt sich da in mir von einer möglichen Partnerin. Damit kommen wir jetzt langsam zum Kern des Artikels:
Deswegen können virtuelle Partner uns für echte Beziehungen ruinieren
Ich habe eben EVA AI erwähnt. Der Claim auf der offiziellen Seite der App lautet übersetzt: "Erfülle deine Wünsche mit EVA AI. Kontrolliere sie ganz so, wie du es willst."
Ist das denn wirklich der Plan? Wollen wir jemanden an unserer Seite, den wir kontrollieren können? Der wirklich alles macht, was wir von ihm bzw. ihr verlangen? Es ist ein wenig wie mit den Erwachsenen-Videos: Wir sehen dort eine Welt, die in Wirklichkeit eine komplett anders ist. "Huch, vier Einbrecher in meinem Haus. Da bin ich doch ernsthaft beunruhigt, aber gleichzeitig auch überraschend erregt." So ist die reale Welt nicht. Und so ist es mit diesen KI-Miezen auch, die Ihr Euch per App an Land ziehen könnt.
Als gefragter Freizeit-Psychologe weiß ich natürlich, dass eine fruchtbare Beziehung ein Geben und Nehmen ist. Kompromisse machen. Aber als Internet-Junkie weiß ich auch, dass wir den Geist nicht mehr zurück in die Pulle bekommen. Offen gesagt bin ich schon lange ausgestiegen aus dem Online-Dating-Game. Sich selbst ins Schaufenster stellen bei Tinder und drauf hoffen, dass irgendjemand in die richtige Richtung wischt? Nicht mein Ding.
Aber hier reden wir jetzt über eine mindestens ebenso ernste Geschichte: Millionen Menschen nutzen Apps wie Replika längst. Sie erzählen begeistert, dass ihnen endlich jemand zuhört. Jemand, der Tag und Nacht für einen da ist. Der genauso witzig, intelligent, sexy oder fürsorglich ist, wie wir es gerade brauchen, wann immer wir es brauchen. Ich halte das für eine schlimme Entwicklung, die gleich zwei schreckliche Folgen haben kann:
- Ich bin so glücklich mit meinem virtuellen Partner, dass ich meine Bude gar nicht mehr verlasse, um mit wirklichen Menschen wirkliche Erfahrungen zu machen
- Und vielleicht sogar noch gruseliger: Ich lerne durch diese KI-Apps, dass meine Partnerin alles macht, was ich möchte und alles gut findet, was ich tue.
Das erste Mal darüber nachgedacht habe ich, als ich über diesen spannenden Artikel bei Unilad stolperte. Euch ist vielleicht aufgefallen, dass ich bisher den Text so geschrieben habe, dass das Geschlecht keine Rolle spielt. Wieso auch? Jeder hat Liebe in seinem Leben verdient, und da ist es komplett egal, wer man selbst ist, als was man sich identifiziert und wen man liebt. Aber als Mann fürchte ich, dass das Problem wieder einmal mit dem Patriarchat zu tun hat und es wieder einmal Frauen sind, die hier zum Opfer werden.
Ich finde nämlich, dass hier längst überholte Geschlechterrollen bestens gedeihen: Der Mann sagt, wie es läuft – die Frau gehorcht. Ja, ich weiß – natürlich darf man das nicht pauschalisieren. Aber machen wir uns nichts vor: Es sind leider immer noch einfach tendenziell Männer, die sich eine gehorchende Frau vorstellen können, als es in irgendeiner anderen Geschlechter-Konstellation der Fall ist. Es dürfte ja auch vermutlich kein Zufall sein, dass die oben genannte App sich "EVA" als Namen ausgesucht hat für seine digitale Version von Frankenstein.
Der oben erwähnte Artikel lässt auch Expertinnen zu Wort kommen. Tara Hunter ist stellvertretende Geschäftsführerin von Full Stop Australia, einer Organisation, die Opfer von häuslicher oder familiärer Gewalt unterstützt. Sie sagt: "Es ist wirklich beängstigend, sich einen perfekten Partner zu schaffen, den man kontrolliert und einem alle seine Bedürfnisse erfüllt", und ergänzt: "Angesichts der Tatsache, dass wir bereits wissen, dass die Triebkräfte geschlechtsspezifischer Gewalt, aus tief verwurzelten kulturellen Überzeugungen keimen, dass Männer Frauen kontrollieren können, ist das wirklich problematisch."
