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Karuni & Mokli: Digitale Brücken für Obdachlose

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© nextpit

Wie nehmen eigentlich Obdachlose unsere digitalisierte Welt wahr bzw. wie nehmen sie daran teil? Lasst uns heute einmal darüber sprechen, welche Möglichkeiten es gibt, diesen Menschen mehr Teilhabe zu ermöglichen. Konkret möchte ich Euch von der digitalen Währung Karuni erzählen, und wie sie Betroffenen zusammen mit der Mokli-App dabei hilft, auch auf der Straße ein besseres Leben zu führen. 

Letzte Woche hat hier in meiner Heimatstadt Dortmund der Weihnachtsmarkt eröffnet. Menschen drängeln sich in der City, stöbern nach Geschenken und feiern gesellig an Glühweinständen. Vielen Menschen mitten unter ihnen ist vermutlich nicht besonders weihnachtlich zumute. Ich spreche von Menschen, die keine eigene Wohnung besitzen bzw. komplett auf der Straße leben.

Die BAG Wohnungslosenhilfe schätzt, dass in Deutschland Ende 2023 mehr als 600.000 Wohnungslose existierten, von denen über 50.000 ausschließlich draußen auf der Straße lebten. Es steht zu befürchten, dass diese Zahl seitdem sogar noch angestiegen sein dürfte. Auch persönlich fallen mir immer mehr Menschen auf, die auf der Straße schlafen und die um Kleingeld betteln.

Gerade zur kalten Jahreszeit und mit Blick auf Weihnachten ist ihr Schicksal mir immer wieder ein Stich ins Herz, und so oft ich kann, versuche ich, ihnen mit Kleingeld zu helfen. Oftmals habe ich aber überhaupt keins bei mir, weil ich so oft wie möglich per Karte oder Smartphone zahle. In diesem Beitrag geht es darum, wie digital Obdachlose überhaupt heutzutage sind, und wie wir sie an unserem großteils digitalen Leben partizipieren lassen können.

Wie digital sind Obdachlose?

Ihr könnt Euch sicher denken, dass es beim Thema Obdachlosigkeit nie wirklich Zahlen gibt, die hundertprozentig valide sind. Aber einer Studie von 2022 zufolge besitzen allein von den Berliner Obdachlosen drei von fünf ein eigenes Smartphone. Ich muss zugeben, dass ich da nie so wirklich drüber nachgedacht habe, aber es ist ja logisch eigentlich.

Immerhin leben wir in Zeiten, in denen wir vieles digital regeln – vom Einreichen irgendwelcher Anträge übers Verwalten von Fahrkarten bis eben zum Bezahlen. Übrigens gibt es große eine große Fluktuation sowohl bei den Geräten als auch den Handynummern. Das bedeutet, dass auch Obdachlose meist online sind, aber in vielen Fällen oft neue Nummern besitzen und ihre alten Kontakte, Fotos, Videos usw. auf der Strecke bleiben.

Das Handy wird auch unter den Menschen auf der Straße genutzt, um den Tag zu organisieren oder um mit Menschen in Kontakt zu bleiben. Aber vor allem, um sich die Zeit zu vertreiben. Es wird auch gespielt, aber noch mehr Video-Content konsumiert. 

Karuni und Mokli: Deutsche Beispiele für digitale Teilhabe

Wenn wir wissen, dass ein großer Teil der Obdachlosen über ein Handy verfügt, liegt es auf der Hand, ihnen auch auf diesem Weg das Leben leichter zu machen. Unsere Freunde vom Podcast überMORGEN sprachen jüngst über ein deutsches Projekt (die Folge geht bald online), bei dem es um digitale Teilhabe geht. Im Fokus stehen da Obdachlose und darunter vor allem die jüngeren.

Die KARUNA eG in Berlin ist eine solidarische Sozialgenossenschaft, versteht sich zunehmen mehr aber als Projektlabor. In dieser Eigenschaft entwickelte man mit technischer Hilfe des Unternehmens Ubilabs zunächst eine "Hilfefinder"-App namens Mokli – und koppelte sie später dann ans Konzept einer digitalen Währung für Obdachlose mit Namen Karuni. Mit dieser Kryptowährung ermöglicht man es, Gelder sowohl transparent als auch zielgerichtet zu verwenden, ohne zwingend auf Bargeld angewiesen zu sein. 

In Berlin läuft dieses Projekt des Start-ups, das aus ehemaligen Straßenkindern besteht, bereits in der Pilotphase, und soll obdachlosen Menschen mehr Eigenständigkeit und eine einfachere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen​. Die Ideen sind richtig gut, fand seinerzeit auch Google und belohnte das Team gleich zweimal mit dem Gewinn der Google Impact Challenge.

Bett, Essen, Geld

Was ist da nun auf den Weg gebracht worden? Dank der Mokli-App werden Kindern und Jugendlichen, die auf der Straße leben, zwei ganz wichtige Fragen beantwortet: "Wo finde ich heute ein Bett und wo bekomme ich was zu essen?" Die Integration einer Wallet-Funktion in die App bzw. das Etablieren einer digitalen Währung bewirkt, dass es in Berlin im Rahmen des Pilotprojekts Vertragsapotheken und auch Cafés gibt, in denen auch Obdachlose bargeldlos an Medikamente oder eine Tasse Kaffee kommen.

Außerdem gibt es in der App eine SOS-Taste, wenn ein Betroffener unmittelbar Hilfe braucht – auch in Form eines Gesprächs. Und klar, auch verfügbare Ärzte werden in der App angezeigt. Übrigens ist die App derzeit viersprachig und kann auf Deutsch, Englisch, Polnisch und Arabisch genutzt werden.

