Tech-YouTuber in Kuba: 5 Kilometer zum nächsten WiFi-HotSpot

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In der ersten Episode unserer Artikelserie "Tech außerhalb der Bubble" bereise ich mit Euch virtuell eine ganz besondere Welt der Technik: Ich stelle Euch den kubanischen YouTuber, Teilzeit-DJ und aufstrebenden Leaker Julio Lusson vor. Richtig, aus Kuba – einem Land, das vor eineinhalb Jahren den 3G-Standard eingeführt hat.

Wenn wir an die Tech-Hochburgen der Welt denken, stellen wir uns das Silicon Valley vor mit seinen Start-ups und der GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon). Wir denken an Südkorea oder Japan, die Wiege von Samsung und der Gaming-Industrie, wo die Integration von Technologie in den Alltag unserem Europa Lichtjahre voraus ist. Oder China und seine Technopole in Shenzhen, ein wahres Nervenzentrum der weltweiten Technologieindustrie.

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Der karibische Inselstaat Kuba hingegen gehört zu den letzten kommunistischen Enklaven der Welt; niemand würde hier eine aufstrebende Community von Technophilen vermuten. Zumindest ging es mir als Deutsch-Franzose und geozentrischem Europäer so – bis ich zufällig Julio Lusson begegnete.

Julio Lusson ist Kubaner und lebt in der Region Havanna, in der Stadt Justiz in der Nähe von Guanabo. Sein Youtube-Kanal TecnoLike Plus widmet sich dem Thema Technik und hat mehr als 10.000 Abonnenten. Der spanischsprachige Inhalt sieht ganz klassisch aus: Tests, Vergleiche, Smartphone-Kauftipps, Gadgets.

Julio Lussons Blick aus seinem Zimmer/Atelier in Justiz, in der Nähe von Havanna / © Julio Lusson

In den vergangenen Wochen hat es Julio zu internationaler Bekanntheit gebracht – durch seine zahlreichen Leaks rund um das Google Pixel 4a, die er vor allen anderen in die Hände bekommen hatte. Neben zahlreichen Details hat er sogar schon einen vollständigen Test veröffentlicht. Seine Leaks wurden von vielen Fachmagazinen aufgegriffen, und Julio ist zu einer der wichtigsten Informationsquellen rund um das lang erwartete Smartphone geworden.

Meine erste Begegnung mit Julio war beim Lesen eines Artikels zum Pixel 4a. Ein Leak von einem kubanischen YouTuber im Netz – das machte mich sofort neugierig. Ausgerechnet aus Kuba, mit dem stark begrenzten Internetzugang. Einige Twitter-Nachrichten und viel Google Translate war der Entschluss gefasst: Ich möchte ein Porträt zeichnen. Ein Porträt, das zeigt, dass wir nicht alle dasselbe Trikot tragen, nicht über die dieselben Mittel verfügen, aber dieselbe Leidenschaft teilen.

Talking Tech in Kuba, trotz des Embargos

Es wird viel über das Anti-Huawei-Embargo in Europa und seine potenziell schädlichen Folgen für den Technologiemarkt gesprochen. Aber in Kuba besteht das US-Embargo – "el bloqueo" – seit 1962, obwohl es seit Anfang der 2000er Jahre angesichts der Kritik der internationalen Gemeinschaft gelockert wurde.

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In Kuba sind "iPhones sehr beliebt, aber wegen der Blockade gibt es keinen Apple Store. Um Apple-Dienste wie den App Store zu nutzen, muss man über ein VPN gehen", sagt Julio Lusson. "Aber es gibt einen Samsung-Laden in Havanna, der liebevoll 'das Samsung-Museum' genannt wird, weil er die meiste Zeit verlassen ist und Smartphones zu teuer sind", lacht Lusson.

Der Zugang zu Technologie ist in Kuba als Verbraucher nicht einfach. Eine der einzigen offiziellen (und technisch instabilen) E-Commerce-Plattformen ist TuEnvio, aber diese ist dem Verkauf von Lebensmittelprodukten gewidmet.

