DeepSeek beweist: Das KI-Rennen ist für Europa noch komplett offen
Das chinesische KI-Modell DeepSeek hat in den letzten Tagen vielen die Augen geöffnet. Mir auch – zum Beispiel, was die Chancen der EU im weltweiten KI-Rennen angeht. Wieso ich glaube, dass Europa noch ein gewichtiges Wörtchen mitsprechen wird, was künstliche Intelligenz angeht? Das verrate ich Euch in meinem Kommentar.
Das Bild eines Bombeneinschlags ist ein sehr martialisches, aber gestattet mir, dass ich es hier dennoch verwende. Denn nicht nur Unternehmen wie OpenAI oder NVIDIA muss die Ankunft von DeepSeek R1 wie ein solcher Bombeneinschlag vorgekommen sein:
- Es gibt einen mächtigen Knall, der aus dem Nichts zu kommen scheint und bei dem man gar nicht weiß, wie einem geschieht.
- Es gibt schwerste Schäden (fragt mal nach bei NVIDIA mit 600 Milliarden US-Dollar geschrumpftem Börsenwert)
- Es braucht etwas Zeit, bis sich der ganze Staub gelegt hat und man die Details erkennen kann
Genau da stehen wir jetzt: Wir erkennen so langsam die Feinheiten und die offenbaren zumindest mal, dass wir da plötzlich eine Größe am Markt begrüßen, die niemand so wirklich kommen sah, die nun aber auch nicht mehr so ohne Weiteres verschwinden wird.
Das Rennen fängt gerade erst an
Es zeigt sich aber zudem, dass wir auf einem Irrweg unterwegs waren, wenn wir glaubten, die großen US-Klitschen im Silicon Valley knobeln unter sich aus, wer hier auf dem KI-Thron sitzt. Plötzlich sitzt China ganz prominent mit am Tisch. Genau – eben jenes China, das dort eigentlich gar nicht sitzen könnte, da die so bitter und zahlreich benötigte moderne Hardware dort gar nicht zum Einsatz kommen dürfte. Ob das Modell nun mit älterer Hardware trainiert wurde, oder modernste Komponenten unter dem US-Radar China erreichten, muss derzeit noch geprüft werden.
Fakt ist: Wieder einmal erkennen wir, wie schnell sich die Dinge ändern im KI-Kosmos. Die effizienteren Trainingsmethoden von DeepSeek werden natürlich die Runde machen. DeepSeek, aber auch einige weitere Lösungen jenseits des immer weniger offenen GPT sind Open Source – es profitieren also alle davon, wenn hier die Entwicklung voranschreitet.
Jemand, der heute Know-how, Hardware und Geld zusammenträgt, muss nicht an dem Punkt ansetzen, an dem OpenAI vor einigen Jahren loslegte, sondern springt mitten rein. Und das lässt mich glauben: Wenn das hier sowas wie ein 100-Meter-Rennen ist, dann sind die ersten gerade erst raus aus dem Startblock und der Startschuss hallt noch nach in unseren Ohren. Es sind noch 98 Meter zu rennen und wir dürfen uns ganz sicher sein: Wir haben längst noch nicht alle Protagonisten gesehen!
Die EU wird eine wichtige Rolle in diesem KI-Rennen spielen
Folgerichtig glaube ich auch, dass das europäische "Uns haben alle abgehängt"-Liedchen unangebracht ist. DeepSeek zeigt uns, dass sich auch ein Außenseiter behände an die Spitze des Feldes schieben kann. Das passiert natürlich nicht, wenn die Strukturen das gar nicht hergeben würden. Aber hey, wir machen uns da oft unnötig klein, finde ich. Wir haben hier in Deutschland mit DeepL SE selbst ein KI-Unicorn, das bereits weltweit erfolgreich ist. DeepL ist ein Tool, das von über 100.000 Unternehmen – inklusive uns – für Übersetzungen genutzt wird und da Konkurrenten wie Google echt alt aussehen lässt.
Mit Aleph Alpha kennen wir einen weiteren deutschen Kandidaten, der aktuell stark auf den Einsatz in Behörden abzielt und sich jüngst mit AMD zusammengetan hat. Oder nehmt Mistral AI: Das französische Unternehmen wurde erst Mitte 2023 gegründet und ist jetzt bereits an der europäischen Spitze für LLMs, und wählt dabei ebenfalls einen Open-Source-Ansatz. Es gibt sie also, die europäischen Hoffnungsträger, zu denen sich auch RocketPhone gerne gesellen möchte.
Dieses UK-basierte Unternehmen hat im letzten Monat erst 10,5 Millionen US-Dollar durch Crowdfunding eingesammelt und CEO Muj Choudhury fühlt sich ebenfalls motiviert durch den Erfolg von DeepSeek. So sagt er aktuell im Interview:
Der Aufstieg von DeepSeek zeigt, dass es für europäische Start-ups, die sich in der Vergangenheit durch den Aufbau fokussierter, effizienter Lösungen ausgezeichnet haben, anstatt um jeden Preis nach Skalierung zu streben, Raum für strategische Akteure gibt, die ohne großen Kapitalaufwand gute Leistungen erbringen können.
