Ja, ich weiß, die legendäre germanische Ernsthaftigkeit ist ein Stereotyp. Aber ich habe das Recht dazu, denn ich habe den Sauerkraut-Pass, da ich in Deutschland geboren bin und derzeit hier lebe. Aber zurück zu Sennheiser. Der Hersteller hat gerade neue Produkte für die CES 2024 angekündigt. Darunter auch die neuen drahtlosen Flaggschiff-Kopfhörer, die Sennheiser Momentum TW 4, welche die 2022 erschienenen Momentum TW 3 (Test) ersetzen.
Und, Überraschung, Sennheiser hat sich nicht dem Trend des 360°-Audiosystems gebeugt, wie Bose es mit seinen Bose QC Ultra Earbuds (Test) oder Sony mit seinen Sony WF-1000XM5 (Test) taten. Stattdessen enthalten die Sennheiser Momentum TW 4, die mit Qualcomm entwickelt wurden, den "aptX Lossless"-Codec und die "Qualcomm RF Front End"-Technologie. Kurz gesagt, Funktionen, die sich auf die Audioqualität und die Qualität/Stabilität der Bluetooth-Verbindung konzentrieren.
Das ist ein Schritt gegen den Strom des Marktes. Ich persönlich denke, dass das eine gute Sache ist. Aber pokert Sennheiser hier eventuell zu hoch?
Qualität der Funktionen statt Quantität
Die Sennheiser Momentum TW 4 haben die Besonderheit, dass sie von Qualcomm mitentwickelt wurden. Sie profitieren also vom Funktionspaket des "Qualcomm S5 Sound Gen 2"-Chips und des Snapdragon-Sounds.
Dazu gehört auch der aptX Lossless-Bluetooth-Codec, der eine verlustfreie Wiedergabe verspricht. Auch wenn er das nicht wirklich ist. Der Codec ermöglicht es, Musikstücke in "CD-Qualität" (16-Bit / 44,1kHz) zu hören. Das ist zwar nicht Hi-Res, aber deutlich besser als das hyperkomprimierte MP3, das Ihr von Spotify geboten bekommt.
Eine weitere interessante Funktion ist die "Qualcomm RF Front End"-Technologie. Sie verspricht, die Empfindlichkeit der Antennen zu verbessern und damit die Latenz zu senken, Verzerrungen zu verringern und die Stabilität des Signals zu erhöhen.
Wenn ich das Datenblatt eines Audioprodukts lese, schaue ich mir die Größe der Treiber, den Frequenzgang und die unterstützten Audiocodecs an. All diese Elemente beeinflussen die Fähigkeit des Kopfhörers, einen Ton mehr oder weniger genau und stabil wiederzugeben.
Nehmen wir beispielsweise mit Bose und Apple zwei der Mainstream-Hersteller. Jeder Tester und Nutzer dürfte Euch attestieren, dass die Audioqualität mindestens die Note "Sehr gut" verdient. Trotzdem haben die Kopfhörer und Headsets dieser Marken oft ein sehr, sehr einfaches Datenblatt.
Die eingebauten SBC- und AAC-Codecs sind ein gesetzliches Minimum, das jeder Hersteller anbieten muss. So entspricht etwa der Frequenzgang von 20 bis 20.000 Hz dem theoretischen Durchschnitt dessen, was das menschliche Ohr wahrnehmen kann. Auch hier handelt es sich um das gesetzliche Minimum.
Kurz gesagt, wenn ich einen Bluetooth-Kopfhörer oder True-Wireless-Kopfhörer auswähle oder teste, mag ich Modelle, die ein wenig mehr bieten. Sennheiser ist in diesem Sinne (Sony auch, keine Sorge, Fanboys, aber das ist nicht das Thema) ein klarer Go-To-Hersteller.
Das 360°-Audio, das ein Gimmick ist, zugunsten einer besseren Audioqualität zu opfern, ist also keine schlechte Idee.
