Infrarot-Kamera im Handy: tolle Infrarot-Fotos (mit jedem Smartphone)
Der Fotochrom-Modus im OnePlus 8 Pro wurde zunächst wenig beachtet – und sorgte dann für Wirbel. Man kann damit durch Plastik und sogar durch Kleidung fotografieren! Ihr könnt mit der Infrarot-Kamera im Handy aber auch richtig tolle Fotos schießen. Wir zeigen Euch, wie – und wie Ihr sogar mit jedem anderen Smartphone Infrarot-Fotos schießen könnt.
Die Infrarot-Fotografie war viele Jahrzehnte lang eine spannende Nische. IR-Fotografen nutzten erst spezielle Filme, um ihrem Hobby zu fröhnen – und zerlegen im Digital-Zeitalter mit meist zittrigen Händen ihre DSLRs, um den Infrarot-Filter vom Sensor zu knibbeln. Und nun gibt's erstmals ab Werk eine Infrarot-Kamera auch in Smartphones, nämlich im OnePlus 8 Pro.
Inhalt:
- Infrarot-Kamera: Wie funktioniert das?
- Spannende Fotomotive für Infrarot-Fotos
- Warum kann ich durch Kunststoffe sehen?
- Infrarot-Fotos mit jedem Smartphone schießen
1. Infrarotkamera: Wie funktioniert das?
Los geht's mit ein bisschen Tech-Background: Wie funktioniert denn eigentlich überhaupt die Infrarotkamera im OnePlus 8 Pro? Um die Infrarot-Fotos kümmert sich ein konventioneller 2-Megapixel-Bildsensor billigster Machart. Aber was ist hier anders?
Foveon & Co. außen vor, messen die einzelnen Pixel eines jeden Bildsensors grundsätzlich immer nur die Helligkeit – und liefern also Schwarzweiß-Fotos. Um die Bilder nun bunt zu machen, verpassen die Hersteller den Sensoren eine sogenannte Bayer-Maske, bei der über jedem Pixel ein Farbfilter sitzt und die Bildpunkte abwechselnd in Sensoren für rotes, grünes oder blaues Licht verwandelt. Aus den Farbinformationen der andersfarbigen umliegenden Pixel interpoliert die Bildverarbeitung im Handy anschließend einen RGB-Wert für die einzelnen Bildpunkte.
Bei einem Infrarot-Sensor kann man sich diese Bayer-Maske sparen. Anstelle der Farbfilter-Matrix sitzt über dem Sensor einfach ein Filter für sichtbares Licht, der nur noch das niederfrequentere Infrarotlicht durchlässt. Et voilà: Ihr habt einen Monochrom-Infrarot-Sensor. Denn die Pixel auf Bildsensoren sprechen standardmäßig auch auf Infrarot-Licht an. Wie Ihr dank dieser Tatsache mit beliebigen Smartphones Infrarot-Fotos schießen könnt, lest Ihr weiter unten im Artikel.
2. Spannende Fotomotive für Infrarot-Fotos
Warum riskieren nun tausende Fotografen Garantie und Leben ihrer DSLRs, um sie in eine Infrarot-taugliche Fullspectrum-Kamera zu verwandeln? Ganz einfach: Die Welt sieht mit Infrarot-Augen ganz anders aus. Die Fotos bekommen einen traumartigen Look, der sich auch mit Software-Filtern kaum reproduzieren lässt.
Pflanzen beispielsweise werden extrem hell wiedergegeben und erscheinen auf Infrarot-Fotos im Sonnenlicht fast weiß. Das liegt daran, dass der Pflanzen-Farbstoff Chlorophyll neben grünen Wellenlängen auch Licht im Nahinfrarot-Bereich stark reflektiert. Viel Reflektion heißt: viel hell. Und damit sehen Pflanzen weiß aus.
Der Himmel dagegen sieht auch tagsüber sehr dunkel oder sogar schwarz aus, was einen tollen Kontrast zu jeglicher Vegetation ergibt. Der Grund dafür ist, dass der klare Himmel schlicht kein Infrarot-Licht reflektiert oder ausstrahlt. Anders hingegen Wolken: Sie reflektieren Infrarot-Licht sehr stark und bilden damit einen tollen Kontrast zum schwarzen Himmel. Damit eignen sich insbesondere sonnige Tage mit markanten Quellwolken für die Infrarot-Fotografie.
3. Warum kann ich durch (Kunst-)Stoffe sehen?
Wir haben es selbst ausprobiert: Mit der Fotochrom-Kamera des OnePlus 8 Pro kann man durch allerlei Dinge durchsehen, quasi als "Röntgenbrille für Arme" (auch wenn Röntgenstrahlung natürlich ganz andere Frequenzbereiche betrifft). Woran liegt das?
