Wie grün ist Apple wirklich? Echtes Vorbild oder doch nur Greenwashing?

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Ist Apple das grüne Vorbild für die Tech-Branche, oder gar für Unternehmen generell? Beim jüngsten iPhone-Event sprach man viel über Nachhaltigkeit, über Recycling und Emissionsabbau, konnte mit der Apple Watch 9 sogar sein erstes komplett CO₂-freies Produkt vorstellen. In diesem Beitrag möchte ich Apple ein wenig auf den Zahn fühlen: Hat Apple tatsächlich den richtigen, nachhaltigen Weg eingeschlagen, oder haben wir es lediglich wieder einmal mit Greenwashing zu tun?

Zwei Sachen vorab, bevor wir hier tiefer eintauchen:

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  1. Dies ist nur ein einziger Artikel, der sich mit dem Thema beschäftigt und ich fürchte, nextpit kann Euch weitere in Zukunft nicht ersparen. Jüngst hat sich die liebe Camila schon ausführlich mit Nachhaltigkeit beschäftigt – in Ihrem Beitrag über Mikroplastik-Filter in Waschmaschinen. Ermutigend fand ich dabei übrigens Eure Kommentare: Die Awareness nimmt definitiv zu! Diesen Pfad können und müssen wir weiter beschreiten, denn so shiny und fancy so ein neues Smartphone auch sein mag: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel bei der Art und Weise, wie wir Technik nutzen und über sie sprechen.
  2. In diesem Beitrag geht es ausschließlich um Apple. Das liegt auf der Hand, da die iPhones gerade neu vorgestellt wurden – und Apple dort sehr ausführlich über Nachhaltigkeit redete. Apple hat zudem aufgrund der Verkaufszahlen allein mehr Verantwortung als die meisten anderen Unternehmen dieses Planeten. Nichtsdestotrotz gilt all das, worüber wir hier jetzt gleich sprechen, selbstverständlich auch für alle anderen Unternehmen. Wir stecken da alle gemeinsam drin – und kommen da auch nur gemeinsam wieder raus!

Apple im Jahr 2023: Grün, grün, grün sind alle meine Kleider

Mir schwirrt der Kopf! Seit dem iPhone-Event in der letzten Woche, bei dem Apple das Thema Nachhaltigkeit in den Vordergrund rückte, habe ich mich damit beschäftigt, wie grün Apple tatsächlich ist. Einfach, weil sich das teilweise zu gut, zu positiv anhörte, was Apple da über seine ökologischen Bestrebungen zu berichten wusste. Hey, selbst Mutter Natur war ja sichtlich angetan:

Daraufhin hab ich gebuddelt. Tief gebuddelt! Und ja: Wir hätten reihenweise Leichen aus Apples Keller ans Tageslicht zerren können. Eigentlich war mein Plan, Euch ausführlich zu berichten, was für Öko-Dreckschweine die Jungs und Mädels aus Cupertino einst waren. Schlechte bis haarsträubende Arbeitsbedingungen in China, vergiftete Flüsse, Kobalt aus afrikanischen Krisenregionen, Kinderarbeit. Kobalt ist dabei gleich doppelt problematisch, vom Raubbau mit unserem Planeten einmal ganz abgesehen: Zum einen finanzierten Apple und andere Tech-Unternehmen damit indirekt blutige Bürgerkriege in der Region. Und zum anderen mahnte Amnesty International damals an, dass dort teils siebenjährige Kinder unter widrigsten Bedingungen zur Arbeit verdonnert wurden. 


Übrigens sprachen wir auch im nextpit-Podcast Casa Casi über Apple und Nachhaltigkeit:

 

Aber ich hab mich dagegen entschieden, hier einen Pranger für Apple zu errichten, an dem hektisch angebrachte grüne Farbe nur sehr notdürftig das tiefrote Blut übertüncht. Wieso? Na, weil Ihr hier nicht eine ganze Woche lang an diesem Beitrag lesen sollt – und weil ich es fair finde, Apple nicht vergangene Sünden vorzuwerfen, sondern zu schauen, wo sie jetzt stehen. 

Immerhin hat selbst Greenpeace Apple bereits 2017 in seinem "Guide to Greener Electronics"-Bericht (PDF) quasi geadelt. Hinter Fairphone, aber mit massivem Abstand vor der Smartphone-Konkurrenz aus Südkorea und China schnappte sich Apple dort einen erstaunlichen zweiten Rang. 