Für technische Produkte gibt es inoffizielle Websites, die von Privatpersonen betrieben werden. Sie müssen allerdings unter dem Radar fliegen, wenn sie zum Beispiel Smartphones verkaufen.

Ein Beispiel für eine Website für den Wiederverkauf von Smartphones, die Preise in Dollar entsprechen den CUC-Preisen (der CUC ist eine von zwei Währungen in Kuba). / © Porlalivre

"Es gibt Flaggschiffe von großen Marken wie Apple, Samsung, Huawei und OnePlus. Der Preis von Smartphones ist erheblich höher, weil es keine speziellen Geschäfte gibt, die Logistik für den Versand aufwändig ist und der Verkauf mit hohen Steuern belegt ist", erklärt Julio.

Der YouTuber rechnet mir an einem Beispiel vor, dass ein iPhone, das zu Beginn 1.000 Dollar kostet, bis zu 1.400 CUC oder 1.400 Dollar kosten kann. Aber in Kuba gebe es einen großen Markt für Technophile, versichert Julio, der nicht für jeden zugänglich sei. Der Fehler liegt zum großen Teil an einem eingeschränkten Internet.

Hochladen mit einem langsamen und teuren Internet

"Der Internetzugang in Kuba ist kompliziert, aber nicht unmöglich", sagt Julio und erinnert sich an seine Anfänge in einem geheimen Netzwerk namens SNET, durch das eine Gemeinschaft kubanischer Internetnutzer die Internetbeschränkungen umgehen konnte:

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"Als ich mit Youtube begann, musste ich fünf Kilometer mit dem Bus zu einem WLAN-Hotspot fahren, um meine Videos von meinem Smartphone hochzuladen, wobei ich manchmal stundenlang im Regen stand."

Die Umgebung des WLAN-Hotspots Parco Pubblico in Havanna / © Google Street View

Ich denke jetzt jedenfalls zweimal nach, bevor ich über kleine Verschlucken meiner Glasfaserverbindung meckere. Julio hat es inzwischen sogar geschafft, zu Hause einen WLAN-Zugang zu bekommen. "Die Verbindung ist mit höchstens 2 Mbps schlecht. Aber sie erlaubt es mir, mindestens ein Video pro Woche hochzuladen".

Dann kommt die Frage des Preises. In Kuba ist der wichtigste nationale Zugangsanbieter ETECSA. "Man muss stundenweise bezahlen. Eine Stunde Internet kostet 0,70 CUC oder 0,70 US-Dollar (0,64 Euro). Wenn man das durchschnittliche Gehalt in Kuba von 15 CUC pro Monat berücksichtigt, ist die Rechnung steil", sagt Julio, zumal es Stunden dauern kann, ein Video in 1080p hochzuladen.

"Wir haben auch die Möglichkeit, mobile Daten zu nutzen. Aber ich mache es nie, weil es viel zu teuer ist. Ein 2 GB großes Datenpaket kostet 10 CUC", fügt Julio hinzu. Das sind zwei Drittel des durchschnittlichen Monatsgehalts. Aller Widrigkeiten zum Trotz versucht der YouTuber, eine wöchentliche Frequenz beizubehalten.

Denn Julio hat Tecnolike Plus tatsächlich zu Geld gemacht. Sein vor zwei Jahren ins Leben gerufener Kanal bringt ihm Geld, "genug zum Leben, um meine Internetrechnungen zu bezahlen und meine Videos fortzusetzen". Zusätzlich zu den Videos und seinem Industriemechaniker-Studium arbeitet Julio am Wochenende als DJ auf privaten Partys und unter der Woche als Smartphone-Händler. "Ich würde wirklich gerne eines Tages meinen eigenen Smartphone-Shop eröffnen".