Ganz einfach: Wenn eine Firma irgendetwas herstellt, das nicht durchsichtig sein soll, orientiert sie sich am sichtbaren Licht. Ob ein bestimmtes Material nun für Infrarotlicht transparent ist oder nicht, ist aufgrund dieser Priorität eine rein zufällige Eigenschaft. Und so kommt es, dass manche (dünne) Stoffe und etliche Kunststoffe Infrarotlicht durchlassen. Und genau durch diese kann man mit dem Fotochrom-Modus des OnePlus 8 Pro hindurchsehen.
Der Wirbel um den "Nacktscanner im Handy" war OnePlus nun inzwischen selbst zu groß. Der Hersteller hat bereits ein Software-Update angekündigt, dass die Infrarot-Kamera zumindest in Innenräumen deaktivieren soll. Der Sinn? Fragwürdig. Bei unserem OnePlus 8 Pro ist das Update bislang nicht angekommen.
4. Infrarot-Fotos mit jedem Smartphone schießen
Wer nun kein OnePlus 8 Pro hat oder seine DSLR am offenen Herzen operieren möchte, kann mit vielen anderen Smartphones oder Kameras Infrarot-Fotos schießen. Denn viele Kameras sprechen nicht nur auf sichtbares, sondern zumindest eingeschränkt auch auf Infrarot-Licht an. Ob das bei Eurem Smartphone der Fall ist, könnt Ihr ganz einfach ausprobieren. Öffnet die Kamera-App, zielt mit einer Infrarot-Fernbedienung auf die Linse und drückt ein paar Tasten. Seht Ihr die Infrarot-LED aufleuchten, spricht der Bildsensor auch auf Infrarot-Licht an.
Jetzt müsst Ihr "nur" noch das sichtbare Licht abblocken. Dafür findet Ihr im Fachhandel oder im Internet unzählige Filter. Wichtig ist hier immer die Angabe der Wellenlänge, ab der das jeweilige Modell das Licht herausfiltert. Ist die Schwelle zu niedrig, bekommt Ihr zu viel sichtbares Licht aufs Foto. Ist die Schwelle zu hoch, bleibt das Bild schwarz. In jedem Fall müsst Ihr Euch mit dem manuellen Modus, längeren Belichtungszeiten, Stativ und der Aufnahme im RAW-Modus anfreunden.
Für weitere Details rund um das Bearbeiten von so entstandenen Infrarot-Fotos empfehle ich Euch diesen genialen Artikel von Vlad Moldovean bei Petapixel. Wie Ihr beim obigen Foto sehen könnt, haben wir uns ebenfalls einen Schwung Infrarot-Filter bestellt – und damit mit der Standard-Kamera vom OnePlus 8 Pro ganz eindrucksvolle Ergebnisse erzielt.
Interessiert Euch das Thema Infrarot-Fotografie mit dem Smartphone?
Fazit
Wir haben in den vergangenen Wochen etliche Know-How-Artikel rund um Smartphone-Fotografie veröffentlicht - und ich hab gerne und viel über unnötige Features und Marketing-Geschwafel gerantet. Was sagt Ihr denn: Fällt der Fotochrom-Modus für Euch in die Kategorie "Gimmick"? Oder könnt Ihr Euch vorstellen, das Feature regelmäßig zu nutzen?
Für mich sind die Infrarot-Fotografie und das OnePlus 8 Pro in jedem Fall ein kleiner "Reminder" an die wunderbare Welt, in der wir leben – und von der wir nur einen winzigen Bruchteil überhaupt in der Lage sind, wahrzunehmen.
Weiterlesen:
- Wie findet man ein Handy mit guter Kamera? Der ultimative Guide!
- Exmor, Isocell & Co: Darum ist der Bildsensor im Smartphone so wichtig!
- ISO-Empfindlichkeit und Dual-ISO im Smartphone: Ist das wichtig?
- Das 100x-Märchen: Brennweiten und optischer Zoom im Smartphone erklärt
- Blende in der Handy-Kamera: Was nutzt F1.7 im Smartphone?
Toller Artikel zur Fotografie wie immer, vielen Dank!
Als absoluter Laie konnte ich mal wieder nur Bauklötze staunen, aber die Erklärungen sind gut verständlich und einleuchtend.
Auch wenn Fotografie nicht mein Metier ist, lese ich gerade diese Artikel von Stefan sehr gerne.
Aber echte IR-Fotografie ist das m.E. nicht.
Im Übrigen ist IR-Fotografie mit DSLR und/oder Analogfotografie eine Kunst, je nach dem was man fotografiert. "Draufhalten und 'Klick'" wie beim Smartphone ist da nicht drin.
Und kann das Honor alle drei Methoden (Nah-IR, mittleres IR und IR-Falschfarb-Fotografie)? Oder beschränkt es sich auf Nah-IR (dann wäre es für mich wertlos)?
Bei OnePlus ist es auf jeden Fall Nah-Infrarot und sicherlich auch noch einiges aus dem sichtbaren Bereich dabei – und definitiv Falschfarben, was ja bei der kunstvollen IR-Fotografie die Regel ist; sonst wären die für Menschen nicht sichtbaren Wellenlängen ja schlicht schwarzweiß abgebildet. Meist geht die Bildbearbeitung in Richtung Kodak-Ektachrome-Aero-Look, wobei hierzu im digitalen Zeitalter in Photoshop nach dem Weißabgleich meist die Rot- und Blaukanäle vertauscht werden.
