Huawei FreeClip im Test: überflüssig oder überfällig?
In anderen Sprachen lesen:
Huawei präsentiert laut eigenen Aussagen die "branchenweit ersten Open-Ear-Kopfhörer mit Smart Wear Detection". Ein offenes Design hatte man zuvor bereits mit den Huawei FreeBuds 5 vorgestellt. Bei den Huawei FreeClips geht man mit der sogenannten C-Bridge noch einen Schritt weiter. Wie genial die Idee wirklich ist, ob und wenn, wie sehr die Soundqualität unter dem minimalistischen Design leidet und ob wir zum Kauf raten würden, soll nun der ausführliche nextpit-Test zeigen.
Pro
- Sehr angenehmer Tragekomfort
- Smart Wear Detection
- Lange Akku-Laufzeit
- IP54-zertifiziert
- Dual Connect
Contra
- Keine aktive Geräuschunterdrückung
- Zeitweise defekte Höhen
- Fehlender Bass
- Zu teuer
Kurzfazit und Preis
Huawei präsentiert uns Mitte Dezember 2023 in Dubai die neuen Huawei FreeClip. Dabei handelt es sich um sogenannte Open-Ear-Kopfhörer, welche am Ende doch im Ohr getragen werden, aber deutlich komfortabler sind, als das typische In-Ear-Konzept. Die FreeClip werden mittig an den Ohrmuscheln im Klemmverfahren gehalten und müssen so nicht in den Gehörgang fixiert werden.
Das ist im Grunde auch schon der nicht zu unterschätzende Vorteil der neuen Kopfhörer, welche es ab dem 12. Januar 2024 in Schwarz und ab dem 15. Januar in Lila für 199 Euro zu kaufen gibt. Wer bis zum 31. Januar kauft, bekommt sowohl im Huawei Online-Store, als auch bei Amazon ein Huawei Band 8 (Test) gratis dazu.
Das sogenannte innovative C-Bridge-Design geht leider auch mit akustischen Bass-Verlusten einher. Hinzu kommt, dass in unserem Test die FreeClip in den Höhen zeitweise Verzerrungen aufwiesen. Bis dieses Problem durch ein eventuelles Software-Update aus der Welt geschaffen wird, ist der Preis von knapp 200 Euro – trotz gutem Denkansatz – unserer Meinung nach nicht gerechtfertigt und aktuell nur drei Sterne wert.
Huawei FreeClip: Design und Verarbeitung
Die 5,6 g leichten und 26,7 x 22 x 25,3 mm kleinen Huawei FreeClip sind optisch – na sagen wir mal gewöhnungsbedürftig. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten. Auf der einen Seite eine Kugel, welche pro Kopfhörer zwei 10,8 mm große kodirektionale dynamische Doppelmembran-Treiber beinhaltet. Auf der anderen Seite ein bohnenförmiges Gehäuse, was hinter der Ohrmuschel getragen wird und den 55 mAh Akku (pro Ohrhörer), die Ladepins und eines von insgesamt drei Mikrofonen inkludiert. Beide Teile sind mit einem unter dem Namen C-Bridge geführten flexiblen Bügel miteinander verbunden. Laut Huawei hält dieser mindestens 25.000 Dehnungen stand.
Gefällt:
- Sicher Halt – auch beim Sport
- Optimaler Tragekomfort
- Sehr gute Verarbeitung
- Für Allergiker optimal
- IP54-Zertifizierung
Gefällt nicht:
- Optisch ist es nicht mein Fall
Die beiden Huawei FreeClip werden aus dem 59,77 × 51,95 × 27,35 mm großem Ladecase entnommen und einfach an die Ohrmuschel geclippt. Dabei können sie nicht vertauscht werden, da die "Smart Wear Detection" erkennt, in welches Ohr die Akustikkugel seine Schallwellen freien Lauf lässt.