Die Leaks um das Googles Pixel 4a

Wie gesagt: Ich erfuhr von Julio Lusson und seinen Kanal durch einen Artikel über seine Pixel-4a-Leaks. Wie Julio genau Zugang zu dem Smartphone bekommen hat, verrät er nicht. "Dies ist das erste Mal, dass ich vor allen anderen Zugang zu einem fortschrittlichen technischen Produkt habe".

Es war ein Mitglied seines Teams, das den Mittelsmann gespielt hätte. "Dieses Mitglied kannte jemanden, der das Smartphone hatte. Wir haben uns gemeldet, und der Rest ist ein Geheimnis", so Julio.

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Bedenkt man, wie schwierig es in Kuba ist, an bereits veröffentlichte Smartphones zu kommen, ist das ganz schön verrückt. Julio ist der weltweit erste YouTuber, der über das Smartphone berichtet – am 19. Mai 2020 sogar per Live-Video mit dem Pixel 4a in seinen Händen.

Entsprechend groß fiel auch das Echo aus. Laut SocialBlade, einem Online-Tool zur Verfolgung von Video-Statistiken (insbesondere auf Youtube), hat sein Kanal in den letzten 30 Tagen einen Anstieg der Zugriffe um 129% verzeichnet.

Julio Lussons Youtube-Kanal ist im vergangenen Monat kräftig gewachsen / © SocialBlade/TecnoLike More

Klar, in Sachen Produktion und Inszenierung sind wir nicht auf Marques-Brownlee-Niveau. Aber Julios Videos sind sauber, der Schnitt ist ordentlich, und selbst das Heimstudio sieht ziemlich "pro" aus, wie Ihr im nachfolgenden Video (auf Spanisch) sehen könnt.

Julio arbeitet nicht allein. Er hat sich mit einem Team von Enthusiasten umgeben und betreibt TecnoLike Plus auch als Blog. "Einige Mitglieder kommen aus ganz Kuba, andere aus Spanien, und wir alle arbeiten mehr oder weniger zusammen, wenn auch entfernt."

Das ist Julio Lussons Setup zur Produktion seiner Videos auf dem Youtube-Kanal TecnoLike Plus / © Julio Lusson

Das Haupthindernis für Julio bleibt die gegen Kuba verhängte Blockade. "Die Wirkung ist groß. Ausländische Firmen haben mich kontaktiert, um mir Produkte zum Testen zu schicken. Aber jedes Mal muss ich ihnen eine Adresse geben, die nicht in Kuba liegt, sonst werden sie mir nichts schicken können".

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Der YouTuber sagt, er mache sich keine Sorgen über Fragen der Pressefreiheit, da es in seinem Sender um Technik und nicht um Politik gehe, was ihn in Schwierigkeiten bringen könnte. Einer seiner Träume wäre es, aus Kuba herauszukommen und an einer großen Tech-Veranstaltung in einem anderen Land teilnehmen zu können.

Doch Julio scheint mit über 10.000 Abonnenten sein Publikum gefunden zu haben. "Kuba ist meine Hauptpublikumsquelle. Die Technik ist hier zu etwas sehr Wichtigem geworden. Heutzutage sind es nicht nur junge Leute, die dem Thema folgen. Ich habe viele ältere Menschen unter meiner Anhängerschaft."

In Kuba konsumiert man also Technologie genau wie überall sonst – Gewiss mit Besonderheiten. ToDus ist zum Beispiel das nationale WhatsApp, aber die Menschen nutzen auch Facebook Messenger, Instagram, Telegram und Twitter. Und Xiaomi hat den kubanischen Markt sogar ausgetrickst. "Der Hersteller hat mit seinem Preis-Leistungsverhältnis viel Berühmtheit erlangt", sagt Julio.

Die Tech-Revolution scheint in Kuba auf dem Vormarsch zu sein. Selbst ein Embargo und die Überbleibsel des Kalten Krieges halten die Pioniere nicht davon ab, ein neues Netzwerk zu knüpfen – über die Landesgrenzen hinweg..

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