Schon 2017 schaffte es lediglich Fairphone, noch grüner zu sein als Apple. / © Greenpeace

Also vergessen wir einmal, dass Apple – wie circa jedes verdammte, nach den Gesetzen des Kapitalismus agierende Unternehmen – förmlich darauf geschissen hat, wie gut oder schlecht die Produktion der eigenen Produkte dem Planeten bekommt. Wir schauen also auf heute und auf das, was Apple sagt, was es tut. Dafür beziehe ich mich auf Apples aktuellen Fortschrittsbericht zum Umweltschutz (PDF) und auf die Pressemitteilung anlässlich Apples ersten CO₂-neutralen Produkten.

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Die Apple Watch ist Apples erstes CO₂-neutrales Produkt

Mit besagten CO₂-neutralen Produkten sind selbstverständlich die neuen Apple Watches gemeint. In der Pressemitteilung erklärt uns Apple, dass jede CO₂-neutrale Apple Watch Modell folgende Kriterien erfüllt:

  • 100 Prozent saubere Energie für die Fertigung und Produktverwendung
  • 30 Prozent recyceltes oder erneuerbares Material nach Gewicht
  • 50 Prozent der Lieferungen ohne Transport auf dem Luftweg.

Daraus ergeben sich produktbezogene Emissionseinsparungen von mindestens 75 Prozent pro Modell. Den Rest kompensiert Apple mithilfe von "hochwertigen Emissionszertifikaten" der SCS Global Services – Nach Apple-Aussage ein führendes Unternehmen für Umweltstandards und Zertifizierungen.

Apples Umweltstrategie bis 2030

Apple verspricht uns zudem, all seine Produkte bis 2030 CO₂-neutral zu machen. Schon jetzt erklärt Apple stolz, dass die Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette seit 2015 um über 45 Prozent reduziert wurden. Außerdem wären bereits heute alle Unternehmensprozesse CO₂-neutral. Weitere Eckdaten aus Apples grünem Ansatz:

  • Mehr als 40.000 Tonnen Elektroschrott wurden im Jahr 2022 dem Recycling zugeführt.
  • 20 Prozent aller Materialien in den 2022 ausgelieferten Produkten stammten aus recycelten und erneuerbaren Quellen.
  • Mehr als 300 Zulieferer, die über 90 Prozent von Apples Fertigungs­ausgaben ausmachen, haben sich bis 2030 zum Einsatz von 100 Prozent erneuer­­barem Strom für die Produktion von Apple Produkten verpflichtet.
  • 2022 konnten durch die 13,7 Gigawatt erneuerbarer Energie, die in der Lieferkette von Apple eingesetzt worden sind, 17,4 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen vermieden werden – das entspricht den jährlichen Emissionen von fast 3,8 Millionen Autos
  • Über 70 Prozent des durchschnitt­lichen Energie­verbrauchs der Apple-Produkte wurden seit 2008 verringert.
  • Kunststoff wird bis Ende 2024 aus allen Verpackungen verschwinden.
  • Alle MacBooks, AppleTVs und Apple Watches setzen für ihre Gehäuse auf zu 100 Prozent recyceltes Aluminium.
  • Leder verschwindet ab sofort komplett und wird durch den synthetischen Stoff "FineWoven".
  • 100 Prozent des Stroms in sämtlichen Rechenzentren, Büros und auch Apple Stores ist aus erneuerbaren Energien.
  • Allein 2022 wurden 49 Milliarden Liter Frischwasser eingespart.
  • Apple verpflichtet sich, bis 2025 100 Prozent recyceltes Kobalt in allen von Apple entwickelten Batterien zu verwenden.

Schaue ich jetzt auf diese Auflistung – und ich hätte die vermutlich noch eine Stunde lang weiterführen können – machen sich ambivalente Gefühle in mir breit. Einerseits sind das in Teilen sehr erstaunliche Errungenschaften. Teilweise werde ich aber auch das Gefühl nicht los, dass das alles nur die halbe Wahrheit ist. Lasst uns versuchen, ein wenig hinter diese lichtdurchflutete, grüne Fassade zu blicken.

Das Design? Double Tap? Nee, die Nachhaltigkeit ist das wahre Highlight der Apple Watch 9. / © Apple

Ist das Gras auf der Apple-Seite wirklich grüner?

Der Haken ist oftmals gar nicht das, was ein Unternehmen bei seiner Strategie kommuniziert. Schließlich wollen die heutzutage alle grüner werden, oder mindestens wollen sie uns weismachen, dass sie grüner werden. Der Haken ist vielmehr das, was die Unternehmen NICHT sagen. Wollt Ihr ein Beispiel? 