Das sind aber erst einmal nur Basics, meiner Meinung nach. Gerade, wenn ich irgendwo eine Tasse Kaffee kaufen und trinken kann, ermöglicht mir das nämlich auch eine ganz andere Teilhabe. Ich sitze einfach mit Menschen in einem Laden, die mein Schicksal nicht teilen. Leute werden weniger ausgeschlossen und gerade das ist doch eines der riesigen Probleme, mit denen Obdachlose sonst leben müssen: die soziale Isolation. 

Über die betterplace.org-Plattform könnt Ihr Geld spenden, dass dann Obdachlosen im Rahmen des Projekts zugutekommt. Aber der nächste Schritt muss sein, dass jeder diese App nutzen kann – und ich dann beim nächsten Aufeinandertreffen über die App bargeldlos ein paar Euro in die Wallet eines Obdachlosen wandern lassen kann. 

Welche Chancen und Lösungen gibt es darüber hinaus?

Der kleine Haken an der Nummer bis hierhin: Es gibt jetzt nicht so etwas wie ein global funktionierendes "PayPal" oder so für Obdachlose. Das oben vorgestellte Projekt bringt also niemandem was, der gerade aus den USA, Frankreich, Brasilien oder sonst wo diesen Artikel liest, oder selbst Hilfe benötigt. Aber das ändert nichts daran, dass die Idee eine fantastische und eine erhöhte Inklusion aller denkbaren Menschen eine erstrebenswerte ist. 

Ich glaube, ich werde mich noch weiter mit dem Thema beschäftigen, will hier aber noch kurz ein wenig weiter überlegen, was ich mir wünschen würde. Da würde ich mich übrigens auch über Eure Mithilfe freuen, denn vielleicht kennt Ihr ja derlei Projekte bereits und könnt sie mir in den Kommentaren nennen. 

Bei der Recherche bin ich u.a. über StreetLife gestolpert – eine niederländische App, die ähnlich wie Mokli Hilfe für Obdachlose bietet, allerdings beschränkt auf Amsterdam. Egal, ob Ihr Kleidung benötigt, einen Arzt, psychologische Hilfe oder nur Gesellschaft – diese App hilft weiter. StreetLink hingegen bietet die Vermittlung von Schlafplätzen. Das Coole dabei: Es kann sich nicht nur derjenige melden, der dringend einen Schlafplatz benötigt, sondern auch derjenige, der einen Obdachlosen vorfindet, der dringend ein Bett verdient hätte.

Wie gesagt: Lasst es mich wissen, ob Ihr weitere Beispiele kennt. Derweil denke ich aber noch an so viele andere Dinge, bei denen wir au digitalen Wegen helfen könnten, dass Obdachlose Teilhabe erfahren. Das geht schon los bei der Technik an sich: Wo gibt es beispielsweise kostenloses WLAN? Gerade Deutschland ist da wirklich mies aufgestellt, aber hier sind dann auch Behörden und Telekommunikationsanbieter gefragt. Und woher bekommt ein Obdachloser überhaupt ein Handy?  Vielleicht sollten es ja sogar Tech-Redaktionen wie nextpit sein, die alte Geräte ausmisten, indem sie sie Obdachlosen zugänglich machen.

Es gibt aber auch so vieles mehr, was ich mir vorstelle, was in einem digitalisierten Land mit Wohlstand und hoffentlich auch viel Empathie – so, wie ich Deutschland sehe – umsetzbar sein sollte: Job-Börsen, die einfache Zugänge zur Arbeit ermöglichen, unkomplizierte Dokumentenspeicher auf Smartphones oder in sicheren Clouds, oder auch digitale Angebote zur Weiterbildung. Aber auch im Bereich der Telemedizin sehe ich Bedarf, aber das ganz unabhängig davon, ob die Person obdachlos ist. 

Okay, okay, ich merke schon – nachdem ich Euch eigentlich nur für dieses Thema sensibilisieren wollte, verliere ich mich jetzt in Ideen und in unstrukturiertes Brainstorming. Das liegt vermutlich daran, dass wir hier allesamt Nerds sind, die sich wirklich so viel Machbares ausmalen können, wenn wir doch bloß endlich das Potenzial der Digitalisierung heben. 

Ich würde mich also freuen, wenn Ihr ein wenig mit einsteigt ins Brainstorming. Sagt mir also gern, was Euch für Ideen durch den Kopf schießen, welche Angebote Ihr bereits kennt – oder aber auch, in welche Richtungen über Obdachlosigkeit hinaus man bei der digitalen Teilhabe noch denken könnte.

Ach, und ein letztes noch: Völlig unabhängig von technischen Möglichkeiten haben es diese Menschen verdient, dass wir sie sehen und respektieren. Wenn Ihr also durch die Stadt flitzt, gebt ihnen ein wenig Kleingeld, oder kauft ihnen eine Kleinigkeit zu essen. Und gönnt ihnen eine Minute und redet mit ihnen. Oft haben sie nicht viele Menschen, die ihnen zuhören und die sie wahrnehmen – da sind fünf Minuten Smalltalk vielleicht sogar manchmal kostbarer als ein gespendeter Euro.

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Carsten Drees

Carsten Drees
Senior Editor

Fing 2008 an zu bloggen und ist irgendwie im Tech-Zirkus hängengeblieben. Schrieb schon für Mobilegeeks, Stadt Bremerhaven, Basic Thinking und Dr. Windows. Liebt Depeche Mode und leidet mit Schalke 04.

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