Ich habe das Trommelfell voll von 360°-Audio
Bisher ist 360°-Audio in meinen Augen und für meine Zwecke einfach nur ein Gimmick. Ich persönlich habe das räumliche Audio der AirPods Pro 2 (Test) getestet, welches die derzeit beste Lösung auf dem Markt darstellt. Ich habe auch die Alternative von Sony mehrmals ausprobiert sowie die "Immersive Sound"-Version von Bose. Letzteres ist bei den Bose QC Ultra Earbuds und Bose QC Ultra Headphones (Test) viel weniger ausgeprägt.
Und nachdem ich meine Tests abgeschlossen hatte, habe ich sie nie wieder angefasst.
Ich habe auch meine Kollegen um mich herum gefragt. Zwei von ihnen, die Apples "Spatial Audio" verwenden, erklärten mir, dass sie die Funktion auf Dauer ein wenig überfordert. Ihrer Meinung nach wurde der Ton nicht gleichmäßig zwischen den einzelnen Ohrhörern verteilt, je nachdem, wie die Box positioniert war.
Für mich ist vor allem der Rückgang der Detailtreue und der Genauigkeit des Klangs ein Problem. Der Qualitätsunterschied zwischen dem normalen Stereo-Sound und dem 360°-Sound war immer noch ziemlich bemerkenswert.
Wie zuvor erwähnt: 360°-Audio ist in meinen Augen ein Gimmick. Aber auch nicht völlig. Wenn Ihr Euch Songs anhört, die speziell für diesen Zweck abgemischt/gemastert wurden, funktioniert es sehr gut. Aber ich kann mir nicht vorstellen, diese Funktion dauerhaft und regelmäßig in meine Nutzung zu integrieren. Es macht gelegentlich Spaß, aber mehr auch nicht.
Aber ist das bei der Mehrheit der Nutzer:innen der Fall? Ich wäre sehr daran interessiert, die Meinung derjenigen von Euch zu hören, die diese Funktion regelmäßig nutzen. Aber die Erwartungen der Nutzer:innen im Audiobereich sind genau das Problem dieser Strategie von Sennheiser.
Die Risiken der Sennheiser-Strategie
Bei meinen Kaufkriterien für Kopfhörer oder Headsets steht die Audioqualität natürlich an erster Stelle. Ich sage "natürlich", aber das ist nicht bei jedem der Fall. Wenn überhaupt, dann nur mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen.
Und hier liegt meiner Meinung nach das Risiko der Strategie von Sennheiser. Wer hat schon FLAC-Dateien oder Songs in CD-Qualität auf dem Smartphone? Wer nutzt einen audiophilen Player zwischen 300 und 800 Euro, um Musik zu hören? Und wer hat ein Smartphone, das mit Snapdragon-Sound kompatibel ist?
Die letzte Frage sollte kein Problem sein. Viele Android-Flaggschiffe von 2023 sind kompatibel und die Top-Smartphones von 2024 sollten Snapdragon Sound mit ihrem Snapdragon 8 Gen 3 SoC unterstützen. Zudem kann ich mir nicht vorstellen, dass iPhone-Benutzer:innen etwas anderes als die AirPods (Vergleich) verwenden werden.
Abgesehen von all diesen Überlegungen setzt sich Sennheiser jedoch zwei großen Risiken aus.
Erstens hören fast alle potenziellen Käufer und Käuferinnen komprimierte Streaming-Musik. Der audiophile Markt ist eine elitäre Nische, die auf kabellose Kopfhörer und Headsets herabschaut. Und der Mainstream-Markt, der völlig auf AirPods fixiert ist, hat den Pinsel der Gleichgültigkeit in Bezug auf die Audioqualität auf sein Trommelfell gedrückt.
Zweitens: Nehmen wir an, die Leute sind empfänglich. Nehmen wir an, der Wunsch nach besserer Audioqualität besteht. Wird der Unterschied in der Audioqualität zwischen dem Sennheiser Momentum TW4 und der Konkurrenz groß genug sein, um einen Unterschied zu machen? Das ist nicht sicher.