Vielleicht erlaubt uns dieser Wandel endlich, uns auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist: die Entwicklung praktischer KI-Systeme, die echte Unternehmensprobleme lösen und einen greifbaren Geschäftswert liefern, anstatt der nächsten viralen Verbraucher-App hinterherzujagen.
Also ja, wir haben vielleicht den Startschuss in Europa zunächst ein wenig verschlafen, und vielleicht sind wir auch nicht direkt in die komplett richtige Richtung gelaufen. Aber wir sind ganz sicher nicht aus dem Rennen und das hat meiner Meinung nach nicht allein damit zu tun, dass DeepSeek plötzlich wie Kai aus der Kiste gesprungen kam.
Weitere Gründe, die uns in Europa Hoffnung geben
Kompetenz und Talente
Zweifellos haben wir hier unzählige Talente und die Institutionen, viele Talente mehr auszubilden. Egal, ob die ETH Zürich, die TUM, die Universitäten in Cambridge und Oxford oder das Max-Planck-Institut und die Fraunhofer-Gesellschaft: Überall wird intensiv an künstlicher Intelligenz geforscht. Wir blicken in Europa nicht nur auf einen Rekord bahnbrechender Errungenschaften und Entwicklungen zurück, sondern haben das Fundament, das auch weiterhin so fortzusetzen.
Industrieller Fokus
In Europa und selbst in Deutschland haben wir in der Industrie noch so viele Weltmarktführer. Die sind uns meist nicht so präsent und finden nicht in den Nachrichten statt, bilden aber das Gerüst für die Marktmacht Europas. Auch bei der KI ist dies ein gangbarer Weg. KI ist viel mehr als "nur" das Entwickeln von fancy LLMs und shiny Bild-Generatoren. Hier, tief in der Industrie, gibt es noch unglaubliches Innovationspotenzial, das gehoben werden kann.
Trustworthy AI
In Europa sind wir oft dankbar für Lösungen, die uns ein hohes Datenschutz-Niveau garantieren und für Server, die in Europa statt in den USA oder in China stehen. Die oben genannten Beispiele wie Mistral oder Aleph Alpha spielen diese Karte bereits, die sich als Wettbewerbsvorteil entpuppen könnte.
Feature, nicht Bug: Regulierung
Die Regulierung innerhalb der EU wird oftmals eher als Hindernis wahrgenommen, wenn es um Innovation geht. Ja, wir preschen hier nicht so flott vor wie andere. Ab sofort gilt hierzulande der EU AI Act, der für entschieden mehr Sicherheit im Umgang mit künstlicher Intelligenz sorgen soll. So dürfen Eure Emotionen am Arbeitsplatz nicht getrackt werden, auch Social-Scoring-Systeme wie aus China bekannt sind verboten. Das lässt manches Unternehmen hadern. Aber in Zeiten, in denen in den USA alle Regularien über Bord geworfen werden, kann so ein sicherer KI-Hafen wie die EU durchaus ein spannendes Ziel sein.
Fazit
Ehrlich gesagt wollte ich Apple noch als Beispiel dafür bringen, dass Europa längst noch im Rennen ist. Schließlich hat es Apple immer wieder vorgemacht, dass man das Feld zunächst anderen überlässt – nur um deutlich später dann den kompletten Markt mit dem eigenen Produkt umzukrempeln und neu zu definieren. Aber nachdem Apple Intelligence jetzt eher einen holprigen Start hingelegt hat, verkneife ich mir das mal als gutes Beispiel.
Dennoch aber glaube ich, dass ich genügend Gründe aufzeigen konnte, die verdeutlichen: Hier ist mal noch gar nichts entschieden und Europa ist definitiv noch nicht abgehängt. Das bedeutet nicht, dass es nicht trotzdem schwer wird, und dass wir jetzt zudem zwingend schnelle und kluge Entscheidungen brauchen. Aber in düsteren Zeiten wie diesen sollten wir manchmal kurz innehalten, einen Schritt zurücktreten und dann nochmal aufs große Ganze schauen – manchmal offenbart sich einem da die ein oder andere Chance, die man im politischen Irrsinn, dem unbändigen Social-Media-Lärm und der eigenen Verzweiflung glatt übersehen hätte.
Das behaupte ich einfach mal frech, weil es mir selbst manchmal so geht. Also bin ich genau diesen Schritt zurückgetreten und muss zugeben: Dieses Europa, auf das ich von hier aus blicke, mag ein chaotisches und gebeuteltes sein. Aber allein der EU-Raum mit über 400 Millionen Menschen und diesem irren Berg an Talent und Kompetenz, mit einem Fokus auf Sicherheit und mit all den Menschen, die anpacken wollen, lässt mich denken, dass Europa in diesem KI-Rennen ganz, ganz sicher noch lange nicht abgehängt ist.