Optisch wirkt es für Außenstehende, als ob Ihr in beiden Ohren, mittig einen schwarzen Ring tragen würdet – mein Fall ist es nicht. Ich mag Schmuck aber generell nicht und werde mich wohl auch mit dem in Kürze in der nextpit-Redaktion zu erwartenden Rogbid Smart Ring nur schwer anfreunden. Dafür liefern die beiden IP54-zertifizierten Ohrhörer genau das ab, was von ihnen erwartet wird: nämlich einen Tragekomfort, der sich auch bei längerer Nutzung nicht störend auswirkt.
Auch beim Sport – egal ob auf dem Laufband oder an den Maschinen – die Huawei FreeClip gewähren einen absolut sicheren Halt und lassen keinen Druck verspüren. Wenn sie sich nicht akustisch bemerkbar machen würden, dann würdet Ihr sie vermutlich einfach vergessen. Und ich denke, das war auch genau der Auftrag, bevor die Huawei-Ingenieure für viele Stunden eingeschlossen wurden. Es heißt: "Das Design der Kopfhörer wurde auf der Grundlage von über 10.000 menschlichen Ohrdaten entwickelt, mit dem Ziel, Tragekomfort für unterschiedliche Personen zu erreichen". Mission completed!
Bedienung und Software
Damit die Huawei-Open-Ear-Kopfhörer ihr gesamtes Potenzial ausspielen können, benötigen sie eine Verbindung zu der kostenlosen Huawei AI-Life-App, die es aber trotz Android- und iOS-Kompatibilität nicht im Google Play Store gibt – im Apple App Store und der Huawei-App-Gallery aber sehr wohl. Die erste Verbindung ist über das Lade-Case und dem seitlichen Connect-Button schnell hergestellt, wonach sich unmittelbar auch schon die ersten Updates ankündigen.
Gefällt:
- AI-Life-App ist kostenlos
- Gesten-Steuerung funktioniert gut
Gefällt nicht:
- Kein ANC
- Kein Equalizer
- Gesten-Steuerung spartanisch
- "AI Life"-App nicht im Google Play Store
Das vermittelt dem Kunden direkt ein gutes Gefühl, dass der chinesische Konzern trotz bestehendem US-Embargo voll im Saft steht. Ohne die AI-Life-Anwendung sind die Einstellungen der Huawei FreeClip nur sehr begrenzt. Die Huawei-App ist übersichtlich gestaltet und nahezu selbsterklärend. Ihr könnt zwei Geräte gleichzeitig mit dem Kopfhörer koppeln und diesen Prioritäten vergeben.
Was direkt unangenehm auffällt – es gibt keinen Equalizer, den die FreeClip aber bitter nötig hätten. Doch dazu im nächsten Kapitel mehr. Huawei bietet lediglich vier Klang-Presets mit Linear (Standard), Erhöhen (Boost), Höhenverstärker und Stimmen. Es gibt auch keine aktive Geräuschunterdrückung (ANC), welche unerwünschte Hintergrundgeräusche auslöscht. Manch einer wird das begrüßen, da so auch verkehrsbedingte Außengeräusche wahrgenommen werden können.
Was es jedoch gibt, ist ein sogenannter Mehrkanal-DNN-Algorithmus (Deep Neural Network), der bei Telefonaten mithilfe von insgesamt drei Mikrofonen pro Kopfhörer, störende Außengeräusche herausfiltert. Das funktionierte in unserem Test so weit ohne Beanstandungen. Die Huawei FreeClip bieten Bluetooth 5.3 sowie die Codecs SBC, AAC, LC3 und L2HC. Den bekannten LDAC-Codec unterstützen die neuesten Huawei-Kopfhörer nicht.
Auch die Steuerung der Open-Ear-Kopfhörer ist recht spartanisch, dafür aber simpel. Die Gestensteuerung erlaubt es dem Nutzer, die FreeClip an jeder Stelle anzutippen und somit Idiotensicher. Dabei stehen Euch wahlweise zwei- oder dreimaliges "klopfen" zu Auswahl. Steuern könnt Ihr damit Start/Stop, nächster oder vorheriger Titel und die Aktivierung des jeweiligen Sprachassistenten. Geht ein Anruf ein, ist die Start/Stopp-Geste Annehmen oder Ablehnen beziehungsweise Beenden des Anrufes. Eine Lautstärkeregulierung ist über die Gestensteuerung nicht möglich.