Als ganz grobes Experiment zum aufgenommenen Wellenlängenbereich vom OnePlus 8 Pro: Ich habe zweimal das gleiche Motiv mit dem Photochrom-Modus aufgenommen, einmal direkt und einmal mit einem 950nm-Cutoff-Filter davor. Das spucken die EXIF-Daten aus:
Ohne Filter: ISO 100 und 1/1216 Sekunde
Mit Filter: ISO 125 und 1/120 Sekunde
Dann nochmal mit 760nm-Cutoff:
Ohne Filter: ISO 100 und 1/1271 Sekunde
Mit Filter: ISO 100 und 1/714 Sekunde
Daraus würde ich schließen, dass rund 90% des Lichts, das der IR-Sensor im OnePlus 8 Pro aufnimmt, unterhalb der 950nm entstammt. Knapp die Hälfte entstammt dabei dem sichtbaren Spektrum unterhalb der 760 Nanometer.
Die Fotos mit den 760nm- und 950nm-Filtern aus dem OnePlus 8 Pro sehen jeweils ziemlich 'sepia' aus – die (Falsch-)Farbinformationen stammen jeweils aus dem Anteil des sichtbaren Lichts. Ich frage mich, wie die Fotos zusammengebaut werden und was auf dem Sensor für eine Farbmaske liegt.
Hört sich so an als würde sehr viel mit Software nachgeholfen. Da mache ich das lieber mit einer DSLR (ich lasse mir jetzt bei einer EOS1000D die IR-Filter entfernen).
Ich würd mich freuen, wenn wir die Ergebnisse hier irgendwo zu Gesicht bekommen, find das Thema megaspannend! :)
Das dauert aber bis Oktober. 5 Wochen Wartezeit (der hat sehr viel zu tun) für das Umbauen.
So ein Fotochrom Modus ist deutlich sinnvoller als ein 100x Digital Zoom
Zumindest sollte man mit letzterem nicht werben, da an sich eh jede Kamera theoretisch einen "100x" Digital zoom hat. Zumal er bei eben jenem Gerät auch nicht brauchbar aussieht, als bei anderen ^^
Was mich mal interessieren würde: Warum mussten die DSLR-Besitzer einen Nahbereichsinfrarot-Filter entfernen, der dort ja zuvor offenbar (für die normale Fotografie) störendes Infrarot-Licht abblocken sollte, und dieser Filter ist bei den Smartphone-Kameras offenbar schon von vornherein gar nicht vorhanden, ohne dass die bei DSLRs störenden Effekte durch das Infrarotlicht auftreten (sonst bräuchten sie ja den bei DSLRs zu entfernenden Filter ebenfalls). Wieso ist das so?
Bei dem Oneplus-Gerät wäre ja noch denkbar, dass das Bild vom Infrarotsensor irgendwie von dem Hauptsensorbild zur Korrektur abgezogen wird (wenn auch nicht pixelgenau, das wäre dann ein Softwarefilter für NIR). Aber was machen Geräte, die gar keinen Infrarotsensor haben?
Stichwort Interferenzfilter. Störende Einflüsse werden dadurch (so gut es geht) entfernt. Bei Smartphones ohne Filter kann ich mir vorstellen, dass die IR-Strahlen "herausgerechnet" werden (anders kann es m.E. nicht funktionieren).
Bei jeder Kamera kommt ein gewisser Anteil Infrarot durch, lässt sich mit einer IR-Fernbedienung einfach ausprobieren :)
Die Empfindlichkeit ist aber so verschwindend gering, dass das IR-Licht im Vergleich zum sichtbaren Licht keine Rolle spielt. Das eine der beiden Fotos oben im Artikel mit IR-Filter hab ich bei Tageslicht mit einer Belichtungszeit von 1/5 Sekunde geschossen. Ohne Filter wäre die Belichtungszeit im Bereich von 1/1000 Sekunde gewesen – und der IR-Anteil also 7-8 Lichtwerte dunkler.
Bei DSLR sollen die IR-Sperrfilter Farbverfälschungen verhindern. Bei Smaprtphones scheint das teilweise die Software zu machen.
Ja, wobei selbst DSLRs auch nen geringen Teil IR-Licht noch durchlassen. Hab grad mit ner alten EOS 6D mal durch nen 950nm-Filter geschossen, bei ISO400 / 30s Belichtungszeit kommt da auch noch ein Bild durch:
https://fscl01.fonpit.de/userfiles/7446224/image/infrared-photography/ir-test.jpg
Ist etwas verschwommen, hatte die Kamera auf einem völlig unterdimensionierten Fake-Gorillapod und gerade für den Filter nur ein 100er-Makro mit passendem Filtergewinde griffbereit – ungünstige Kombo, aber ging ja nur um den Proof of Concept ;-)
Tolle Bilder!