Apple schreibt: "2022 stammten 25 Prozent des Kobalts in unseren ausgelieferten Produkten – fast doppelt so viel wie 2021 – aus zertifizierten, recycelten Quellen, darunter postindustrielle Abfälle und gebrauchte Batterien am Ende ihrer Lebensdauer von Verbraucher:innen." Was Apple hingegen nicht sagt: 75 Prozent des Kobalts in Apple-Produkten stammt somit NICHT aus zertifizierten, recycelten Quellen!

Dieses "was Apple nicht sagt", zieht sich so ein bisschen durch den ganzen Umwelt-Report und auch leider durch die komplette Umweltschutz-Strategie des Unternehmens. So verweist man auf 100 Prozent Strom aus Erneuerbaren in allen Büros, Datenzentren und Stores, erzählt aber eben nicht, dass das lediglich einen Anteil von zwei Prozent des insgesamt von Apple verbrauchten Stroms ausmacht, wenn man Transport, Zulieferer und alle weiteren Posten dazurechnet. Bitte nicht falsch verstehen: Allein, dass die riesigen Datenzentren schon auf grünem Strom laufen, macht einen wirklichen Unterschied.

Ja, Apple verzichtet jetzt tatsächlich auf Leder und setzt stattdessen auf ... haha, ja – tatsächlich Kunststoff. / © Apple

Noch ein Beispiel, dann gehe ich Euch mit meiner Apple-Kritik aber nicht länger auf die Nerven, versprochen: 

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Laut Statista hat Apple im Geschäftsjahr 2022 etwa 239 Millionen iPhones verhökert. Rechnen wir die mal 200 Gramm (als durchschnittlichen Wert für ein Smartphone), kommen wir auf etwa 47.800 Tonnen brandneuen, künftigen Elektroschrott. Pro Jahr. Die Zahl dürfte deutlich höher ausfallen, weil Apple wesentlich mehr Pro-Max-Modelle mit einem Gewicht von 240 Gramm verkaufte als die kleineren Modelle. Rechnet dann noch alles andere hinzu: Macs, Watches, iPads, Zubehör usw. Stellen wir das dann den oben erwähnten 40.000 Tonnen gegenüber, die Apple recycelt hat, sind 40.000 Tonnen immer noch richtig viel – aber dennoch viel zu wenig. 

Noch mickriger – aber das können wir Apple nun selbstverständlich nicht allein ankreiden – wird das Erreichte, wenn wir von der UN hören, dass es allein im Jahr 2020 53,6 Millionen Tonnen Elektroschrott gab. Das wären täglich dreimal so viel, wie Apple im ganzen Jahr recycelt. Euch schwirrt der Kopf? Ja, mir auch – sagte ich ja eingangs. 

Fazit

Was Apple tun muss

So, lasst uns mal kurz durchschnaufen und resümieren. Ich habe im Vorfeld einen Haufen Artikel gelesen und Videos geglotzt. Dabei ging es nicht immer nur um Apple, sondern um Nachhaltigkeit und möglichst grüne Technik an sich. So viel kann ich verraten: Wenn Ihr da thematisch erst einmal hereingeraten seid, findet Ihr so flott nicht wieder heraus. Dieses Rabbit Hole ist noch größer als der jährliche Elektroschrott-Berg.

Da sind noch so viele Aspekte, die in diesem Beitrag nicht berücksichtigt werden konnten (geplante Obsoleszenz, anyone?) und ja, auch sehr viele Bemühungen seitens Apple blieben unerwähnt. Daher lege ich Euch noch einmal den Umwelt-Report des Unternehmens ans Herz, mit dem Ihr bei über 100 Seiten echt ordentlich was zu schmökern habt. 

Dort lest Ihr, wie sich Apple um die Verminderung bzw. dem Recycling seltener Erden bemüht, wie der Transport neugedacht werden muss und so vieles mehr. 

Aber lasst uns jetzt darüber sprechen, was ich von Apple erwarte bzw. erwarten muss. Eingedampft auf einen einzigen Satz würde ich verlangen:  Apple, mach Dich endlich ehrlich!

Aber ein Satz reicht da natürlich nicht. Also ein bisschen ausführlicher:

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Liebes Apple,

erzähl uns keinen Scheiß mehr, bitte! Ich glaub Euch ja, dass Ihr Vieles auf den Weg gebracht hat – ließe sich ja auch nur schwer leugnen. 