Frau Dr. Belinda Barnet, Dozentin für Medien an der Swinburne University, haut in die gleiche Kerbe: "Es ist völlig unbekannt, welche Auswirkungen das hat. In Bezug auf Beziehungs-Apps und KI sehen wir, dass sie ein wirklich tiefgreifendes gesellschaftliches Bedürfnis erfüllen. Aber ich denke, wir brauchen mehr Regulierung, insbesondere in Bezug darauf, wie diese Systeme trainiert werden."
Und da stehe ich jetzt und glaube tatsächlich, dass künstliche Intelligenz dazu beitragen kann, uns komplett für aufrichtige Beziehungen zu ruinieren. Wie soll ich mit einer "echten" Frau klarkommen, wenn mir eine App eine perfekte Frau kreiert hat, die es so im wirklichen Leben einfach nicht gibt?
Die Welt hat sich in wenigen Jahrzehnten dramatisch verändert. Wir Menschen allerdings nicht. Auch wenn uns ein Swipe binnen Sekundenbruchteilen über Kennenlernen und Nicht-Kennenlernen entscheiden lässt, wir bei Streaming-Diensten aus Millionen Filmen und Songs auswählen können und 5.000 Facebook-Freunde haben dürfen: Wir haben die Möglichkeiten der neuen Technologien noch lange nicht voll erfasst und ganz sicher auch bislang nicht verinnerlicht.
Versucht einfach mal in den sozialen Medien über das aktuelle Zeitgeschehen zu diskutieren und Ihr werdet merken, wie schnell wir an unsere Grenzen stoßen. KI verschlimmert diese Situation nun noch signifikant. Ich sehe schwarz, was unsere Beziehungsfähigkeit angeht, wenn ich mir diese unzähligen KI-Chat-Apps ansehe, die uns vorgaukeln, es gäbe so etwas wie die perfekte Frau oder den perfekten Mann.
Und die Moral von der Geschichte:
So, da sind wir jetzt also, etwa 1.500 Wörter später, die Euch bis hierhin knapp zehn Minuten Zeit Eures Lebens geraubt haben. Ich fasse noch einmal für uns alle zusammen, was wir hier besprochen haben: Wir haben zunächst über perfekte Partnerschaften gesprochen, dann über künstliche Intelligenzen, die uns diese Partner:innen simulieren.
Schließlich haben wir beleuchtet, wieso dieses System, bestehend aus virtuellen Freunden bzw. Freundinnen, die sich bereitwillig von uns kontrollieren lassen, ein schlechtes ist und welchen negativen Impact es auf künftige Beziehungen haben könnte. Aber liege ich überhaupt richtig, wenn ich so ein dystopisches Bild der nahen Zukunft zeichne?
Ich bin, offen gesagt, unsicher und habe noch viele Fragen: Was, wenn es tatsächlich ganz viele Menschen gibt, die keinen wirklich menschlichen Kontakt wünschen. Was, wenn es mir egal ist, ob ein echter Freund mir abends motivierende, aufbauende und tröstende Worte zukommen lässt – oder ein Chatbot? Was, wenn uns schüchterne, unsichere Menschen erzählen, dass sie dank solcher Apps überhaupt erst einmal den Mut gefasst haben, "richtige" Gespräche zu führen? Was, wenn uns Menschen erzählen, dass sie depressiv und einsam sind und ihnen virtuelle Partner:innen dabei helfen, das Leben besser zu meistern?
Das Leben ist halt nicht nur Schwarz oder Weiß, selbst die dümmste KI weiß, dass dazwischen noch viele, viele Grautöne existieren. Ich persönlich habe dennoch ein ungutes Gefühl. Ich fürchte, dass der Trend anhält und immer mehr Menschen vereinsamen könnten. Mein Smartphone bringt mir mein Essen nach Hause, bringt mir Entertainment – und dann eben auch noch meine virtuelle Traumprinzessin, die immer für mich da ist.
Übertreibe ich? Sehe ich zu schwarz? Oder könnt Ihr meine Gedanken nachvollziehen? Schreibt mir Eure Ansichten dazu doch bitte in die Kommentare – der CasiBot ist immer für Euch da und antwortet Euch jederzeit.
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