Kommen wir zurück zum 360°-Audio. Es ist ein Gimmick, aber es ist eine bemerkenswerte Funktion. Es ist magisch, Ihr aktiviert die Funktion und der Sound umgibt Euch. Wow, man hört den Unterschied sofort und buchstäblich.
Würdet Ihr den Unterschied zwischen einem Sound mit einer Bitrate von 1000 Kbit/s (was der aptX Lossless-Codec des Momentum TW4 verspricht) und einem Sound mit einer Bitrate von 320 Kbit/s (das Maximum, das Spotify Premium bietet) sofort hören können? Ich nicht.
Und selbst wenn, wäre die Verbesserung so groß, dass Ihr auf eine große Funktion verzichten würdet? Meiner Meinung nach ja. Aber ist meine Meinung wirklich repräsentativ? Ich bezweifle das.
Ist Qualcomm Lossless-Audio wirklich verlustfrei?
Ich hätte diesen Artikel bereits beenden können. Aber ich möchte noch kurz darauf eingehen, wie der Qualcomm aptX Lossless-Codec funktioniert, der von den Sennheiser Momentum TW 4 unterstützt wird.
Wir reden hier über das Hören von Musik in verlustfreier CD-Qualität. CD-Qualität bedeutet, dass eine Datei in CD-Qualität eine Bitrate von 1411 kpb/s hat.
Wenn Ihr Eure Musik über Bluetooth streamt, wird sie komprimiert, was zu einem Verlust von Informationen führt. Selbst wenn Eure Kopfhörer mit ihrem Codec CD-Qualität unterstützen, komprimieren sie diese bei der drahtlosen Übertragung. Der Zweck der Implementierung eines mehr oder weniger effizienten Codecs ist es, diesen Verlust zu begrenzen.
Nehmen wir die beiden derzeit am weitesten verbreiteten Codecs, die als "effizient" gelten: Qualcomms aptX HD und Sonys LDAC. Der aptX HD-Codec erreicht nur 576 Kbit/s, während LDAC 990 Kbit/s erreicht. Das ist nicht genug, um eine unkomprimierte Übertragung in CD-Qualität zu gewährleisten.
Bei aptX Lossless verspricht Qualcomm eine Datenrate zwischen 1100 und 1200 Kbit/s. Das bedeutet also immer noch eine Komprimierung, aber Qualcomm versichert, dass sein Verfahren eine mathematisch perfekte "Bit-for-Bit"-Konvertierung ermöglicht. Theoretisch wird es also keinen Musikverlust geben, wenn die Umgebung nicht zu stark mit Hochfrequenzen belastet ist.
Aber das gilt nur für den bestmöglichen Fall. Der Codec wird sich und damit auch die Komprimierung immer an Eure Umgebung und die Interferenzen anpassen, um eine stabile Übertragung zu gewährleisten. Die Sennheiser Momentum TW 4 kommen also sehr nahe an die verlustfreie CD-Qualität heran, aber es wird trotzdem Verluste geben.
Und dieser Punkt deckt sich mit dem, den ich im vorherigen Abschnitt dieses entschieden zu langen Artikels erläutert habe. Solche Details interessieren nur die Datenblattbesessenen. Diese Unterschiede bei der Bitrate und der Komprimierung sind für die breite Öffentlichkeit nicht relevant.
Gleichzeitig muss man diese Argumentation aber auch mit dem Preis der Kopfhörer konfrontieren. Die Sennheiser Momentum TW 4 werden im Februar 2024 auf den Markt kommen und 300 Euro kosten. Wenn ich 300 Euro für ein Paar Kopfhörer ausgebe, möchte ich dann einen 360°-Sound, den ich nur gelegentlich zum Spaß benutze, oder möchte ich einen Sound, der technisch besser ist als die Konkurrenz?
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