Zu guter Letzt bietet die App auch eine Funktion zum Finden der Kopfhörer. Diese sendet ein entsprechend lautes Akustiksignal aus, weswegen sich die FreeClip besser nicht im Ohr befinden sollten.
Klang & Sound
Wenn Ihr mich fragt, ist das Klangerlebnis und die Soundeigenschaften eines Kopfhörers das wichtigste Kaufkriterium überhaupt. Das scheint für die Huawei FreeClip aber nicht zwingend an erster Stelle zu stehen. Zwar wird der Klang von Huawei selbst als "exzellentes Audioerlebnis" mit "resonanten Bässen" beschrieben, doch das ist fernab der Realität.
Gefällt:
- Guter Klang für ein offenes Konzept
- Gute Freisprech-Eigenschaften
Gefällt nicht:
- Wenig Bass
- Zeitweise Störungen im Hochfrequenzbereich
Okay, ich bin extrem verwöhnt von dem hervorragenden Testergebnis der Huawei FreeBuds Pro 3. Der Klang der Huawei FreeClip hat aber nicht mal annähernd etwas damit zu tun. Prinzipiell war mir das auch aufgrund der offenen Bauweise schon im Vorfeld klar, doch erste Review-Videos von den nach Dubai eingeladenen YouTube-Größen, beschrieben den Sound in den allerhöchsten Tönen. Doch da war wohl eher der Dank für die Reise der Vater des Gedanken.
Versteht mich nicht verkehrt: Die Kopfhörer klingen jetzt nicht generell grottenschlecht, aber es gibt logischerweise wenig bis gar keinen Bass. Wo soll der auch herkommen, wenn Ihr die Speaker nicht bis zum Anschlag in Euren Gehörgang luftdicht drängeln dürft? Und an dieser Stelle fehlt mir der Equalizer, der den Verlust unter Umständen ein wenig kompensieren könnte. Mitten und Höhen sind hingegen ausreichend präsent, wenngleich der räumliche (Spatial Audio) Hörgenuss nur mäßig vorhanden ist. Hört Ihr aber prinzipiell Musik eher leise, dann ist der Klang durchaus zufriedenstellend. Nein – eigentlich sehr gut.
Erschwerend kam allerdings noch hinzu, dass ich nicht immer, aber stellenweise im Höhenbereich und bei hoher Lautstärke kaputte, beziehungsweise verzerrte Frequenzen wahrgenommen habe. Ich vermute dahinter aber eher ein Software-Problem. Dieses Phänomen habe ich bislang auch so bisher nicht woanders gelesen, weswegen ich diese Erfahrung erst einmal mit Vorsicht genießen würde. Über die Weihnachtsfeiertage und dem Jahreswechsel war noch kein Kontakt mit Huawei zustande gekommen. Hier also in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten).
Wer mit den FreeClip telefonieren will, wird hervorragende Leistungen erhalten. Hierfür scheinen die Kopfhörer nahezu geschaffen zu sein, wenngleich Euch klar sein sollte, dass aufgrund des offenen Designs und bei entsprechender Lautstärke, Außenstehende Eure Gespräche ohne Probleme mithören können. Das gilt für den Musikkonsum natürlich gleichermaßen.
Huawei FreeClip: Akku
Baugleich zu den Huawei FreeBuds Pro 3 haben auch die neuen Huawei FreeClip jeweils einen Akku mit einer Kapazität von 55 mAh fest verbaut. Das Ladecase besitzt ebenfalls eine Kapazität von 510 mAh und ist nicht nach IP54 Staub- und Wasserbeständig, wie es die eigentlichen Kopfhörer jedoch sind. Huawei gewährt mit einer Akkuladung eine Laufzeit von fast 8 Stunden. Das deckt sich auch mit unseren Erfahrungen. Das Case bietet ausreichend Energie für knapp vier Ladezyklen.