Aber heuchelt bitte nicht, dass Ihr ALLES dafür getan habt, dass es dem Planeten besser geht. Auf der einen Seite spart Ihr Platz und Material, weil Ihr keine Charger in die Boxen packt. Auf der anderen Seite seid Ihr bekannt für so viel Adapter- und Kabel-Chaos und lasst uns unnötigerweise Zillionen von immer neuem Zubehör kaufen und so noch mehr Elektroschrott produzieren.

Ihr sprecht von besserer Reparierbarkeit auf der einen Seite – und ballert dann aber so viel Kleber in jedes MacBook und iPhone, dass jeder Klimakleber vor Neid ganz grün (pun intended!) wird. Apropos Reparieren: Wieso macht Ihr es nicht wie Fairphone und lasst uns ganz bequem Akkus, Kameras und mehr austauschen? Wo ist das modulare iPhone? 

Und behandelt uns Konsumierende doch nicht wie Idioten. Wir bekommen das mit, dass Ihr viel für den Planeten tut – Ihr erzählt es uns ja auch oft genug. Aber wieso erzählt Ihr nicht offen, dass Ihr diese grüne Masche dazu benutzt, um noch mehr Kohle zu scheffeln? Es würde Euch niemand übel nehmen, weil es ja Euer gutes Recht ist, Geld zu verdienen. Ich würde mir daher wünschen, dass Ihr weniger staatstragend und betroffen auf den armen Planeten verweist, sondern selbstbewusst vorangeht und erklärt, dass Ihr weiterhin das wertvollste Unternehmen der Welt sein wollt – jetzt eben mithilfe grüner Technik. 

Würde es Euch wirklich hauptsächlich um den Umweltschutz gehen, würdet Ihr übrigens ganz anders mit Eurem Geld umgehen. Ihr habt letztes Jahr allein knapp hundert (!) Milliarden Gewinn erwirtschaftet. Haut die Kohle raus – bezahlt jedem noch so kleinen Mitarbeitenden einen fetten Bonus zum Beispiel. Denn Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass die Menschen, die die iPhones zusammenlöten, transportieren und verkaufen, sorgenfrei leben können. 

Ja, Ihr macht viel, sehe ich ein – aber Ihr könntet so verdammt viel mehr machen. Und der Witz dabei: Dadurch, dass Ihr so ein tolles Vorbild wärt, würden Euch alle nacheifern und es würden sich noch mehr Menschen auf Eure Produkte stürzen und Euch wieder mehr verdienen lassen. Denkt mal drüber nach.

Alles Liebe

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Euer Casi

Was wir tun müssen

Ach, ein letzter Gedanke noch, denn bei Nachhaltigkeit geht es nicht nur um Politik und um Unternehmen. Es geht immer auch um uns als Endverbraucher:innen. Wir können nämlich alle mithelfen, den entscheidenden Unterschied zu machen.

Grundsätzlich ist das nachhaltigste Technik-Gadget das, welches Ihr nicht kauft. Die nachhaltigste Reparatur bei einem Smartphone ist die, die nicht anfällt. Die sauberste Energie ist die, die Ihr nicht verbraucht. Was meine ich damit? Kauft kein Smartphone, wenn Ihr es vermeiden könnt, sondern nutzt das vorhandene Device so lange wie möglich. Jedes neu erworbene Gerät und auch jedes neu verbaute Ersatzteil tritt unserem Planeten erneut in den Hintern. 

Behandelt Eure Technik also sorgsam, verabschiedet Euch von irgendwelchen "Ich brauch jedes Jahr das beste, neuste Gadget"-Mantras und lasst Euch von Unternehmen wie Apple, aber auch Samsung, Xiaomi oder sonst wem nicht einreden, dass Ihr jedes Jahr ein altes durch ein neues Handy ersetzen müsst. 

Wenn Ihr mich fragt, ist Apple auf einem wirklich guten Weg, sich dieses Greenwashing-Labels zu entledigen, der dem Unternehmen anhaftet. Immer mehr habe ich den Eindruck, dass das Unternehmen es ernst meint und dadurch viele andere Unternehmen zum Mitmachen animiert werden könnten. 

Allerdings frage ich mich auch, ob Ihr da mitgeht und es ähnlich seht: Was haltet Ihr von Apples Bestrebungen, dem Planeten zu helfen? Kauft Ihr es Apple ab? Oder haltet Ihr es nach wie vor für Greenwashing? Welche Vorschläge würdet Ihr Apple machen für mehr Nachhaltigkeit – und was tut Ihr selbst, um mit gutem Beispiel voranzugehen? Schreibt es uns gerne in die Kommentare – am besten aber in einem fairen Ton, egal welche Meinung Ihr vertretet. 

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