Gefällt:
- Ladecase gut für fast vier Aufladungen
- Bis zu 36 Stunden Musikgenuss
- Kabelloses Laden ist möglich
Gefällt nicht:
- -
Aufgeladen sind die Open-Ear-Kopfhörer in unter einer Stunde. Das Ladecase hat neben dem seitlichen Connect-Button, auf der Unterseite einen USB-Type-C-Port. Wenn Ihr es wünscht, können die FreeClip im Case aber auch kabellos geladen (2 W) werden. Hier müsst Ihr in etwa 2,5 Stunden Wartezeit einplanen, bis die volle Kapazität wieder komplett vorhanden ist.
Abschließendes Urteil
Die Huawei FreeClip läuten ein neues Zeitalter bei der Kopfhörer-Industrie ein. Das, der sogenannten Open-Ear-Kopfhörer. Auch die Japaner haben sich mit den Sony LinkBuds (Test) schon daran versucht. Die FreeClip lassen sich dank des C-Bridge-Design angenehm tragen und bieten nicht wie der typische In-Ear nach einer gewissen Zeit, Schmerzen im Gehörgang. Das war es dann aber auch schon – denn der Sound ist keineswegs mit dem vergleichbar, was wir sonst von dem chinesischen Konzern, wie beispielsweise unserem Test mit den Huawei FreeBuds Pro 3 gewohnt sind. Kosten jedoch ebenfalls 200 Euro. Ein stolzer Preis, wenn man klanglich derartige Abstriche machen muss.
Vermutlich liegen die Prioritäten von Huawei bei der realisierten Idee woanders. Denn wollt Ihr während der Arbeit oder dem Sport Musik konsumieren und legt mehr Wert auf die Außengeräusche als auf einen satten Bass, dann könnten die FreeClip etwas für Euch sein. Bekommt Ihr bei den üblichen In-Ear-Kopfhörern schnell Schmerzen im Gehörgang, trotz unzähliger Versuche, die passende Silikon-Passform zu finden, dann solltet Ihr ebenfalls die FreeClip mal ausprobieren. Denn die lassen sich dank ausgefeiltem C-Bridge-Design auch über mehrere Stunden angenehm und sicher tragen.
Seid Ihr aber wie ich ein Sound-Fetischist und beißt Euch lieber bei zunehmenden Druckschmerzen der In-Ears auf die Zunge, dann lasst die Finger davon und kauft Euch die soeben genannten FreeBuds Pro 3. Die haben zur Not auch noch einen Transparenzmodus.
Sieht aus wie eine Hantel für den Pipimatz
Klingt nah einem interessanten Konzept. Ich finde In-Ears ziemlich unangenehm, habe aber keine wirklichen Alternativen, die bezahlbar sind. Fehlender Bass wäre mir lieber als dieses unangenehme Gefühl im Gehörgang.
Hast du vllt. einen Vergleich zu den Knochenschall-Kopfhörern von Shokz?
Hey, danke für Deinen Kommentar.
Leider habe ich die Shokz nicht getestet, kann aber in der nextpit-Redaktion gern mal schauen, ob sie vorrätig sind und vergleichen.
Ich hatte allerdings die Oladance Wearable Stereo getestet:
https://www.nextpit.de/oladance-wearable-stereo-test
Und diese schlagen die Huawei FreeClip um Längen.
Wie erwähnt: Wenn man nicht "volle Pulle" Musik hören will oder muss, dann klingen die Open-Ear-Kopfhörer von Huawei, richtig gut.
Hey, danke dir für den Link zu den Oladance. Für mich ist der aufgerufene Preis aber viel zu hoch. So teuer waren nicht mal meine Mute BT von Teufel. Für "richtige" Kopfhörer gebe ich ja gerne solche Preise aus, aber für einfache In-Ears sehe ich das nicht ein 😬